Lothar Matthäus erklärt in seiner Kolumne, was die Stärke der deutschen Nationalmannschaft ausmacht und warum das DFB-Team als Favorit in die Playoffs der Nations League geht.
Das 7:0 gegen Bosnien und Herzegowina war für mich eins der besten Spiele, die ich von der deutschen Nationalmannschaft jemals gesehen habe.
Einige haben schon Parallelen zum 7:1 im Halbfinale der WM 2014 in Brasilien hergestellt, aber das ist aus meiner Sicht ganz weit hergeholt und nicht vergleichbar. Mir ging es vielmehr um die spielerische Qualität, die Atmosphäre und Leidenschaft auf dem Platz, die ich in Freiburg gesehen habe.
Alle kommen wieder gern zur Nationalmannschaft
Man merkt, dass alle wieder gerne zur Nationalmannschaft kommen. Die Spieler stehen auch anschließend mit einem Lächeln beim Interview, das war in den vergangenen drei, vier Jahren nicht immer der Fall.
Als Gnabry den Schuss von Groß unglücklich geblockt und dadurch ein Tor verhindert hat, haben beide gelacht. Man schmunzelt nur über solche Dinge, wenn man mit sich zufrieden ist. In solchen Momenten zeigt sich für mich, was sich in der Mannschaft geändert hat.
Es ärgert sich auch niemand, wenn mal ein Hackentrick nicht funktioniert. Die Jungs helfen einander, setzen ihre Teamkollegen in Szene, sie zocken, haben Spaß und zaubern den Zuschauern ein Lächeln ins Gesicht.
Individuelle Qualität auf den Rasen gebracht
Die individuelle Qualität in der Mannschaft war auch in den vergangenen Jahren schon vorhanden, aber jetzt hat man diese Qualität in den Spielfluss eingebaut.
Man kann viel im Training einstudieren, aber man muss die Vorgaben des Trainers auch umsetzen. Das hat die Mannschaft hat in der Offensive und in der Defensive getan.
Kleindienst hat nicht nur zwei Tore erzielt, er hat Bälle klatschen lassen und Räume für seine Mitspieler geschaffen, wie vor dem 1:0 durch Musiala. Hinten hat man aktiv gegen den Ball verteidigt und Körperkontakt gesucht. Tah hatte gegen die Niederlande Schwierigkeiten, die hatte er dieses Mal nicht.
"Wir sind nach wie vor ein Torwart-Land"
Dass ter Stegen, wenn er gesund zurückkommt, die Nummer eins sein wird, ist klar hinterlegt. Andererseits hat Baumann gegen Bosnien einmal in Weltklasse-Manier reagiert, Nübel spielt in Stuttgart auch Weltklasse. Wir haben kein Torwart-Problem, was einige schon wieder herbeireden wollten, sondern wir sind nach wie vor ein Torwart-Land. Wir haben vier, fünf Torhüter, die international jederzeit auf hohem Niveau mithalten können.
"Jeder weiß, dass er keine Ruhepausen einlegen darf"
Die Mannschaft hat gegen Bosnien 90 Minuten lang Gas gegeben und nicht lockergelassen, obwohl nach dem Spiel in Ungarn am Dienstag für viele englische Wochen auf dem Programm stehen. Jeder weiß, dass er keine Ruhepausen einlegen darf, wenn er von Anfang an dabei sein will.
Niemand bleibt gerne draußen, aber für den Trainer ist es das Schönste, wenn er Optionen auf der Bank hat. Wenn er auch mal einen, der eine schwächere Phase hat, weglassen kann, ohne Qualitätsverlust zu haben. Oder wenn er einen angeschlagenen Spieler draußen lassen kann, um kein Risiko einzugehen.
Goretzka muss sich erst bei Bayern beweisen
Leon Goretzka wünsche ich, dass er über Einsatzzeiten beim FC Bayern zumindest die Chance hat, sich vielleicht wieder für die Nationalmannschaft anzubieten. Aber ich glaube, daran darf man bei ihm im Moment noch nicht denken. Nicht, weil er nicht die Qualität hätte, sondern weil die Konkurrenz in der Nationalmannschaft sehr groß ist.
"Die Gegner müssen sich uns anpassen"
Viel besser als gegen Bosnien geht es nicht, aber es kommen auch wieder stärkere Gegner. Dennoch glaube ich, dass man sich nicht von diesem Weg abbringen lassen sollte. Man sollte an seine Stärken glauben. Ich denke, die Mannschaft tut dies und Julian Nagelsmann sagt sich: "Ich richte mich nicht mehr groß nach Spanien oder Argentinien, sondern wir müssen uns weiter verbessern und noch stabiler werden. Bei allem Respekt: Wir spielen das Spiel, das uns stark macht und die Gegner müssen sich uns anpassen."
Deutschland gehört mit Blick auf die WM 2026 - wie auch bei den letzten Turnieren - zum engeren Favoritenkreis, nur hat uns 2018 und 2022 die Begeisterung im Land und in der Nationalelf gefehlt.
Jetzt stehen wir in der Nations League unter den besten acht Teams. Mögliche Gegner im Viertelfinale sind u.a. Italien, Kroatien, Dänemark, Serbien und Schottland.
Italien ist aus meiner Sicht nicht so stabil wie wir. Kroatien ist zwar immer unangenehm zu spielen und stand im letzten Nations-League-Finale, aber wir sollten aufgrund unserer Kompaktheit, Qualität und der bisher gezeigten Souveränität als Favorit in die Playoffs gehen. Egal, gegen wen.
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