An verzichtbaren Knack- und Tiefpunkten waren die vergangenen Wochen außerordentlich reich. Weil die erwünschten Punkte für den angestrebten Aufstieg in Hamburg zuletzt immer mehr zur Mangelware geworden waren, wurde Daniel Thioune genötigt, die Verantwortung an einen ikonischen Haudegen weiterzureichen. Ein Last-Minute-Wechsel mit Knalleffekt.
Die erste von drei Aufgaben seiner Hauruck-nach-oben-Mission hat der 70-jährige Horst Hrubesch mit Bravour zum Erfolg geführt und den 1. FC Nürnberg mit einem 5:2 zurück in den Bus auf die Rückreise ins Frankenland geschickt.
Eigentlich sind es ja die Prinzen oder sonst irgendein feingewandeter Adliger, die irgendjemanden wachküssen. Beim jüngsten Fußball-Märchen im Volkspark wurde das gelernte Konzept kurzerhand modifiziert. Das Ungeheuer schnappte sich den Part des Wachmachers.
HSV als "ICE" nun doch Richtung Endstation Aufstieg?
Horst Hrubesch, der an selber Stelle (nicht in selber Stätte!) einst seine Geburt als Profifußballer feierte und sich fortan als Kopfball-Ungeheuer zu Weltruhm schädeln sollte, hat eine sanft entschlafene Truppe mit viel Talent aber ohne Mumm offenbar gut verständlich ans Wesentliche erinnert. Zum Leidwesen wehrloser Nürnberger.
Deren Sportvorstand Dieter Hecking hatte bekanntlich im Vorjahr das angepeilte Erstliga-Comeback des HSV in den Sand gesetzt und gestern bei seiner Rückkehr bereits vor dem Anpfiff geahnt, was dem "Club" drohen könnte. "Da kommt ein ICE auf uns zu." Eine treffende Prognose, wie sich später herausstellen sollte.
Dieser Schnellzug peilt nach demoralisierenden Wochen nun doch noch die letzte Saison-Ausfahrt an - Richtung Aufstieg. Das ganze mit einem stabilen Schaffner, einem - wie Hecking es beschrieb -, "dem keiner ans Bein pinkelt".
Hrubesch stellt Moral im Team wieder her
Der Kopf hat Hrubeschs Karriere als Fußballer definiert. Und natürlich sind es auch die Köpfe seiner Spieler, die in dieser verfahrenen Situation eine entscheidende Rolle spielen. In Einzelgesprächen habe er sie "starkgeredet" bestätigte Vorkämpfer Toni Leistner - vor allem auch die, die "beim alten Trainer hintendran waren".
Jeder ist wichtig - das ist das Mantra des ehrlichen Arbeiters aus dem Ruhrgebiet. Der gebürtige Hammer hat den Nagel in den Bereichen Ansprache, Vorbereitung und Aufstellung präzise erwischt, ihn - ganz genau - auf den Kopf getroffen.
Pragmatischer Ansatz fruchtet
Bereits am Donnerstag hatte Hrubesch die Spieler informiert, die gegen Nürnberg in der Startelf stehen sollten, bewusst auf künstliche Spannung oder pseudo-revolutionäre taktische Sperenzchen verzichtet. In der Welt des leidenschaftlichen Hobby-Anglers ist Klarheit trumpf - das wurde auch an der Seitenlinie überdeutlich.
"Heyer, wat is dat? Mach Ordnung!" "Komm nach außen, Baka!" "Mach alleine, Sonny. Macht nix, weiter - nächster!" Im besten Sinne des Begriffs steht Hrubesch uneitel im Fußball-Malocher-Outfit am Rand, schwitzt mit seinen Jungs und erfreut sich daran, dass greift, was er vorgibt und vorlebt.
Mit einer fußballerischen Grundhaltung so pragmatisch wie die eigene Frisur, hat Hrubesch die allgemeine Verunsicherung aus der verwirrten Truppe gepustet. "Besser du haust ihn rein als daneben", analysiert er nach dem Sieg und leitet seine Thesen immer mal wieder mit einem "wie ich immer so schön sach" ein.
Es hat fast etwas Magisches wie die wandelnde Antithese aller Laptop-Trainer seit Jahren Mannschaften zu Erfolgen führt, deren Spieler noch nicht geboren waren, als Hrubeschs Profi-Karriere längst geendet hatte. "Wenn ich was mach, dann mach ich das richtig. Oder ich lass es sein", sagt der Fußball-Großvater - und tut, was er sagt.
Warten auf den Patzer von Fürth
Trotz des Sieges hängt der HSV immer noch außerhalb der Aufstiegsränge und ist auf Patzer des Führungs-Trios angewiesen. Intern kalkulieren sie eher mit Fürther Patzern (in Paderborn und/oder gegen Düsseldorf) als mit einem Kieler Einbruch.
Theoretisch könnten Hrubesch und sein Team schon am Sonntag mit dem besseren Torverhältnis an Fürth vorbeiziehen. Der HSV muss in Osnabrück seine Hausaufgaben erledigen, während die Franken bei den torgierigen Paderbornern (zuletzt 8:3-Sieger in Aue) ran müssen. Deren Trainer heißt bekanntlich Steffen Baumgart und vertritt ähnliche Werte wie Hrubesch.