Lothar Matthäus nimmt in seiner Kolumne die Kapitäns-Entscheidung von Julian Nagelsmann, Goretzkas Reservistenrolle und die Ansprüche der Nationalmannschaft unter die Lupe.
Die nächsten Länderspiele stehen an und wir bekommene es in der Nations League mit Ungarn und den Niederlanden zu tun. Ich freu mich wie immer sehr auf Spiele unserer Nationalmannschaft und hoffe, dass wir zwei Siege einfahren. Es wird wieder Zeit, neben guter Stimmung und attraktivem Fußball auch Erfolge einzufahren.
In der Nations League haben wir uns bisher nicht mit Ruhm bekleckert. Wir sind ja nach unserem Selbstverständnis immer noch eine große Fußballnation. Und auch wenn einige zufrieden mit dem Abschneiden bei der EM im eigenen Land waren, ist ein Viertelfinal-Aus nicht unser Anspruch. Früher sind nach einem Ausscheiden im Viertelfinale Trainer entlassen und nicht gefeiert worden. Klar, es war gegen Spanien und es war knapp und der Gegner stark.
"Ich hätte mir noch einen jüngeren Spieler gewünscht"
Alles schön und gut. Unterm Strich ist mir das sportlich trotzdem zu wenig. Wir haben eine gute Mischung mit vielen Spieler aus großen Vereinen im besten Alter im Team. Und wir haben mit Joshua Kimmich einen neuen Kapitän. Er ist die logische und richtige Wahl. Sein Standing, seine Leistung und seine Erfahrung sprechen für sich. Er legt auch verbal mal den Finger in die Wunde und das darf er jetzt als Kapitän erst recht.
Ich habe schon vor Jahren gesagt, dass Joshua Kimmich der kommende DFB-Kapitän sein wird und so ist es nun auch gekommen. Sollte er länger bei Bayern spielen als Manuel Neuer, dann wird er auch im Klub in Zukunft die Binde tragen. Sein Draht beim DFB zu Nagelsmann ist gut, die Akzeptanz ist da und er wird unser Land auf dem Feld wunderbar vertreten. Ich habe es lieber, wenn der Spielführer im Zentrum spielt und nicht hinten, aber ein Philipp Lahm hat das trotzdem großartig gemacht und Manuel Neuer natürlich auch. Wenn ich es mir allerdings wünschen dürften, dann soll der verlängerte Arm des Trainers mitten im Geschehen agieren.
Als Stellvertreter hat Nagelsmann Antonio Rüdiger und Kai Havertz nominiert. Auch das ist aus meiner Sicht völlig in Ordnung. Ich lese aus dieser Wahl heraus, dass Havertz ein großer Gewinner ist. Ein Spieler, der in den letzten Jahren gefühlt immer ein wenig unter dem Radar von der Wahrnehmung lag. Nun sieht man, dass er für den Bundestrainer ein ganz wichtiger Spieler ist, auf den er total baut. Im Mannschaftsrat sind Jonathan Tah, Pascal Gross, Füllkrug und ter Stegen. Alles in allem ist auch das in Ordnung.
Ich hätte Tah auch aufgrund seiner Rolle in Leverkusen auch bei einem der Kapitäne gut gefunden. Vor allem fällt mir aber auf, dass kein richtig junger Spieler mit mehr Verantwortung ausgestattet wurde. Da denke ich vor allem an Musiala. Ein Spieler dieser Generation spricht eine andere Sprache als die knapp dreißig jährigen. Es wäre eine sehr wertvolle Erfarhung gewesen mit Blick auf die Zukunft und er hätte Themen aus den Sitzungen in den Kreis der Jüngeren getragen. Das finde ich etwas schade, aber ansonsten kann ich die Wahl grundsätzlich nachvollziehen.
"Kahn und Tuchel waren keine Menschenfänger"
Thomas Müller wird für Deutschland nicht mehr mit Kimmich zusammen spielen, dafür blüht er jetzt wieder beim FC Bayern auf. Bayern Rekordspieler ist eine magische Marke und Thomas Müller hat hier einen großartigen Rekord am Wochenende aufgestellt und seine Legende noch vergrößert. Jeder mag ihn. Auf dem Platz, vor der Kamera und wenn er dann auch noch so herrliche Tore schießt wie gegen Freiburg umso besser.
Ohne die Zusatz-Belastung für Deutschland zu spielen, kann er sich besser schonen und regenerieren und das merkt man bereits. Müller hatte nur ein Problem und das war Thomas Tuchel und sein Satz, dass das "Kein Thomas-Müller-Spiel" sei. Entweder Kompany hat das von alleine mitbekommen oder man hat ihm gesagt, dass er sowohl Thomas als auch alle andere besser mitnehmen muss, wenn die generelle Stimmung wieder gut werden soll. Die hat nämlich in den letzten Jahren bei Bayern gelitten.
Kahn und Tuchel waren einfach nicht die Menschenfänger, die es bei Bayern braucht, damit Mia-san-Mia gelebt wird und nicht nur auf dem Trikot steht. Sowohl den Mitarbeitern als auch den Spielern macht der Tag an der Säbener Straße jetzt wieder mehr Freude als noch vor kurzem. Und bei Bayern gehört das mehr dazu, als bei anderen Klubs. In Tracht aufs Oktoberfest oder der ungezwungenen Plausch mit den Bossen. Das ist ein Erfolgsgeheimnis dieses Klubs.
"Ich kann Goretzka verstehen"
Und trotzdem herrscht ein Konkurrenzkampf wie bei wenig anderen Vereinen. Beste Beispiele sind aktuell Leon Goretzka oder Palhinha. Früher wäre ein 50-Millonen-Euro-Mann Stammspieler. Heute bekommt er Zeit oder muss eben noch mehr zeigen. Coman oder Sane sind jetzt auch nicht mehr selbstverständlich in jeden Spiel 90 Minuten gesetzt. Goretzka hätte bestimmt irgendwo hin wechseln können. Aber die Garantie dort zu spielen hat man auch nicht.
Hinzu kommt: Wo erhält er die geschätzten 18 Millionen Euro Gehalt und wo lebt es sich besser als in München? Ich kann ihn verstehen. Er stellt sich dem Konkurrenzkampf, wurde am Sonntag zumindest eingewechselt und auch unter Tuchel spielte er zunächst keine Rolle und sich in die Mannschaft gekämpft. Die Nase vorn auf der Position scheint Pavlovic zu haben. Und wenn Tuchel, Kompany und Nagelsmann sich für den selben Spieler entscheiden, dann will das schon was heißen.
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