Sky Reporter Sven Töllner blickt in seiner Kolumne "HAU DAS DING RAUS" auf die aktuellen Ereignisse im Sport. In der neusten Ausgabe schaut Töllner auf das DFB-Debakel in Wien gegen Österreich.
Einen Kader auf links zu drehen - dafür braucht es zwei bis drei Transferperioden, befinden manche Bundesliga-Manager. Und vermutlich liegen sie richtig mit dieser Schätzung. Wie viele Perioden braucht es wohl, um eine Grundhaltung auszuschleichen? Es spricht ein bisschen was dafür, dass in dem Fall eine andere Maßeinheit benötigt wird. Um die offensichtlichen Unzulänglichkeiten der aktuellen DFB-Elite zu entfernen, müssen die Verantwortlichen in Generationen denken. Erfolge mit dem aktuellen Ensemble? Können wir vergessen - damit sollten sich die Heim-EM-Organisatoren und vor allem die Fans lieber schon mal rechtzeitig arrangieren. Die angemessene mentale Beschaffenheit muss JETZT bei den 12-Jährigen gefordert UND gefördert werden. Mit ersten positiven Ergebnissen können wir mutmaßlich also ungefähr bei der WM 2034 rechnen - dann öffnet Saudi-Arabien den Vorhang zur nächsten größten Show der Welt.
"Lästige Pflicht mit First-Class-Betreuung"
Natürlich stehen ein paar offensichtliche fußballerische Befunde im Bulletin. Mats Hummels möglicherweise zu langsam für die Viererkette. Antonio Rüdiger als Abwehrchef aus unterschiedlichen Gründen ungeeignet. Ilkay Gündogan beim DFB eher "Käpt'n Farblos" als grimmiger Antreiber in unangenehmen Bedrohungs-Lagen. Hinten links muss Kai Havertz ran - skurril. Joshua Kimmich völlig neben der Spur. Niclas Füllkrug gut für die Bundesliga, aber begrenzt gegen Verteidigungsreihen internationaler Klasse. Serge Gnabry ohne Spannkraft, Leroy Sane ohne Disziplin, Julian Brandt ohne Bindung und einige weitere Kandidaten eventuell einfach ohne die Qualität, um sich auf dem benötigten Niveau als brauchbar zu erweisen. Der Kern der Problematik hat sich seit dem WM-Sieg 2014 aber in einer anderen Kategorie eingenistet. Die "Generation gemütlich" schenkt kollektiv ab, wenn Widerstandsfähigkeit gefragt ist.
Übereinstimmende Einschätzungen profilierter Analysten zielen schon seit geraumer Zeit in dieselbe Richtung. Für viele deutsche Ausnahmekönner ist ein Auftritt in der Nationalmannschaft nicht mehr als ein weiteres Pflichtspiel - eine Art lästige Pflicht mit First-Class-Betreuung. Privat-Jet, Luxushotel, Sternekoch, Playstation, Instagram - Arbeit? Ja - nach Vorschrift. Im Auftrag der Nation - aber nur, wenn sich das ohne Extrameile absolvieren lässt. Der angenehm bodenständige Trip zum Döner-Mann in Schöneberg wirkt in der Gesamtgemengelage wie ein Feigenblatt. Schaut mal, die Jungs sind doch eigentlich ganz normal! Ein spontaner kulinarischer Lust-Trip mit automatischem Team-Building-Effekt als Sättigungsbeilage? Vielleicht. Ein bisschen was spricht allerdings auch für ein arg bemühtes und letztlich durchschaubares PR-Manöver zur Besänftigung. Baldrian fürs Volk - mit Kraut und scharfer Sauce, bitte!
Dann ist das ein ernsthaftes Problem
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wenn irgendwo plötzlich 60 Milliarden Euro fehlen, um überlebenswichtige Weichen für die Zukunft zu stellen, dann ist das ein ernsthaftes Problem. Das andere ist "nur" Fußball. Und doch gab es - historisch belegt - sehr wohl Zeiten, in denen die Spieler ihre DFB-Nominierung als Auszeichnung gewertet haben, wie Aushängeschilder aufgetreten sind - und den Menschen auch in verstörenden und belastenden Situationen ein wenig Erleichterung oder zumindest Zerstreuung verschafft haben. Die aktuellen Protagonisten erinnern eher an Parkuhren - bitte dringend ein paar Münzen nachwerfen!
So eine Haltung kann natürlich nicht per Regierungsbeschluss verordnet werden. Und womöglich wäre ein Auftrag zur Volksbespaßung auch gar nicht die richtige Triebfeder, um mehr Leidenschaft, Widerstandsfähigkeit, Mut, Wut und Überwindungswillen aus den Spielern herauszukitzeln. Die sichtbare Anerkenntnis, dass herausragendes Talent ein Privileg ist und gerne auch als Verpflichtung verstanden werden darf - das wäre doch schon mal was. Wie Havertz kürzlich versucht hat, die Bringschuld umzuverteilen (#fehlendersupport), lässt einigermaßen verlässliche Rückschlüsse darauf zu, welche Art von Wertesystem vor etwa 15 bis 20 Jahren in den Nachwuchsleistungszentren vermittelt worden sein könnte. Wäre vielleicht hilfreich, wenn Bernd Neuendorf, Andreas Rettig oder Hannes Wolf nochmal in den damaligen Lehrplänen nachschlagen würden, um dann ab JETZT alles anders zu machen.
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