Robert Lewandowski kritisiert seinen Arbeitgeber FC Bayern München öffentlich via Interview. Der Konter von Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge folgt umgehend. Unruhe beim Deutschen Meister kurz vor dem Champions League Auftakt gegen RSC Anderlecht: Sky Redakteur Kai Psotta nimmt dazu Stellung. In seiner Rubrik "Reingegrätscht" zieht er Parallelen zu einem ähnlichen Interview aus dem Jahr 2009.
Eigentlich müsste der FC Bayern Robert Lewandowski den roten Teppich ausrollen. Oder aus Dankbarkeit vor ihm auf die Knie fallen, angesichts seiner Denkanschübe, die er mit seinem Spiegel-Interview gegeben hat.
Stattdessen schäumt der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge vor Wut und kritisiert seinen Top-Stürmer in Bild: "Wer öffentlich den Trainer, den Verein oder die Mitspieler kritisiert, kriegt ab sofort Stress mit mir persönlich. Ich weiß schon, wie man Spieler zur Räson bringt."
Ist das wirklich die richtige Haltung?
Wenn man sich nämlich mit einem Textmaker vor das Magazin setzt, und Aussage für Aussage liest, kann man Lewandowski nur danken für seine überraschend offenen und ehrlichen Einblicke in sein Gefühlsleben.
Festzuhalten ist vorab zunächst: Das Interview wurde nicht mit dem FC Bayern abgesprochen. Es wurde nicht zwischen Tür und Angel geführt. Es ist keines dieser Mixed-Zone-Blabla-Interviews, also ein Abfragen binnen weniger Minuten, unmittelbar nach einem aufwühlenden Spiel. Es ist mit Vorbereitung eingefädelt und ganz in Ruhe geführt worden -zudem in Lewandowskis Muttersprache, sodass es nicht bei bloßen Worthülsen bleibt, sondern Tiefgang möglich ist.
Lewandowski übt Selbstkritik
Lewandowski kritisiert zunächst sich selbst, gibt Motivationsprobleme zu: "Ich muss zugeben, dass es mir in diesem Sommer wirklich schwerfiel, mich zu motivieren." Allein diese Ehrlichkeit hat heutzutage schon Seltenheitswert. Die meisten Spieler flüchten sich gerne in Floskeln und antworten nur in Stanzen. Lewandowski gibt auch noch unumwunden zu, dass die vielen Testspiele ihn "nicht weiterbringen" und begründet dieses auch noch plausibel.
Dass Lewandowski weiterhin die "permanente Überbelastung" beklagt und auf den "immer dichteren Spielplan" hinweist, müsste seinem Boss Rummenigge in die Karten spielen. Der bemängelt dies schon seit Jahren, sagt vor allem mit Blick auf die Länderspiele, dass die Belastung der Spieler ein gesundes Maß längst überschritten hätte und er an FIFA und UEFA appelliere "dieser Entwicklung dringend Einhalt zu gebieten".
Lewandowski traut sich die Sehnsucht vieler Fans auszusprechen, indem er sich mehr starke Mannschaften wünscht: "Die Bundesliga darf nicht von einer Mannschaft dominiert werden, selbst ein Zweikampf ist zu wenig."
Kritik an der Asien-Reise
Erst dann, nach dieser reflektierten Passage, spricht Lewandowski die großen, übergeordneten Themen an. Zum Beispiel die Auslandsreisen, die er skeptisch sieht. Nicht nur wegen der Belastung, sondern auch aus einem ganz anderen Gesichtspunkt: wegen der deutschen Sprache, die für die Vermarktung ein Nachteil sei. "Englisch und Spanisch werden in vielen Ländern der Welt gesprochen, Deutsch nicht. Große Teile der Bevölkerung haben schon allein dadurch einen stärkeren Bezug zur englischen oder spanischen Liga", so der Stürmer.
Rummenigge entgegnet ihm lapidar: "Wenn Lewandowski sich über die Asien-Reisen beschwert, die wir machen, sollte er wissen, dass sein vermeintlicher Traumverein Real Madrid im Sommer 24 Tage in der Hitze unterwegs war - doppelt so lang wie wir."
Sorge um Wettbewerbsfähigkeit
Seine wohl wichtigste Intention, die Kritik an der Zusammenstellung der Mannschaft, hat Lewandowski sachlich und besonnen geäußert. Er hat nicht mit dem Holzhammer draufgehauen, sondern Fakten genannt und Zustände beschrieben. "Bis heute hat Bayern München nie mehr als rund 40 Millionen an Ablösesummen für einen Spieler bezahlt. Im internationalen Fußball ist das schon längst eine Summe, die eher Durchschnitt als Spitzenwert ist. (…) Bayern muss sich etwas einfallen lassen und kreativer sein, wenn der Verein weiter Weltklassespieler nach München lotsen will", sagte der Pole.
Sollte man das als Spieler nicht sagen dürfen? Es zeigt, dass sich Lewandowski offensichtlich intensiv mit seinem Arbeitgeber auseinandersetzt, dass er sich Sorgen um die Wettbewerbsfähigkeit macht, dass er über den Tellerrand hinaus schaut. Lewandowski ist ein mündiger Spieler - einer mit Ideen. Er kritisiert nämlich nicht nur, sondern gibt an anderer Stelle sogar Anregungen, wie man zum Beispiel den Ablösewahnsinn in den Griff kriegen könnte.
Der Weg über die Medien war wichtig
Dass Lewandowski den Weg über die Medien gewählt hat, ohne Absprache mit dem Klub, war meines Erachtens wichtig und richtig. Sonst hätte er weniger Gehör gefunden. Um aufzurütteln, war dieser Weg wichtig. Man kann spekulieren, dass allein ein internes Gespräch seine Wirkung verfehlt hätte.
Lewandowski war sich des Risikos von Sanktionen sicherlich bewusst. Es zeugt aber auch von der Leidenschaft von Lewandowski, von Mut und von Persönlichkeit. Er will seinen FCB wachrütteln, damit man den Wandel des Fußballs nicht verschläft. Dass Rummenigge Lewandowskis Aussagen „bedauert", ist bedauernswert.
Lahm als Vorreiter
Vergessen wir eines nicht: Als das letzte Mal ein Spieler ein bemerkenswertes Interview gegeben hat, hat sich der FC Bayern letztlich gewandelt. Es war 2009, als sich Philipp Lahm in der Süddeutschen Zeitung äußerte, ohne vorab mit den Klubverantwortlichen Hoeneß und Rummenigge zu sprechen.
In diesem Interview beklagte er eine fehlende Philosophie. Sinngemäß hieß das: Dem FC Bayern fehlt ein Plan. Das ist die härteste Kritik, die ein Angestellter seinen Chefs um die Ohren hauen kann - und dann auch noch öffentlich.
Geschadet hat das Interview Lahm nur kurz, in Form einer Geldstrafe. Langfristig gesehen hatte er mit seiner Kritik recht. Vor dem Interview scheiterte Bayern regelmäßig im Viertelfinale der Champions League, nach dem Interview zog der Klub regelmäßig ins Halbfinale und Finale ein.