In seiner Zeit beim FC Arsenal stand Granit Xhaka regelmäßig im Kreuzfeuer der Kritik. Das Verhältnis des Schweizers zu den Fans der Gunners war lange gestört. Nun hat sich das Blatt gewendet. Die Anhänger widmen Xhaka sogar schon ein eigenes Lied.
Es war der 27. Oktober 2019: Arsenal verspielte im Heimspiel gegen Crystal Palace gerade eine frühe 2:0-Führung, als in der 61. Minute, neun Minuten nach Palace' Ausgleichstreffer, Xhakas Rückennummer 34 aufleuchtete, und im Emirates Stadium ironischer Jubel aufbrandete.
Als Xhaka dann auch noch gemächlich Richtung Außenlinie ging, wurden aus der Ironie Buhrufe. Der Schweizer gab die Provokationen anschließend zurück. Erst feuerte er die Fans mit ausgebreiteten Armen an, dann hielt er sich die Hand hinters Ohr. An der Seitenlinie angekommen, schien er noch eine Beleidigung Richtung Publikum zu rufen, vermasselte - ob absichtlich oder nicht - den Handschlag mit dem damaligen Trainer Unai Emery, riss sich das Trikot vom Leib und begab sich direkt in die Katakomben.
Das Tischtuch zwischen Klub und Spieler schien endgültig zerschnitten. Denn: Im Heimspiel gegen Aston Villa rund ein Monat zuvor war Xhaka schon einmal bei der Auswechslung ausgebuht worden. Emery entzog ihm nach dem Palace-Eklat das Kapitänsamt. In den sozialen Netzwerken gab es üble Beleidigungen und sogar Todesdrohungen, auch gegen die Familie Xhakas.
Xhaka wollte zu Hertha BSC
Kein Wunder also, dass Xhaka im Winter 2019/20 das Kapitel Arsenal beenden wollte, um sich einen neuen Verein anzuschließen. Xhaka forcierte einen Abgang und landete beinahe in der Bundesliga - bei Hertha BSC.
"Berlin hat Kontakt mit mir aufgenommen, es waren nur noch Details zu klären", verriet Xhaka in einem Interview mit dem Guardian. Letztlich war Mikel Arteta, der für Emery im Dezember den Trainerposten übernommen hatte, derjenige, der Xhaka überredete, in London zu bleiben: "Er hat mich überzeugt zu bleiben. Ich bin froh, dass ich mich so entschieden habe."
Unter Arteta fand Xhaka schließlich zurück in die Stammelf, doch das Verhältnis zu vielen Fans blieb bestenfalls ambivalent. Die Distanz zwischen ihm und der Arsenal-Anhängerschaft sei weiter spürbar, aber: "Ich denke nicht, dass wir je beste Freunde werden", sagte er damals.
Doch heute, im Oktober 2022, ist die Beziehung zwischen den Arsenal-Fans und Xhaka eine ganz andere. Eine, die man vor nicht allzu langer Zeit gar nicht für möglich gehalten hat. Nach dem 3:0-Auswärtssieg beim FC Brentford skandierten die Gunners-Fans sogar den Namen Xhakas. "Es war ein absolut unglaubliches, unglaubliches Gefühl", sagte der mittlerweile 30-Jährige über den Moment, als er die neue Melodie ("we've got... Granit Xhaka!", gesungen zur Melodie von "Glad All Over") zum ersten Mal hörte.
Xhaka wird Spieler des Monats
Das war aber noch nicht alles: Die Arsenal-Fans belohnten Xhakas starke Leistungen im September und wählten ihn zum Spieler des Monats. "Es ist eine Ehre und bedeutet mir viel, diese Auszeichnung zu gewinnen", bedankte sich der Linksfuß in einem Instagram-Video.
Doch wie ist die Wandlung Xhakas, der mit bald 200 Premier-League-Einsätzen, die erfolgreichste Saison seiner Arsenal-Karriere erlebt, zu erklären?
Anders als in den Jahren zuvor agiert Xhaka nun etwas weiter vorne auf der Position des Achters. Zwar ist er jetzt nicht mehr so oft am direkten Spielaufbau beteiligt - die Anzahl der Pässe sind im Vergleich zur vergangenen Saison um fast 15 Prozent gesunken - dafür nimmt der ehemalige Spieler von Borussia Mönchengladbach im letzten Drittel viel mehr Einfluss auf das Spiel, kreiert mehr Chancen und hat mehr als doppelt so viele Ballkontakte im gegnerischen Strafraum als in der Vergangenheit.
"Manchmal muss man Spieler aus ihrer Komfortzone herausholen und eine andere Tür öffnen, um herauszufinden, wie die Mannschaft darauf reagieren wird und was der Gegner tun wird", erklärte Arteta. Xhaka führt im Durchschnitt nun weniger Zweikämpfe und macht folglich auch weniger Fouls als früher. Seine ungestümen Vorstöße und Tacklings sowie seine insgesamt 54 Gelben und vier Roten Karten stellten den gebürtigen Basler bei den Fans in der Vergangenheit in kein gutes Licht.
Xhaka: "Habe viel mehr Freiheiten"
Heuer sieht das aber anders aus: "Ich habe viel mehr Freiheiten vom Trainer und von meinen Mitspielern", sagte Xhaka jüngst. Es ist offensichtlich, dass der Positionswechsel ihm nicht nur hilft, seine Qualitäten zu maximieren, sondern auch, seine Schwächen zu kaschieren.
Xhakas technische Fähigkeiten mit dem Ball standen nie in Frage. Es ist bekannt, dass Xhaka in der Lage ist, Linien mit einem schönen Diagonalball zu durchbrechen oder mit einem Fernschuss für Torgefahr zu sorgen. Er leistete seinen Beitrag in der Vergangenheit außerdem zumeist auf eine Art und Weise, die für den Zuschauer nicht immer ganz so offensichtlich war, indem er das Spiel las und damit die Möglichkeiten der gegnerischen Angreifer durch kluges Positionieren einschränkte.
In der aktuellen Saison sprechen auch die Zahlen für Xhaka. Er ist bereits an mehr Toren beteiligt als in jeder der drei vorangegangenen Spielzeiten. Der 3:1-Treffer vor einer Woche im Nordlondon-Derby gegen Tottenham war sein zweites Saisontor. Dazu steuerte er schon drei Assists bei.
Xhakas Spiel wirkt ruhiger und fokussierter
Insgesamt wirkt Xhakas Spiel ruhiger und fokussierter. Niemand verkörpere Arsenals Fortschritte in dieser Saison besser als Xhaka, schrieb das englischsprachige Portal The Athletic. Artetas flexibles System hole "das Beste aus Xhaka heraus".
Keine Frage: Xhakas Rolle hat sich verändert, doch einige Dinge sind gleich geblieben. Seine Professionalität und sein Engagement werden zwar von den Fans oft übersehen, aber er hat sich stets den Respekt seiner Mitspieler und der Trainer erworben.
Nicht ohne Grund berief ihn Arteta wieder zum stellvertretenden Kapitän und Mitglied des Spielerrats. Wer hätte das nach dem Tiefpunkt gegen Crystal Palace schon gedacht? Insider berichten zudem, dass es in der Kabine keine angesehenere Persönlichkeit als Xhaka gebe.
Der neue Kapitän, Martin Odegaard, erzählte kürzlich, wie wichtig der Austausch mit seinem sechs Jahre älteren Mitspieler sei. "Er ist ein Freund, unser Verhältnis ist sehr eng", so der Norweger. "Er ist jemand, mit dem ich viel rede, ich versuche, viel von ihm zu lernen. Ich denke, er ist ein großartiger Spieler und ein großartiger Anführer."
Arsenal-Legende lobt Xhaka
Das sieht auch Arteta so. Wen immer der Trainer auch in der Zentrale aufstellt, Xhaka ist gesetzt. Xhaka stand in dieser Saison in allen acht Ligapartien in der Startelf.
"Ich habe noch nie so eine Freude erlebt, nicht einmal, als ich mit 16, 17 oder 18 Jahren beim FC Basel spielte", freut sich Xhaka. So allmählich scheinen auch die eher kritisch gesinnten Beobachter im Emirates bereit, ihre Meinung zu ändern, gemeinsam mit der Mannschaft erfährt Xhaka nun mehr Anerkennung. "Es ist die schönste Zeit. Ich bin glücklich und will viel zurückgeben", sagte der dienstältester Gunner.
Lob kam auch von höchster Stelle. Xhaka sei einer der besten Mittelfeldspieler der Premier League, sagte neulich Arsenal-Legende Patrick Vieira. "Er ist ein echter Teamplayer. Einer, den man vielleicht nicht bemerkt oder erwähnt, der aber unheimlich hart für die anderen schuftet." Ein echter Anführer eben.
Seit seinem Wechsel 2016 spielt Xhaka wohl seinen besten Fußball im Trikot des FC Arsenal. Man darf gespannt sein, wohin die Reise für den Mittelfeldmann und die Gunners in dieser Saison noch geht.
Arsenals Saisonstart war nämlich genau wie Xhakas, famos. Mit sieben Siege aus acht Spielen empfängt man nun am Sonntag den FC Liverpool, der zurzeit ein wenig durch die Liga taumelt (Sonntag ab 17 Uhr bei Sky Sport Premier League). Die Reds mit Trainer Jürgen Klopp haben schon elf Punkte Rückstand auf die Arteta-Elf. Diese Konstellation hat es lange nicht mehr gegeben.
Und wer weiß: Wenn Xhaka auch gegen Liverpool so weiterspielt wie zuletzt, wird man seinen Namen wieder von den Rängen singen hören. Nach den sportlich schweren Zeiten wäre es ihm zu wünschen.
Mehr zum Autor Fabian Schreiner
Alle weiteren wichtigen Nachrichten aus der Sportwelt gibt es im News Update nachzulesen.