Mehrfach stand Jerome Boateng bereits kurz vor einem Abgang beim FC Bayern. Unter Hansi Flick blühte der 31-Jährige zuletzt jedoch wieder auf und war ein wichtiger Faktor für die aktuellen Erfolge der Münchner. Eine Entwicklung, die überrascht, aber an den Zukunftsaussichten Boatengs wenig ändert.
Es war eine Szene mit Symbolwirkung. Der FC Bayern München führte im DFB-Pokalfinale bereits komfortabel mit 3:0, als Jerome Boateng in der 63. Minute eine flache Hereingabe von Leverkusens Kai Havertz in Weltklasse-Manier per Grätsche vor dem einschussbereiten Leon Bailey zur Ecke übers Tor klärte.
Kollegen feiern Boatengs Rettungstat
Imposanter als die Klärungsaktion war die Reaktion seiner Mitspieler, die den Innenverteidiger trotz des Spielstands ausgiebig dafür feierten. David Alaba herzte und umarmte seinen Kollegen. Auch Joshua Kimmich und Manuel Neuer klatschten Boateng nach der spektakulären Rettungstat ab.
Zwar verletzte sich der Weltmeister von 2014 bei der Aktion und musste für Lucas Hernandez ausgewechselt werden, aber nach Spielende feierte Boateng wieder mit den Kollegen ausgelassen den 20. DFB-Pokalsieg der Münchner Vereinshistorie. Bilder, die 13 Monate zuvor völlig undenkbar schienen.
Beim Pokalsieg 2019 gegen RB Leipzig saß Boateng zunächst 90 Minuten fast regungslos auf der Ersatzbank und verzichtete nach dem Triumph auch darauf mit den Kollegen vor der Bayern-Kurve zu feiern. Stattdessen eilte er als erster Münchner in die Kabine. Bereits eine Woche zuvor bei der Meister-Krönung beteiligte sich Boateng nicht an den Feierlichkeiten und wirkte nicht als Teil der Mannschaft
Hoeneß: "Wirkt wie ein Fremdkörper"
"Ich würde ihm als Freund empfehlen, den Verein zu verlassen. Er braucht eine neue Herausforderung, er wirkt wie ein Fremdkörper!", riet ihm auch Bayerns damaliger Präsident Uli Hoeneß am Sky Mikro.
Einige Monate zuvor stand Boateng tatsächlich kurz vor einem Wechsel zu Paris St. Germain, aber der neue Trainer Niko Kovac legte sein Veto ein und der Abwehrmann musste bleiben. Sehr zu dessen Missfallen, wie Boateng im Juni 2019 in einem Interview mit dem kicker verriet:
"Ich war mit dem Kopf schon weg. Wenn du eine so sichere Zusage bekommst und eine adäquate Summe bezahlt wird, es plötzlich aber nein heißt, bricht etwas in dir zusammen", so der gebürtige Berliner. Es folgte eine unglückliche Saison, in der Boateng in der defensiven Zentrale oft nur dritte oder gar vierte Wahl war und die ihren Höhepunkt im Auftritt im Pokalfinale gegen Leipzig fand.
Auch im vergangenen Sommer hätte Boateng die Bayern um ein Haar verlassen. Juventus suchte nach der schweren Verletzung von Giorgio Chiellini kurzfristig nach Ersatz und war sich laut übereinstimmenden Medienberichten mit Boateng und den Bayern einig. Der Transfer platzte jedoch in letzter Sekunde und Boateng musste erneut bleiben.
Stammspieler unter Flick
Gebraucht wurde er jedoch nicht wirklich, denn der Rekordmeister verpflichtete mit Benjamin Pavard und Hernandez zwei Weltmeister für die Innenverteidigung. Und tatsächlich saß Boateng in den ersten drei Partien die komplette Spielzeit auf der Bank, aber Verletzungen von Alaba, Hernandez und schließlich Süle spülten den Routinier in die Mannschaft.
Spätestens unter Kovac-Nachfolger Flick etablierte er sich an der Seite von Alaba dann als absoluter Leistungsträger und verdrängte sogar 80-Millionen-Mann Hernandez auf die Bank.
"David Alaba und Jerome zeigen hervorragende Leistungen. Jerome hat gezeigt, dass er in der Lage ist, Leistungen auf diesem Niveau zu bringen. Er ist körperlich fitter. Ich arbeite sehr gern mit ihm", lobte der Coach folgerichtig sein neues Innenverteidiger-Pärchen.
Auch Lothar Matthäus schwärmte vom Routinier: "Was Boateng aus eigener Motivation und mit Hilfe von Flick auf einmal wieder auf dem Platz zeigt, ist kaum zu erklären", so der Rekordnationalspieler in seiner Kolumne "So sehe ich das" auf skysport.de.
Und weiter: "Ein Spieler, der mit eineinhalb Beinen bereits den Verein gewechselt hatte, total unzufrieden war und auch vom Leistungs-Niveau seinen Höhepunkt gefühlt überschritten hatte, spielt wieder wie zu seinen besten Zeiten."
Boateng bleibt Verkaufskandidat
Vieles spricht dafür, dass das Duo auch in der Champions League im August gesetzt sein wird. Und danach? Da stehen die Zeichen mal wieder auf Trennung. Zwar kann sich Boateng vor allem wegen Flick einen Verbleib in München vorstellen, aber die Bayern hätten nichts dagegen, den Großverdiener von der Gehaltsliste zu bekommen. Nach Sky Informationen würde der Rekordmeister Boateng gerne verkaufen, auch wenn sie ihn nach den zuletzt gezeigten Leistungen nicht zu einem Wechsel zwingen werden.
Doch die Konkurrenz für Boateng wäre bei einem Verbleib exorbitant groß. Neben Alaba, mit dem die Bayern unbedingt verlängern möchten, wird auch Süle in der kommenden Saison nach seinem Kreuzbandriss wieder vollständig genesen sein. Auf Rekordmann Hernandez halten die Bayern-Bosse trotz einer schwachen Premieren-Spielzeit ebenso weiter große Stücke und planen mit dem Franzosen.
Mit Pavard drängt zudem ein weiterer Qualitätsspieler in die Mitte, wenn sich die Münchner wie geplant mit einem Rechtsverteidiger wie Ajax Amsterdams Sergino Dest verstärken. Und auch das neu verpflichtete Top-Talent Tanguy Kouassi soll Einsatzminuten erhalten.
Kein Fremdkörper mehr
Und was sagt der Coach? Flick, der bei Alaba und Thiago mehrfach öffentlich darum warb, dass die beiden Stars verlängern, verzichtete bei Boateng auf eine Charmeoffensive und deutete im Mai vielmehr ein Ende von Boatengs Zeit beim Double-Gewinner an:
"Er hat noch ein Jahr Vertrag. Jerome hat auch ein gewisses Alter. Deswegen habe ich auch mit ihm ganz offen gesprochen. Er muss wissen, was er für seine Zukunft möchte, denn er kann nicht noch zehn Jahre spielen", so der Coach über seinen Abwehrmann: "Ich werde ihn in allen Dingen unterstützen. Er hat mit dem Verein fast alles gewonnen. Er hat hier noch Vertrag und wird daher die Wertschätzung bekommen, die er verdient hat."
Ein Abgang ist aber keinesfalls sicher, denn aktuell gibt es nach Sky Informationen keine Anfragen für Boateng und sein üppiges Salär schreckt vor allem in Corona-Zeiten mögliche Interessenten ab. Vielleicht erfüllt der Innenverteidiger also seinen bis 2021 laufenden Vertrag und spielt auch kommende Spielzeit für den FC Bayern, denn ein Fremdkörper ist er nicht mehr. Das hat nicht zuletzt die Szene im DFB-Pokal eindrucksvoll bewiesen...