Lothar Matthäus blickt in seiner Kolumne auf die 1:5-Niederlage des FC Bayern in Frankfurt, bewertet die Rolle von Thomas Müller und Thomas Tuchels Wünsche nach Verstärkungen. Zudem erklärt er das Dilemma bei Borussia Dortmund.
Beim 1:5 in Frankfurt sind viele Dinge passiert, die nicht Bayern-like waren. Aufgrund der Qualität des Kaders und der Höhe der Spielergehälter kann und muss man viel mehr verlangen.
Griffigkeit, Giftigkeit, Galligkeit haben gefehlt. Was am Samstag im Deutsche Bank Park abgelaufen ist, sah nicht nach Qualität, Dominanz, Spielfreude und Sicherheit aus. Frankfurt hat den FC Bayern mit Aggressivität, Geschwindigkeit und Laufbereitschaft bezwungen und auch in der Höhe verdient gewonnen. Über die Höhe der Niederlage und ihr Zustandekommen müssen sich die Bayern Gedanken machen.
Ich glaube, dass Thomas Tuchel trotz der Niederlage und trotz des Ausscheidens aus dem DFB-Pokal nach wie vor die Unterstützung des Vereins hat. Jetzt kommt es auf die Reaktion an.
Kimmich angezählt, Neuer mit sich selbst beschäftigt
Dass sich direkt nach dem Spiel nur Thomas Müller gestellt hat, zeigt, dass etwas nicht stimmt. Früher haben Joshua Kimmich und Manuel Neuer auch nach Niederlagen Interviews gegeben, aber viele Spieler sind mit anderen Dingen beschäftigt, die sich nicht in den 90 Minuten auf dem Platz abspielen, sondern auch in den Köpfen. Kimmich wurde häufig angezählt. Nicht nur in den Medien, sondern auch intern.
Neuer ist nach seiner knapp einjährigen Verletzungspause noch dabei, sich selbst zu finden - was seine Position in der Mannschaft und was seine Führungsrolle betrifft. Ich weiß aus eigener Erfahrung wie es ist, wenn man sehr lange weg war. Man ist vom Kopf her mehr auf sich selbst fokussiert.
Goretzka hat nicht das Vertrauen bekommen, das er in den Jahren zuvor genossen hatte, Laimer war in Leipzig immer ein gesetzter Spieler, in München wird er hin und hergeschoben, und Müller ist selbst dann nicht gesetzt, wenn Musiala nicht spielt. Er steht im Ranking nicht mehr dort, wo er früher stand.
Müller nur noch gut genug für Interviews?
Man hört immer "Müller ist eine Legende, er ist Bayern München, er ist wichtig." Das ist alles gut und schön, aber Müller will spielen! Wenn ich als Spieler keine Einsätze habe, fühle ich mich nicht wichtig.
Meiner Meinung nach ist Müller sportlich immer noch gut genug, deswegen gehört er auch zum Kader der Nationalmannschaft. Er ist jemand, der seinen Mitspielern eine gewisse Sicherheit geben kann. Ich wundere mich, dass Müller sich trotz seiner unbefriedigenden sportlichen Situation immer noch nach dem Spiel hinstellt und versucht, Motivation für seine Mitspieler rüberzubringen. Ich an seiner Stelle würde mich nicht unbedingt so hinstellen, wenn mir Spiel für Spiel andere Teamkollegen vorgezogen würden.
Es gibt kein Wunschkonzert für Tuchel
Was die Diskussionen und Spekulationen um mögliche Zugänge für Mittelfeld und Abwehr betrifft, sage ich: Ein Trainer kann seine Wünsche intern äußern, aber nach außen hin sollte einfach mal Ruhe einkehren. Solche öffentlichen Diskussionen verunsichern die Spieler.
Tuchel hat in der Vergangenheit bei seinen Vereinen gute Arbeit geleistet, aber es gibt keine Wunschkonzerte für Trainer.
Offensiv hat man Kane als Wunsch-Stürmer bekommen, die Flügelpositionen sind doppelt besetzt, im Mittelfeld hat man mit Kimmich, Goretzka und Laimer drei gestandene Spieler für die Doppel-Sechs, dazu Musiala für eine offensivere Variante. Das System an die vorhandenen Spieler anzupassen, ist die Aufgabe des Trainers.
Darum wäre Araujo ein guter Transfer
Man hat Alphonso Davies, einen der besten Linksverteidiger der Welt, an dem Real Madrid interessiert ist. De Ligt ist niederländischer Nationalspieler. Vor einem Jahr war er unter Julian Nagelsmann der einzige Spieler, der hinten die Chefrolle ausgefüllt hat. Upamecano ist französischer Nationalpieler, Kim war letzte Saison der beste Verteidiger der italienischen Liga. Wenn die meisten Spieler gesund sind, sucht die Qualität des Bayern-Kaders ihresgleichen.
Aber in der Menge, da gebe ich absolut Recht, ist der FC Bayern auf internationalem Niveau um zwei, drei Spieler zu gering aufgestellt. Man hat im Sommer zu viele Spieler verloren und zu wenig nachgelegt. Wenn es irgendwo fehlt, dann in der Abwehrmitte oder rechts hinten. Von daher wäre ein Ronald Araujo (Bayern will Barca-Star holen) ideal, weil er anscheinend beide Positionen spielen kann.
Dann wird Watzke seine Hand nicht mehr schützend über Terzic halten
Borussia Dortmund hat mich in der vergangenen Rückrunde mit Offensivfußball begeistert, aber in dieser Saison lässt Edin Terzic seine Mannschaft eher defensiv spielen, wie zuletzt in Leverkusen und beim Pokal-Aus in Stuttgart.
Beim 2:3 gegen Leipzig hat man in der zweiten Halbzeit wieder gesehen, dass die Borussia-DNA in der Offensive liegt. Mit Tempo auf den Außenpositionen durch Adeyemi und Malen oder junge Spieler wie Bynoe-Gittens. Reus im Zentrum, Julian Brandt kann man auch auf der Doppel-Sechs spielen lassen, dazu ein richtiger Abräumer und dahinter eine Viererkette. Das ist aus meiner Sicht die bessere Alternative zu dem, was Terzic macht. Man hat durch die Verpflichtung von Spielern wie Sabitzer oder Füllkrug im Sommer Zeichen gesetzt. Man hat Offensive eingekauft, spielt aber defensiv. Das passt nicht zusammen.
Die Dortmunder haben zwar in der Champions League das Achtelfinale in der stärksten Gruppe erreicht, aber wenn sie in der Bundesliga keine positiven Ergebnisse erzielen und eine schlechte Performance zeigen, wächst der Druck.
Wenn die Ergebnisse stimmen, ist der Trainer immer der Richtige. Aber wenn der BVB die beiden restlichen Spiele des Jahres in Augsburg und gegen Mainz nicht gewinnen sollte, wird Hans-Joachim Watzke irgendwann seine Hand nicht mehr so schützend über Terzic halten, wie er es in den vergangenen eineinhalb Jahren getan hat.
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