Als Mitfavorit gestartet, jetzt Nachfolger von Deutschland: Frankreich feiert den zweiten WM-Titel, Trainer Deschamps tritt auf eine Stufe mit den Legenden Zagallo und Beckenbauer.
Vive la France! Oben in der Ehrenloge sprang Staatspräsident Emmanuel Macron völlig losgelöst auf ein Pult, seine Gattin Brigitte tanzte mit lässigem Hüftschwung fröhlich zum lärmenden Elektro-Pop, und unten auf dem Rasen ließen Frankreichs überglückliche Baby Bleus ihren Trainer Didier Deschamps hochleben. Als die Equipe Tricolore den kläglich gescheiterten Titelverteidiger Deutschland durch ein 4:2 (2:1) gegen leidenschaftliche Kroaten als beste Mannschaft der Welt abgelöst hatte, brachen sich bei den Franzosen die Gefühle Bahn. Dass sie nach einem Wolkenbruch über Moskau pitschnass wurden, störte selbstverständlich nicht.
Deschamps: "Es ist zu schön"
Philipp Lahm, Kapitän der deutschen Weltmeister, brachte den Goldpokal 1463 Tage nach jener magischen Nacht von Rio de Janeiro nach dem Abpfiff auf den Rasen des Olympiastadions Luschniki. Im strömenden Regen erhielt die Equipe Tricolore die Trophäe um 20.32 Uhr Ortszeit zum zweiten Mal nach der WM 1998 im eigenen Land, der tropfnasse Macron umarmte jeden einzelnen. 180-Millionen Mann Kylian Mbappe durfte zusätzlich den Pokal des besten jungen Spielers der WM mitnehmen, den traurigen Kroaten, die im Finale lange Zeit die bessere Mannschaft waren, blieb als Trostpreis die Auszeichnung von Luka Modric als bester Spieler des Turniers.
"Es ist zu schön, so wunderbar für die Spieler, eine junge Generation, die sind mit 19 Jahren Weltmeister", sagte der gelöste Deschamps. Vor zwei Jahren war er mit seiner Mannschaft im Finale der EM im eigenen Land an Portugal gescheitert (0:1 n.V.), nun ist er Mitglied eines sehr erlauchten Kreises. Deschamps war vor 20 Jahren Kapitän der Les Bleus, jetzt ist er erst der dritte Trainer, der den Titel zuvor auch als Spieler gewonnen hatte: Er steht auf einer Stufe mit Mario Zagallo aus Brasilien und Franz Beckenbauer. In Frankreich feierten ihn und seine junge Mannschaft unter anderem 90.000 euphorische Menschen auf dem Marsfeld vor dem Eiffelturm.
Griezmann: "Kroatien war ein starker Gegner"
"Riesig war das Match nicht", bekannte Deschamps freimütig, und in der Tat: Die nervösen Franzosen profitierten im torreichsten WM-Finale seit 1958 (Brasilien-Schweden 5:2) von Missgeschicken der lange klar überlegenen Kroaten. Mario Mandzukic verlängerte einen Freistoß von Antoine Griezmann ins eigene Tor (18.), dann unterlief Ivan Perisic im Anschluss an seinen Ausgleichstreffer (28.) ein Handspiel im Strafraum: Griezmann (38.) verwandelte den Elfmeter nach langem Videostudium durch Schiedsrichter Nestor Pitana (Argentinien).
Paul Pogba (59.) und Kylian Mbappe (65.) machten gegen nie aufsteckende Kroaten nach Kontern alles klar. Ein fürchterlicher Fehler von Torhüter Hugo Lloris erlaubte Mandzukic Ergebniskosmetik (69.). Griezmann, zum "Mann des Spiels" gewählt, betonte hernach: "Kroatien war ein starker Gegner." Allerdings, ergänzte Deschamps: "Wir haben Qualität an den Tag gelegt, Mentalität gezeigt im richtigen Moment, es war harte Arbeit."
Für Kroatien mit seinen 4,2 Millionen Einwohnern war der Finaleinzug der größte Erfolg bei einer WM nach Rang drei 1998 - doch den Traum vom großen Coup zerstörten sie diesmal selbst. Vor 20 Jahren war es Frankreich, das die Mannschaft um Davor Suker am Einzug ins Finale gehindert hatte. In Russland hatten die Kroaten bisher Einzigartiges geleistet: Nach drei souveränen Vorrundensiegen kamen sie zweimal erst nach Elfmeterschießen weiter und einmal nach Verlängerung. Im Finale waren sie besser, aber eben auch tollpatschig - und nach Pogbas Treffer mit ihren Kräften am Ende. Und dennoch gaben sie nie auf.
Klare Handschrift von Deschamps
Frankreichs Titel 2018 trägt erneut die Handschrift von Deschamps - auch wenn 1998 der Trainer Aime Jacquet hieß. Vor 20 Jahren war es Zinedine Zidane, der im Finale gegen Brasilien (3:0) zwei Tore erzielte, doch schon damals zog "DD" als einer der besten defensiven Mittelfeldspieler der Welt die Fäden, auf dem Rasen, und in der Kabine. Für die WM in Russland hatte Deschamps nach dem Scheitern im EM-Finale von Paris 2016 eine neue Mannschaft gebaut, die viel über ihn aussagt. Der Baske ist vor allem: ein Pragmatiker.
Und so spielte Frankreich auch im Finale: Nicht schön, aber effizient. Es war insgesamt keine glanzvolle Reise zum zweiten Titel. Deschamps dürfte Kritik egal sein. Er habe, hat er gesagt, "nie des Spielens wegen gespielt, sondern immer, um zu gewinnen". (sid)