Sky Reporter Patrick Berger vergleicht Borussia Dortmund mit einem Patienten, der so schnell nicht zu retten ist. Warum es auf allen Ebenen knirscht und jetzt auch über Nuri Sahin diskutiert werden muss - eine kommentierende Analyse.
Für diesen BVB-Auftritt bei Aufsteiger Holstein Kiel findet man kaum die passenden Worte. Wenn du denkst, es geht nicht schlimmer, kommt Borussia Dortmund um die Ecke.
"Die Dortmunder haben keine Widerstandskraft. Wenn ein Windstoß kommt, fallen sie auseinander", sagte Sky Experte Didi Hamann nach der Dortmunder 2:4-Pleite in Kiel völlig treffend. Die Mentalitätsdebatte ist in den letzten Wochen wieder neu entflammt beim BVB. Aber es wäre zu kurz gegriffen, die dramatische und alarmierende Fehlentwicklung einzig und allein an der schwankenden Einstellung der Spieler festzumachen.
BVB wie ein schwarzes Loch
Der BVB ist ein Patient, der so schnell erstmal nicht zu retten ist. Vor einigen Tagen habe ich mit einem früheren Dortmund-Spieler gesprochen. Er hat den BVB mit einem schwarzen Loch verglichen, das alle positive Energie aus einem rausziehe.
Ein anderer Ex-Spieler sprach vor einiger Zeit schon von einer dauerhaft negativen Grundstimmung, die über dem Verein schwebe und auch vor der Kabine nicht Halt mache. Innerhalb des Vereins gebe es zu viele Intrigen und Machtspielchen. Das färbe sich, so meinte er, auch auf die Mannschaft ab.
Im direkten Vereinsumfeld wird zudem von vielen Leuten stark angezweifelt, ob die Spieler für den Erfolg in Sachen Professionalität wirklich an ihre Grenzen gehen.
Fehler auf Management-Ebene?
In den vergangenen Jahren wurden außerdem auf höchster Management-Ebene Fehler gemacht. Die Schwarz-Gelben haben - mit Ausnahme von Erling Haaland und Jude Bellingham - zu wenige Kaderwerte geschaffen. Stattdessen wurde viel Kohle verbrannt - für teils satte, inkonstante oder nicht gierige Kicker wie Julian Brandt, Emre Can, Karim Adeyemi, Niklas Süle, Marcel Sabitzer, Nico Schulz, Thorgan Hazard oder Thomas Meunier, um nur ein paar wenige zu nennen.
Im Zahlen von Gehältern ist der BVB seit Jahren ganz vorne dabei - sportlich aber schon länger nicht mehr. Der BVB fährt mit Vollgas in Richtung Mittelmaß und verkommt immer mehr zu einem Scheinriesen. Der Abstand auf Spitzenreiter FC Bayern kann nach diesem Spieltag auf 17 (!) Zähler anwachsen, der Absturz auf Rang zehn (!) droht.
Schönrednerei statt Tacheles!
In den letzten Jahren hat sich der BVB immer wieder selbst belogen. Schönrednerei statt Tacheles! Der BVB ist nicht Fast-Meister und Fast-Champions-League-Sieger geworden, wie es nach außen gerne verkauft wird, sondern hat in entscheidenden Momenten jeweils versagt. Das Verlierer-Image haftet den Dortmundern immer mehr an und brennt sich allmählich in die Klub-DNA des stolzen Malocher-Klubs ein. Der Totalabsturz droht.
Auf diesem höchst bedrohlichen Weg schwimmen die Schwarz-Gelben, auch wenn das der mächtige Ober-Boss Hans-Joachim Watzke nicht hören will, in ihrer eigenen Suppe. Meinungen von außen? Werden selten bis gar nicht zugelassen. Stattdessen wird in den "Elefantenrunden" lieber Wert auf Stallgeruch gelegt.
Sahin steht unter Erfolgsdruck
Spätestens nach dieser peinlichen Pleite in Kiel kommt man auch nicht mehr um eine Trainerdiskussion herum. Auch wenn der unerfahrene und teils ungelenke CEO Lars Ricken dem Coach sofort zur Seite sprang, wird auch er wissen, dass Nuri Sahin von seinen 25 BVB-Spielen ganze 13 (!) nicht gewinnen konnte.
Das zu Beginn Mantra-artige "Trust-the-Process"-Gerede von Sahin können und wollen die ungeduldigen Fans, die nach Erfolg lechzen, nicht mehr hören. Im knallharten Fußball-Business, dazu bei einem großen Verein wie Borussia Dortmund, gibt es keine Zeit. Erfolge müssen her. Und zwar schnell.
Nuri Sahin ist ein Projekt. Der BVB ist mit der Cheftrainer-Anstellung des 36-Jährigen ein Risiko eingegangen. Geht das Projekt schief, müssten sich auch die Bosse verantworten. Sie hatten sich ziemlich schnell für Sahin, der sich in der erfolgreichen Klopp-Ära als Führungsspieler einen Namen gemacht hat, und gegen andere Kandidaten (Roberto de Zerbi wurde den Dortmundern beispielsweise angeboten) entschieden. Ob zwei Jahre Erfahrung beim türkischen Mittelklasse-Klub Antalyaspor reichen, um einen Riesen wie den BVB, der auch medial täglich unter dem Brennglas steht, zu führen, darf zumindest bezweifelt werden.
Keine Achse an echten Führungsspielern
Sahin war ein herausragender Fußballer, der sich in der erfolgreichen Klopp-Ära viel Respekt verschaffte und sicher auch viel Talent für den Trainerjob mitbringt. Aber in dieser Saison musste der frühere Terzic-Assistent schon oft Lehrgeld zahlen. Seine taktischen Fehler und sein Festhalten am Spielaufbau- und Ballbesitz-Fußball bleiben im Fokus. Hinzu kommt der Fakt, dass er bis heute keine Achse an echten Führungsspielern gefunden hat.
Ein Schattentrainer schwebt nun über Dortmund. Der vereinslose Erik ten Hag wurde am Freitag im BVB-Stadion gesichtet. Auch der Name Roger Schmidt geistert durch das BVB-Umfeld.
Bei aller berechtigter Kritik an Sahin ist aber auch klar: Mit einem Trainerwechsel alleine würde es lange nicht besser werden. Die tiefsitzenden strukturellen und mentalen Probleme gab es auch schon unter Thomas Tuchel, Lucien Favre, Marco Rose oder Edin Terzic.
Beim großen Patienten Borussia Dortmund krankt es an zu vielen Stellen.
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