In Teil eins des Interviews zum großen Bundesliga-Zwischenfazit nimmt Trainer-Legende Friedhelm Funkel das obere Tabellendrittel unter die Lupe und spricht dabei unter anderem über den FC Bayern und Joshua Kimmich, das Titel-Rennen und Überraschungsteam Union Berlin.
Sky Sport: Der FC Bayern ist Tabellenführer und hat das Topspiel in Dortmund souverän gewonnen. Andererseits haben die Münchner für ihre Verhältnisse viele Gegentore kassiert und müssen nun Joshua Kimmich - einen ihrer wichtigsten Spieler - ersetzen. Herr Funkel, sind die Bayern aus Ihrer Sicht unantastbar oder angreifbar?
Friedhelm Funkel: Ich glaube nicht, dass die Bayern unantastbar sind. Sie sind nur sehr, sehr schwer zu schlagen. Die Bayern werden auch weiterhin ihre Spiele gewinnen, sie werden auch zwischendurch mal wieder ein Spiel verlieren, so wie es beim 1:4 in Hoffenheim der Fall war. Die Belastung ist gerade auch für die Bayern-Spieler enorm. Die große Frage ist: Wie beständig kann Borussia Dortmund in den nächsten Wochen sein? Der BVB ist zwar im Vergleich zur letzten Saison besser geworden, aber solche Niederlagen wie die in Augsburg dürfen ihnen nicht passieren. Wenn sie das abstellen können und stabil bleiben, werden sie den Bayern zumindest näherkommen, als im letzten Jahr.
Sky Sport: Könnten die Bayern nervös werden, wenn Dortmund konstant Siege einfährt?
Funkel: Dass die Bayern nervös werden, kann ich mir nicht vorstellen. Sie bleiben der Titelkandidaten Nummer eins.
Sky Sport: Noch einmal zur Bayern-Defensive: Was haben die relativ vielen Gegentore zu bedeuten?
Funkel: Sie spielen mit sechs, sieben Leuten, wenn sie im Ballbesitz sind, nach vorne. Die beiden Innenverteidiger stehen auch noch in der gegnerischen Hälfte. Und dann ist es schon mal so, dass sie das eine oder andere Gegentor mehr kassieren. Aber sie wissen genau, dass sie Spieler wie Lewandowski, Gnabry, Sane, Coman oder Müller haben, die alleine schon 70 Tore schießen. Von daher können wir als neutrale Beobachter doch alle froh sein. Wir sehen bei den Bayern offensiv geführte Spiele mit vielen Toren. Es macht unglaublich Spaß, Bayern München spielen zu sehen.
Sky Sport: Könnte die Dauerbelastung, auch bedingt durch die Corona-Situation, ein Problem für die Münchner werden?
Funkel: Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie schwächer werden, denn sie haben in der Corona-Zeit nur ein einziges Spiel verloren. Sie sind nicht so abhängig von den Zuschauern wie viele andere Mannschaften. Sie bringen ihre Klasse und Stärke auch ohne Zuschauer auf den Platz. Das wird sich auch in den nächsten Wochen und Monaten nicht ändern. Sie werden in dem einen oder anderen Spiel gegen Top-Mannschaften vielleicht ein bisschen verhaltener auftreten, um Kraft zu sparen. So groß ist ihr Kader auch nicht, dass sie permanent wechseln könnten. Noch können sie Verletzungen auffangen, aber die Anstrengungen werden größer werden.
Sky Sport: Interessant ist ja auch, dass auch Nebengeräusche den Bayern nichts anhaben können. Sie haben verkündet, dass sie das Angebot zur Vertragsverlängerung mit David Alaba zurückgezogen haben, es gab tagelang einen riesen Wirbel, und dann haben sie in Salzburg und gegen Dortmund souverän gewonnen.
Funkel: Ich war selbst lange Spieler und kann mir vorstellen, dass in der Bayern-Kabine über dieses Thema geflachst wird, dass Thomas Müller oder Spieler mal einen Spruch gemacht haben. Auf die Leistung oder die Stimmung haben solche Dinge überhaupt keinen Einfluss. Die Stimmung bei den Bayern ist bestimmt super, sie gewinnen ja nur.
Sky Sport: Durch Kimmichs Verletzung ist der Fall eingetreten, dass Hansi Flick nun David Alaba dort spielen lassen könnte, wo dieser gerne spielen würde, nämlich im defensiven Mittelfeld. Wie sehen Sie das?
Funkel: Das könnte aufgrund der Belastungssteuerung und der personellen Situation durchaus mal der Fall sein, aber im Moment glaube ich nicht, dass Flick ihn ins Mittelfeld stellt. Mit Tolisso hat er einen Weltmeister im Kader, der diese Position auch optimal spielen kann. Eine große Stärke von Bayern München ist, dass alle sich der Gemeinschaft unterordnen.
Sky Sport: RB Leipzig hat in den vergangenen Wochen und Monaten eine sehr große Konstanz gezeigt - abgesehen von dem 0:5-Ausrutscher in Manchester. Kann das Team von Trainer Julian Nagelsmann mehr sein als nur ein Verfolger?
Funkel: Ich glaube, dass Leipzig sich mit der Zielsetzung Champions League realistisch und gut eingeschätzt hat. Sie können in einem Spiel immer gegen Dortmund und Bayern gewinnen, aber auf 34 Spiele gesehen glaube ich nicht, dass sie dem BVB oder dem FCB Paroli bieten können. Die individuelle Klasse der Dortmunder und der Bayern ist einfach noch ein Stück besser und man darf nicht vergessen, dass RB mit Timo Werner einen Stürmer abgegeben hat, der letzte Saison insgesamt über 30 Pflichtspieltore gemacht hat. Einen Spieler wie ihn kannst du nicht ersetzen.
Sky Sport: Hinter dem Spitzentrio haben Mönchengladbach und Leverkusen in der vergangenen Saison um Platz vier gekämpft, momentan hat Bayer 04 die Nase leicht vorn. Liegen beide ungefähr auf einem Niveau?
Funkel: Ja, beide nehmen sich nicht viel und werden wieder Platz vier untereinander ausspielen. Man merkt ihnen die Freude an, mit der sie in die Spiele gehen, so wie beim 4:3 am Sonntag.
Sky Sport: Gladbach hat in der Champions League starke Auftritte hingelegt, Was macht den Erfolg der Fohlen aus?
Funkel: Marco Rose handhabt den Umgang mit der Mannschaft fantastisch, ähnlich wie Hansi Flick in München. In der Offensive hat er mit Thuram, Plea, Stindl und Embolo eine riesige Auswahl, in der Innenverteidigung sind die Gladbacher etwas dünner besetzt, aber im Mittelfeld und im Angriff haben sie super Möglichkeiten. Leverkusen hat mit Kai Havertz und Kevin Volland zwei Topspieler verloren, und dennoch muss man sie aus meiner Sicht zusammen mit Gladbach gleich hinter Leipzig einordnen.
Sky Sport: Kommen wir zur Überraschung der ersten sieben Spieltage: Union Berlin hätte kaum jemand auf Platz fünf mit zwölf Punkten erwartet. Kann man das mit Spielglück erklären oder steckt viel mehr dahinter?
Funkel: Bei Union steckt sehr gute Arbeit dahinter. Der Erfolg ist auch mit Trainer Urs Fischer verbunden, den ich jetzt im dritten Jahr in Berlin verfolge. Trainer, Sportdirektor und die anderen Funktionäre arbeiten gut und scheuen auch nicht das Risiko, Spieler zu verpflichten, die häufiger in der Öffentlichkeit auftauchen, als es für Union üblich ist. Letzte Saison wurden sie wegen Gentner und Subotic belächelt, aber sie haben sehr souverän den Klassenerhalt geschafft. Bei Union steckt eine Strategie dahinter, die Mannschaft ist eine Einheit und mit Max Kruse haben sie einen Spieler geholt, bei dem man weiß, was man bekommt. Kruse war überall, wo er bisher gespielt hat, spielentscheidend. Er ist ein Typ, der andere Spieler mitreißt. Und wie Urs Fischer mit der Situation umgeht, das ist einfach sensationell. Mit dem Abstieg wird Union nichts zu tun haben, sie werden zwischen Platz neun und Platz elf landen.
Sky Sport: Auf Platz sechs steht gerade der VfL Wolfsburg. Da gab es unlängst Ärger zwischen Trainer Oliver Glasner und Sportdirektor Jörg Schmadtke. Angesichts des Tabellenstandes kurios, oder was meinen Sie?
Funkel: Ich glaube nicht, dass Oliver Glasner mit seinen Worten Jörg Schmadtke kritisieren wollte. Das ist sehr unglücklich gelaufen. Vielleicht hätten die beiden besser miteinander kommunizieren können. Man hat gesehen, was medial dabei herausgekommen ist. Sportlich kommt mir Wolfsburg in der öffentlichen Wahrnehmung zu schlecht weg. Von Kritikern wird oft angeführt, sie hätten nur zweimal gewonnen, aber sie haben noch kein einziges Spiel verloren. Das ist eine tolle Bilanz und muss mal in den Vordergrund gestellt werden. Was will man denn mehr? Was soll denn passieren, wenn die mal ein Spiel verlieren? Das verstehe ich nicht.
Das Interview führte Thorsten Mesch
Teil zwei des Bundesliga-Zwischenfazits mit Friedhelm Funkel folgt.