Sky Reporter Sven Töllner blickt in seiner Kolumne "HAU DAS DING RAUS" auf die aktuellen Ereignisse im Fußball. Dieses Mal beschäftigt er sich mit der überraschenden Ernennung von Andreas Rettig zum DFB-Geschäftsführer.
Anruf beim SC Freiburg irgendwann 1998 - Andreas Rettig geht ans Telefon. Der Anrufer nicht ganz fit, irgendwie die Sinne nicht anständig geschärft, auf jeden Fall stabil auf dem falschen Fuß. Andreas, wer? Der neue Breisgau-Manager hatte sich im Schatten von Reiner Calmund ja schon einige Jahre in Leverkusen einen Namen gemacht. Peinlich berührter Anrufer, irritierter, aber milde reagierender Rettig.
"Sie sollten mich schon kennen!" Ja, sollte ich - da hatte er recht. In den Folgejahren sollte der gesellige Rheinländer so häufig recht behalten, dass genervte Kritiker in ihm einen geradezu notorischen Rechthaber zu erkennen glaubten. Sein künftiger Mitstreiter Rudi Völler verpasste Rettig auf dem Höhepunkt der TV-Gelder-Debatte abschätzig das Etikett "Schweinchen Schlau". Sieht so aus, als habe sich seither eine gehörige Portion Respekt in Völlers Grundhaltung geschlichen - und möglicherweise auch die Erkenntnis, dass der DFB sich an einem Punkt befindet, an dem die Reformbereitschaft von innen heraus angeschoben werden muss.
Kann Rettig wirklich was bewegen?
Als ehemaliger DFL-Geschäftsführer ist Rettig natürlich bestens mit dem Kleingedruckten der Fußball-Regularien vertraut. Als leisetretender Paragraphenreiter ist er gleichwohl ganz sicher nicht eingeplant. Macht- und Sendungsbewusstsein wird dem 60-Jährigen wohl niemand absprechen wollen. Den fruchtbaren Boden für seine Kernthemen wird Rettig verbandsintern womöglich erstmal selbst erwirtschaften müssen. In Sachen Bodenständigkeit, Basisbewusstsein, Nachhaltigkeit und solidarischer Grundhaltung wurde dem DFB in den vergangenen Jahren nicht gerade selten erheblicher Nachholbedarf attestiert.
Es wird also spannend sein zu beobachten, ob dem Neuen bei seiner Mission die angemessene Beinfreiheit zugestanden wird, um wirklich etwas zu bewegen. Die notwendigen Restaurierungsarbeiten machen von außen betrachtet einen umfangreichen Eindruck. Das sperrige Landesfürsten-System wird weiterhin Bestand haben und hat schon so manchem Entscheidungsträger nach enthusiastischem Start zügig den letzten Nerv geraubt.
Kärrner-Arbeit ist gefragt
Der DFB geht am Tiefpunkt, der sich über die vergangenen Jahre - den Gesetzen der Physik trotzend - immer noch ein Stückchen weiter nach unten gebohrt hat, alles in allem einen überraschend mutigen Weg. Natürlich ist Rettig eine bekannte Figur mit geschliffenem Profil und beachtlichem Renommee. Als schillernder Markenbotschafter mit internationaler Strahlkraft taugt der ehemalige Schienenspieler des Wuppertaler SV hingegen nicht. So einen braucht der Verband nach übereinstimmenden Einschätzungen aus der Fachwelt aber auch gerade nicht.
Und doch schien die Versuchung lange Zeit groß zu sein, Sami Khedira in die Verantwortung zu nehmen. Ein ehemaliger Weltklasse-Fußballer, der als visionärer Projektleiter bislang allerdings einen weißen Fleck in der Vita stehen hat. Um eine durchgehende Linie von der Nachwuchsarbeit bis hin zur Eliteabteilung zu ziehen und dabei ein erhebliches Stück erfolgreicher zu sein, als es dem DFB in den vergangenen neun Jahren gelungen ist, wird ein guter Name allein zweifellos nicht genügen. Da ist Kärrner-Arbeit gefragt. Potenzielle Besitzstandswahrer, die Rettig die Steine in den Weg zu legen versuchen, die er eigentlich umdrehen will und muss, könnten ja künftig vielleicht lieber Cornflakes zählen.
Erneuerungszwang auf etlichen Ebenen
Es ist noch gar nicht allzu lange her, dass Rettig Vorschläge, er müsse seine Ideen doch dringend mal wieder an den Schalthebeln sitzend verwirklichen, mit dem Hinweis quittierte: Es bestehe wohl doch nicht überall ehrlicher Erneuerungswille. Mittlerweile besteht - zumindest beim DFB - dringender Erneuerungszwang auf etlichen Ebenen. Die beiden jüngsten WM-Endrunden waren schmerzhaft. Die Amigo-Schmutzeleien in den unterschiedlich besetzten Spitzengremien der vergangenen Jahre wirkten zum Teil schamlos.
Die Nachwuchsarbeit wirft vor allem im Vergleich mit Frankreich, England oder Belgien seit geraumer Zeit Fragen auf, die kein Verantwortlicher zufriedenstellend beantworten konnte. Sachdienlichkeit und Pragmatismus sollten von nun an Trumpf sein - gerne garniert mit einer kräftigen Prise Innovation. Vor Rettig steht ein Berg, vor dem viele Vorgänger kapituliert haben. "Alles muss man selber machen lassen", haben die musikalischen Zukunftsforscher von "Deichkind" schon vor geraumer Zeit festgestellt. Bei Andreas Rettig spricht Vieles dafür, dass er bereit und in der Lage sein wird, die unübersichtliche Großbaustelle eigenhändig und eigenständig auf ein gesünderes Fundament zu stellen. Wird ja auch langsam mal Zeit!
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