Lothar Matthäus befasst sich in seiner Kolumne "So sehe ich das" mit den Problemen des BVB. Der Sky Experte erklärt, warum er sich bei Marco Reus und Mats Hummels an seine eigene Karriere erinnert fühlt und führt aus, dass die Dortmunder mit ihrer Saison nicht zufrieden sein können. Im Gegenteil.
Große Spieler müssen damit leben, dass sie, wenn es nicht gut läuft, ganz besonders im Fokus stehen. Die Dortmunder haben wieder mal keine gute Leistung abgegeben und hochverdient gegen RB Leipzig mit 1:4 verloren. Schon lange begleitet uns die Diskussion darüber, warum der BVB trotz großartiger Spieler viel zu selten den Fußball spielt, den man von ihm erwarten kann und muss. Und natürlich ist dann vor allem die Rede von Mats Hummels und Marco Reus.
Um eines klar und deutlich festzuhalten: das ist keine Abrechnung oder General-Kritik mit diesen beiden Spielen. Es gibt nur wenige BVB-Stars, die in den vergangenen Jahren mehr für diesen Klub geleistet haben als diese beiden fantastischen Fußballer. Aber auch an ihnen nagt der Zahn der Zeit, Verletzungen häufen sich, das Tempo leidet und mit fehlendem Rhythmus und mangelnder Kontinuität wird auch die Leistung schlechter.
Neues Abenteuer für Reus & Hummels?
Wenn Spieler in ein gewisses Alter kommen, fühle ich mich an meine eigene Karriere erinnert, als ich im Jahr 2000 vom FC Bayern in eine sogenannte Operettenliga nach Amerika gewechselt bin, weil ich vom Kopf her einfach nicht mehr in der Lage war, täglich an die Säbener Straße zu fahren und das Leben als Bayern-Spieler so zu genießen, wie es sich gehört. Der Rest ist bekannt.
Ich kenne die Pläne von Mats und Marco nicht, kann mir aber vorstellen, dass es nicht leicht für ihre Vorgesetzten Kehl und Zorc oder die Trainer Rose und Zickler ist, mit ihnen über die Zukunft zu sprechen und ihnen möglicherweise nahezulegen, sich vielleicht eine andere Aufgabe zu suchen. Es sind schließlich auch Verträge zu erfüllen. Und wir reden nicht von irgendjemandem, sondern von zwei wirklich außergewöhnlichen Spielern, die unglaublich viel für diesen Klub getan haben. Aber natürlich müssen sie sich fragen, ob es aktuell das ist, was sie wollen.
Der Körper macht nicht mehr so mit wie noch vor einigen Jahren. Die Kritik wird auch nicht weniger werden. Aber man sollte sie auch nicht abschreiben. Vielleicht bekommen sie nochmal so die Kurve, dass sie uns alle in der nächsten Saison überraschen. Ich bin sicher, dass sie diesen Verein lieben und für sich und das Drumherum das Beste wollen. Mir steht es nicht zu, ihnen etwas zu raten. Das wissen sie selbst mit Sicherheit am besten.
Aber vielleicht ist ein neues Abenteuer ja gar nicht die schlechteste Idee. Ich will mich aber nicht auf diese beiden Dortmund-Legenden festlegen, denn der Grund für die großen Leistungsschwankungen in Dortmund liegt nicht nur an ihnen, sondern an mehr als einer Handvoll anderer Spieler, die viel Geld kosten und bei Weitem nicht die Leistung bringen, die sie sollten.
BVB steckt im Dilemma
Natürlich ist hier auch die Rede von Emre Can, Julian Brandt, Axel Witsel, Thorgan Hazard, Nico Schulz und so weiter. Im Grunde ist das Paradebeispiel in der Dortmunder Mannschaft, bei dem das Preis-Leistungs-Verhältnis so ist, wie man es sich nur wünschen kann, Jude Bellingham.
Jung, talentiert, willensstark, kämpferisch. Ein Spieler, wie er im Buche steht. Um so jemanden herum müsste man jetzt einen Schnitt machen und eine großartige Mannschaft bauen. Wobei auch hier schon eines der großen BVB-Probleme absehbar ist. Nämlich, dass in nicht allzu langer Zeit schwindelerregende Angebote für diesen super Spieler eintrudeln werden. Darüber wird ja nicht nur hinter vorgehaltener Hand im Weltfußball getuschelt.
BVB-Abschneiden nicht zufriedenstellend, sondern grausam
Klar kann man immer wieder sagen, dass man mit der Saison eigentlich ganz zufrieden sein kann. Zweiter in der Liga, neun Punkte hinter Bayern, aber auch neun Punkte auf den Dritten. Im Grunde total im Soll. Aber das ist nur die halbe Wahrheit - wie so oft in Dortmund. Wenn man gegen Teams in allen Pokal-Wettbewerben sang- und klanglos ausscheidet und sich teilweise blamiert, dann muss man sagen, dass das nicht zufriedenstellend, sondern grausam ist. Und wenn ich dann Ausreden lese, die darauf abzielen, dass die Bayern ja so viel mehr Gehalt zahlen, dann wüsste ich gerne, wie viel mehr Gehalt die Dortmunder im Vergleich zu Ajax, den Glasgow Rangers oder dem FC St. Pauli bezahlen.
Selbstverständlich hat auch Marco Rose bei den Leistungen der Mannschaft seinen Anteil. Ich finde immer noch, dass er ein hervorragender Trainer ist. Es geht ja nicht darum, ob er eine Chance für die nächste Saison verdient hat. Ich bin sicher, er wird auch nächstes Jahr noch Trainer in Dortmund sein und das nicht nur, weil er einen Vertrag hat. Und es ist ja auch nicht Rose, der den Spielern vorgibt, sie sollen mit einem riskanten Dribbling den Ball verlieren, der zum Gegentor führt oder regelmäßig nur zwanzig Minuten performen. Ich hoffe allerdings und ich glaube auch, dass der Dortmunder Coach in der Kabine andere Töne anschlägt als vor der Kamera. Dort ist es meistens besser, die Spieler zu schützen, aber intern nimmt er sie hoffentlich um einiges mehr in die Kritik.
Terzic hat mehr Euphorie entfacht
Man muss schon auch sagen, dass Edin Terzic in den Wochen, in denen er die Mannschaft trainiert hat, mehr Euphorie und Enthusiasmus entfacht hat und auch mit Sicherheit keinen schlechteren Fußball spielen lassen. Aber das ist keine Forderung nach einem neuen beziehungsweise alten Trainer. Wenn sich die Verantwortlichen jetzt zusammensetzen, eine gute Lösung mit den Spielern finden, auf die sie weiter bauen, sich von anderen verabschieden und mit Transfererlösen eine richtig gute Truppe zusammenstellen, dann zeigt der BVB in der neuen Saison vielleicht das Gesicht, das man sich von ihm wünschen darf. Nämlich eines, das Bayern länger Paroli bietet und in den anderen Wettbewerben den deutschen Fußball und die eigenen Vereinsfarben besser vertritt.