Sky Kommentator Florian Schmidt-Sommerfeld blickt in seiner Kolumne auf das Geschehen in der Premier League. In seiner Premieren-Ausgabe beschäftigt er sich mit Liverpools Auftakt-Remis beim FC Chelsea.
Lady Gaga hat's mal überragend besungen. Live noch viel schöner als im Studio: Wie man on "The Edge Of Glory" lebt. Wörtlich: an der Kante (zum Ruhm). Oder auch gefährlich. Sinnhaft eher: nah am Ziel. Aber halt auch mit der Gefahr auf der falschen Seite runter zu kippen. Sie schrieb und sang über das Leben ihres Großvaters. Ich denke gerade nach den Eindrücken des ersten Match of the Week ähnlich über den FC Liverpool.
Immer auf Kante. So haben die Reds ihr erstes Premier League-Spiel der neuen Saison gespielt. Auf dem Weg zur Wiedergutmachung nach Platz fünf und der überraschend verpassten CL-Qualifikation. Die war unter Klopp ja zur absoluten Selbstverständlichkeit geworden. Undankbar dann direkt an die Stamford Bridge zu müssen meinte Jürgen Klopp hinterher. Ich bin bei ihm. Wobei - war ja nur der Zwölfte(!) der Vorsaison, mit neuem Trainer und unglaublichen Transfer-… nennen wir es freundlich: Bemühungen.
Liverpool auf der Kante
Wenn das kloppsche Heavy Metal Pressing greift - wirkt Liverpool phasenweise schon wieder gefährlich wie beim Titel 2020. Die ersten Minuten erstickt Chelsea förmlich am Druck. Befreit sich dann erstmals und genau dann schlägt Liverpool - was eine Kombination beim 1:0 von Weltmeister-Neuzugang MacAllister für Salah und er für Diaz - zu. Und lässt sich dann völlig den Stecker ziehen. Was wäre wenn Salah beim vermeintlichen 2:0 nicht im Zentimeter Abseits gestanden wäre? Danach fällt Liverpool auf der anderen Kantenseite runter.
Zu wenig Intensität gegen den Ball. Zu tiefes Anlaufen. Chelsea kombiniert sich problemlos mehrfach vors Tor und Liverpool muss froh sein, nur den Ausgleich zu kassieren, da Chelseas Doppelschlag auch wegen Zentimeter-Abseits vom VAR kassiert wird. In Halbzeit zwei legt Liverpool wieder irre intensiv los - kriegt einen offensichtlichen Hand-Elfmeter nicht (wofür haben wir da eigentlich den VAR?) und ist danach von der einen auf die andere Sekunde ein anderes Team.
Wer macht bei Liverpool eigentlich den Fabinho-Job?
Kann das wirklich gutgehen mit einem Dreier-Mittelfeld aus einem Sechser, der am liebsten auf der Zehn spielt (Mac Allister), einem Achter bis Offensiv-Allrounder (Szoboszlai) und einem Linksaußen-Mittelstürmer (Gakpo). Wer macht da eigentlich den Fabinho-Job? Die Sachen, die auch Thomas Tuchel beim FC Bayern vermisst? Ein Vollgas-Sechser muss unbedingt noch kommen. Romeo Lavia. 19 Jahre. Eine Premier League-Saison Erfahrung. Ich fürchte, er alleine reicht noch nicht für die ganz große Attacke.
Wenn alle gesund bleiben - ja! Aber die Hoffnung hat sich in anderen Mannschaftsteilen in den letzten Jahren leider zu oft zerschlagen. Die anderen Mittelfeldspieler sind seit dem Massenexodus im Mittefeld (Henderson, Fabinho, Milner, Oxlade-Chamberlain, Keita) primär offensiv-denkend und kreativ - und vor allem bis auf Thiago alle jung bis blutjung. Können im Herz des Spiels Anfang-Zwanziger wirklich schon alles alleine lösen? Kann ich mir schwer vorstellen. Im Meisterjahr 2020 war Fabinho mit 25 der Youngster im Mittelfeld. Selbst in dem Alter wäre er heute (ohne den öfter fehlenden Thiago) der Oldie.
Klopp-Spielweise immer "on the edge"
Klopps Spielweise wird immer on the edge sein. Das Vollgas-Pressing greift und Liverpool schießt jeden kurz und klein. Fragt mal (seit Frühjahr) im roten Teil von Manchester nach. Wenn die Automatismen aber mal nicht voll greifen - muss Sicherung da sein. Wenn man wieder an die Glanzzeit 2019-2020 mit Henkelpott und PL-Titel ran will. Oder man lebt halt verdammt gefährlich… hat ja auch was schönes. Für mich als Kommentator ein Traum. Tore, Wahnsinn und Spektakel garantiert. Aber für den Trainer und die Fans? Kopfschmerz-Gefahr am Montag nach dem Heavy Metal Hardcore-Konzert jedes Wochenende. Oder singen sie am Ende sowieso Richtung Klopp und Co?
You´ll Never Walk Alone! Even if you... live(rpool) on the edge?