2015 spielte er noch in der Verbandsliga Südbaden, heute an der Seite von Weltstars wie Kingsley Coman und Kylian Mbappe. Sky Sport über die steile Karriere des Ex-Bielefelders Jonathan Clauss.
Es war die 88. Spielminute beim Testspiel zwischen Frankreich und der Elfenbeinküste, als sich für Jonathan Clauss ein Traum erfüllte: Er betrat für Kingsley Coman das Spielfeld und gab sein Debüt für die französische Nationalmannschaft. Ein Traum, von dem der 29-Jährige wohl vor einigen Jahren selbst nicht mehr zu träumen wagte. Der Außenverteidiger, der nun mit Stars wie Paul Pogba oder Antoine Griezmann in der Equipe Tricolore spielen darf, legte eine etwas andere Karriere hin, die erst bei Arminia Bielefeld so richtig ihren Lauf nahm.
Als Clauss 2018 nach Bielefeld wechselte, war er ein unbeschriebenes Blatt. Heute ist er dort ein Held. Denn dass die Arminia zurzeit in der Bundesliga spielt, haben sie auch dem Franzosen zu verdanken. In der Aufstiegssaison 2019/20 machte der Rechtsfuß jedes Spiel und hatte mit seinen 13 Torbeteiligungen großen Anteil am Saisonerfolg. Noch mehr als mit seinen Statistiken, beeindruckte Clauss schon damals mit seiner Flexibilität: Auf der rechten Außenbahn hat er vom Verteidiger bis zum Flügelstürmer alles schon gespielt.
Talentiert, aber undiszipliniert
Das Talent hatte er immer schon, aber es schien, dass die Profikarriere vorbei war, noch ehe sie begann. In seinem Geburtsort Straßburg spielte er beim dort ansässigen Traditionsklub Racing, wo ihm der Sprung in die erste Mannschaft allerdings nicht gelang. Er pendelte stattdessen durch unterklassige Ligen Frankreichs und spielte von 2013 bis 2015 sogar für den SV Linx in der Verbandsliga Südbaden. Er brachte zwar fußballerisch viel mit, war aber zu undiszipliniert. Parties waren ihm wichtiger als Regeln.
Im Alter von 24 Jahren unterschrieb Clauss dann aber doch seinen ersten Profivertrag bei Quevilly Rouen in der Ligue 2. Dort konnte er zwar den Abstieg nicht verhindern, zog aber mit guten Leistungen die Aufmerksamkeit der Bielefelder Scouts auf sich. Die Verantwortlichen der Arminia zögerten nicht lange und nahmen den damals 25-jährigen Clauss unter Vertrag. Wie sich später herausstellte, hätte es für beide Seiten keine bessere Entscheidung geben können.
Kometenhafter Aufstieg
Bei den Ostwestfalen etablierte sich Clauss in der ersten Zweitligasaison schnell als Stammspieler und begeisterte die Fans. Darauf folgte die historische Aufstiegssaison 2019/20 inklusive "Felge" als Meister der 2. Bundesliga. Sein Vater Jean-Luc verriet über diese Zeit der L'Equipe: "An diesem Punkt dachte Jonathan wohl: 'Ok, jetzt komme ich weiter', er verstand, dass es keinen Grund gab, warum er nicht erfolgreich sein sollte, und er war auf dem Weg."
Auch sein ehemaliger Trainer Damien Ott sprach gegenüber The Athletic über Clauss' Entwicklung in Deutschland: "Sein Umzug nach Deutschland hat ihm sehr gutgetan. Die deutsche Strenge hat ihn verändert. Sein Geist verbesserte sich. Er fing an, viel zu arbeiten."
Clauss mischt die Ligue 1 auf
Diese Arbeit setzte er jedoch nicht in Bielefeld fort. Er schloss sich 2020 RC Lens an und schlug auch dort sofort ein. Mit scharfen Flanken und der richtigen Balance zwischen Offensive und Defensive wurde er im 3-4-1-2 Systems seines Coaches Franck Haise zur treibenden Kraft auf der rechten Außenbahn.
Die Fans des RC forderten schon bald - zu Beginn wohl eher spaßeshalber - die Nominierung ihres neuen Helden in die Nationalmannschaft. Der Ex-Bielefelder überzeugte jedenfalls regelmäßig mit starken Leistungen und die Forderungen wurden lauter. Lens steht momentan auf dem achten Tabellenplatz und Clauss steuerte schon vier Treffer und neun Vorlagen bei.
Deschamps wählt falsche Aussprache
Und dann war es soweit. Der französische Weltmeistertrainer Didier Deschamps berief Clauss für die Testspiele gegen die Elfenbeinküste und Südafrika in den Kader, auch wenn er den Namen etwas zu deutsch aussprach: also [Klaus] statt [Klos]. Der frisch Berufene selbst war jedenfalls fassungslos: "Es ist unglaublich, ich habe es immer noch nicht begriffen", so Clauss. "Wow... Ich bin wieder ein Kind. Ich habe keine Worte."
Clauss profitierte dabei auch von einer taktischen Umstellung, denn Deschamps setzt mittlerweile auf eine Dreierkette, hat aber zu wenige Schienenspieler für die rechte Seite. Benjamin Pavard hat seine Stärken mehr in der Defensive und ist eher in einer Viererkette zu Hause. Coman spielte die Position als "Joker", wie Julian Nagelsmann es bezeichnet, zwar auch schon beim FC Bayern, wirklich vertraut ist er damit aber noch nicht. Auch Deschamps setzte den Bayer-Star jedoch auf dieser Position in der Startformation gegen die Elfenbeinküste ein.
Erster Startelf-Einsatz gegen Südafrika
Spätzünder Clauss verkörpert dagegen alle Eigenschaften eines modernen Rechtsverteidigers und hat vielleicht gar keine so schlechten Chancen, mit Frankreich zur WM nach Katar zu fahren. Zuletzt beim 5:0-Erfolg der Franzosen gegen Südafrika durfte Clauss sogar von Anfang an ran und spielte fast durch. Erneut gab es den Wechsel in der 88. Spielminute: Clauss wurde durch Nkunku ersetzt.
Trotz des Hypes um seine Person hat Clauss nicht vergessen, was ihn stark gemacht hat. Kürzlich verriert er im kicker: ''Bielefeld wird immer in meinem Herzen und in meinem Kopf bleiben. Ich schaue die Spiele so oft wie möglich im Fernsehen und sogar die Lens-Spieler erzählen mir von Bielefeld."
Ganz getreu dem Motto: "Die Füße am Boden, der Kopf in den Sternen".
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