Am 31. Januar 2023 endet Jörg Schmadtkes Vertrag in Wolfsburg – und damit eine Ära. Denn der 58-Jährige hat die Bundesliga als Spieler und Manager in den vergangenen 40 Jahren maßgeblich mitgeprägt.
Mit Sky hat der kantige Rheinländer exklusiv über seine Pläne als Fußball-Rentner, anonyme Beschimpfungen, die Kohfeldt-Entlassung und die Ansprüche an dessen Nachfolger Niko Kovac gesprochen.
Skysport.de: Sie stehen mutmaßlich vor Ihrem letzten halben Jahr als Arbeitnehmer. Was macht der Gedanke mit Ihnen?
Jörg Schmadtke: "Im Moment beschäftige ich damit kaum. Ich stecke noch voll in der Arbeit und habe weder Lust noch Zeit, zu viele Gedanken an den Februar des nächsten Jahres zu verschwenden. Wenn ich mir aber mal einen Moment nehme, um darüber nachzudenken, dann freue ich mich auf die Zeit danach."
Skysport.de: Was haben Sie denn vor in der Zeit danach?
Schmadtke: "Wenn sich Dinge verändern, man aus der Routine heraustritt, dann macht das was mit einem. Es wird schon spannend sein, wie ich nach über 40 Arbeitsjahren damit umgehen werde, wenn ich relativ viel Zeit für mich und für die Familie haben werde. Die Frage lautet ja dann: Wird das so gut? Es gibt jedenfalls noch genügend spannende Dinge im Leben, die man machen und auf die ich mich freuen kann."
Skysport.de: Aber mit dem Fußballgeschäft ist dann Schluss?
Schmadtke: "Das ist der derzeitige Plan. Natürlich ist nicht auszuschließen, dass ich nach einem halben Jahr feststelle, dass ich mir das anders vorgestellt habe. Aber momentan sieht es so aus, dass ich Ende Januar meine Tasche packe, hier raus marschiere und mich vom Fußballgeschäft verabschiede."
Skysport.de: Befürchten Sie eine Leere, die Sie füllen müssen?
Schmadtke: "Ich habe davor keine Angst. Ich denke, dass ich noch jung genug bin, um mich mit Dingen zu beschäftigen, die außerhalb des Fußballs stattfinden. Wir befinden uns in spannenden Zeiten, und es wird einen deutlichen Wandel mit spannenden Herausforderungen geben. Als Stichworte seien da nur mal der Klimawandel, die Energiewende und der soziale Ausgleich genannt. Es wird doch spannend im Leben, wenn man sich nicht nur auf sein Kerngeschäft fokussiert, sondern auch mal nach links oder rechts schaut. Aber ich möchte jetzt hier keine Bewerbung abgeben - es wird sich was finden."
Wölfe lösen Vertrag mit Ex-Trainer Kohfeldt auf
Skysport.de: Wissen Sie jetzt schon, welche Begleiterscheinungen des Fußballs Ihnen auf keinen Fall fehlen werden?
Schmadtke: "Ja! Anonyme Beschimpfungen und falsche Informationen über Personen weiterzugeben. Wer davon nicht betroffen ist, denkt vielleicht, das ist im Job eingepreist - und dafür wird man ja auch gut bezahlt. Das macht aber was mit Menschen. Ich habe einen Umgang damit gefunden, aber ich warne davor, einfach darüber hinwegzugehen - denn das geht nicht immer gut aus."
Skysport.de: Ihre Vertragskonstellation wird mancherorts als Lame-Duck-Situation interpretiert. Ärgert Sie das?
Schmadtke: "Das habe ich wahr-, aber nicht ernstgenommen. Wenn das so wäre, würden Sie ja beispielsweise kaum Interesse daran haben, mit mir ein Interview zu führen."
Skysport.de: Verändert sich durch Ihren absehbaren Ausstieg die Art der Zusammenarbeit mit Marcel Schäfer?
Schmadtke: "Wir sind sehr offen in der Kommunikation und in der Arbeitsaufteilung. Laut Jobbeschreibung habe ich die letzte Entscheidung - aber es gibt da kein hierarchisches Denken. Wir arbeiten gemeinschaftlich, so, wie wir es vom ersten Tag vor vier Jahren an gemacht haben. Es wird also keine klassische Stabübergabe geben müssen, sondern ein fließender Prozess werden."
Skysport.de: Ab Februar wird Marcel Schäfer sich allein für Entscheidungen verantworten müssen, die Sie jetzt gemeinsam treffen und getroffen haben.
Schmadtke: "Man muss sich immer verantworten. Entweder wird man entlassen, oder man kriegt eine Medienpräsenz, auf die man ganz gut verzichten könnte. Meine Auffassung ist, dass ich das bestmögliche für meinen Arbeitgeber zu tun habe - bis zum letzten Tag."
Skysport.de: Warum ist Niko Kovac in dieser Konstellation der richtige Trainer?
Schmadtke: "Gewissheit hat man nie. Man versucht Vorstellungen abzugleichen und Abläufe zu antizipieren. Beurteilen kann man aber erst, wenn die Dinge geschehen sind. Unser Eindruck ist, dass wir jemanden gewonnen haben, der dem Klub guttut, der für neue Leidenschaft und Kontinuität steht und uns den Erfolg zurückbringt, den wir letztes Jahr nicht hatten."
Skysport.de: Warum haben Sie das Florian Kohfeldt nicht zugetraut?
Schmadtke: "Er kam in einer schwierigen Situation und hat für ein paar Dinge geradestehen müssen, die er nicht in Gänze zu verantworten hatte. Das Resultat unserer Gespräche war, dass die gesamte Gemengelage belastend für alle Beteiligten geworden wäre und es nicht ratsam war, so in die neue Saison zu gehen."
Skysport.de: Ein Stereotyp, das Ihnen anhaftet, ist, dass Sie mit Ihren Trainern oft nicht klarkommen. Irgendwie ironisch, dass Sie mit Kohfeldt nach sehr kurzer Amtsdauer einen Trainer entlassen mussten, mit dem Sie sich außerordentlich gut verstanden haben?
Schmadtke: "Ja, das ist es. Ich bin allerdings mit allen Trainern immer im Austausch gewesen - da sind zum Teil Dinge hineinkolportiert worden, die so nicht stimmten."
Wolfsburgs Trainer Niko Kovac verärgert
Skysport.de: War es aus menschlicher Sicht Ihre schwierigste Entlassung?
Schmadtke: "Für mich ist jede Entlassung unangenehm, weil ich weiß, dass das gesamte Gebilde dann nicht funktioniert hat. Man ist ja eine Arbeitsbeziehung eingegangen, weil man sich davon Erfolg versprochen hat. Wenn man das dann kappen muss, fühlt sich das nicht gut an. Ich stelle lieber jemanden ein, als jemanden zu entlassen."
Skysport.de: Also war es Ihre unangenehmste Entlassung.
Schmadtke: "So weit würde ich nicht gehen. Diese Gespräche sind immer unangenehm, weil ich weiß, dass die andere Seite ein Stück weit verletzt ist. Aber es gibt nun mal Situationen, die einen zu einer solchen Entscheidung drängen. Und dann muss man sie treffen - das gehört zum Job dazu."
Skysport.de: Wird Niko Kovac für den offenbar benötigten Stimmungsaufschwung sorgen können?
Schmadtke: "Niko ist grundsätzlich öffentlich positiv behaftet - durch seine Vita als Spieler und als Trainer. Das hilft natürlich, eine Gemengelage zu beruhigen. Am Ende wissen wir aber natürlich, dass es um Ergebnisse geht - und um nichts anderes."
Skysport.de: Sie kennen ihn schon lange…
Schmadtke: "…wir haben ja zusammengespielt - also er hat gespielt. Ich habe trainiert (lacht)."
Skysport.de: Wie hat er sich seit der gemeinsamen Zeit in Leverkusen entwickelt?
Schmadtke: "Er ist natürlich reifer geworden und weiter als Mensch und Persönlichkeit - das ist doch klar, dass man sich über einen Zeitraum von 20 bis 25 Jahren entwickelt. Es hat aber keinen grundsätzlichen Wandel gegeben - er hat sich nicht geändert."
Skysport.de: Kovac gilt als sehr fordernd. Genau das Richtige nach der schwachen Vorsaison?
Schmadtke: "Ja, das ist genau das, was wir uns versprechen. Das sind Dinge, die er vorlebt. Es ist natürlich noch sehr früh - aber wir erleben bereits jetzt während der Vorbereitung, dass vieles passiert, was wir uns erhofft haben."
Skysport.de: "München, Monaco - jetzt das beschauliche Wolfsburg. Wird die Umstellung schwierig für ihn?"
Schmadtke: "Da bin ich der falsche Ansprechpartner."
Skysport.de: Sie sind auch mal hier gestartet und mussten sich zurechtfinden.
Schmadtke: "Aber damit geht jeder anders um. Ich habe Niko so kennengelernt, dass er sich sehr genau überlegt, wohin er geht. Er verbindet gewisse Ansprüche mit seinem Arbeitgeber. Ihn interessieren die Arbeitsmöglichkeiten und die Infrastruktur, die er hier hat. Und die sind hervorragend."
Skysport.de: Meine Frage zielte eher auf die Unterschiede bei der Lebensqualität.
Schmadtke: "Lassen Sie uns mal bitte kein Bild von Wolfsburg erzeugen, das dieser Stadt nicht gerecht wird. Die längste Theke der Welt gibt es hier nicht - klar. Und doch ist es eine sehr lebenswerte und spannende Stadt - ob Sie es glauben oder nicht… Ich fühle mich hier seit vier Jahren sehr wohl. Mit dem Alter verschieben sich natürlich auch die Interessen. Wenn man 22 ist, gibt es hier weniger Möglichkeiten als in Berlin, Düsseldorf oder Köln. Ich empfinde die Stadt als sehr lebenswert."
Skysport.de: In erster Linie soll Kovac natürlich für sportlichen Erfolg sorgen - dafür braucht er einen starken Kader. Wie zufrieden sind Sie bislang mit der Zusammenstellung?
Schmadtke: "Wir sind bislang zufrieden - aber wir sind noch nicht fertig. Der Kader ist noch zu groß, da werden wir noch Veränderungen vornehmen müssen. Wir sind entspannt und glauben, dass der Kader eine gewisse Leistungsfähigkeit hat. Die muss nun herausgekitzelt werden."
Skysport.de: Braucht es nach dem Absturz im Vorjahr auch charakterlich einen Schnitt im Kader?
Schmadtke: "Wir haben ja im letzten Winter schon deutliche Veränderungen vorgenommen. Das war ein relativ großer Umbruch. Da sind wir ein Risiko eingegangen, weil es keine Anlaufzeit für die Neuen gab und man nicht genau wusste, ob es passen wird. Es hat funktioniert. Ich glaube im Übrigen nicht, dass wir uns im Grundsatz über den Charakter der Mannschaft unterhalten müssen. Seitdem ich hier bin, sind wir Sechster, Siebter und Vierter geworden. Die vergangene Saison war schlecht - wir sollten die drei Jahre davor aber nicht vernachlässigen."
Skysport.de: In der vergangenen Saison waren ein paar satte und unzufriedene Spieler dabei...
Schmadtke: "Darüber kann man diskutieren - ja."
Skysport.de: Sind die jetzt wieder gierig?
Schmadtke: "Jungen Menschen muss man auch mal die Möglichkeit geben, Lehren aus den Fehlern zu ziehen, die sie begangen haben. Ich bin sehr zuversichtlich, dass das geschehen ist."
Skysport.de: Wolfsburg will wieder oben angreifen. Befürchten Sie - auch angesichts der Transfers, die Bayern, Dortmund, Leverkusen oder auch Frankfurt tätigen -, dass die Kluft zu groß geworden ist?
Schmadtke: "Ich bin ein positiver Mensch, deshalb bin ich grundsätzlich zuversichtlich. Ich glaube, die letzte Saison war ein negativer Ausrutscher. In unserem Kader steckt deutlich mehr, und wir werden auch noch Qualität hinzufügen. Ich halte die Kluft nicht für unüberbrückbar. Es wird dann - wie immer - auf unsere Fitness ankommen, darauf, wie wir mit Verletzungen und Unwägbarkeiten umgehen und wie ausgeprägt unsere Stressresistenz ist. Ich bin sicher, dass unsere Mannschaft gut vorbereitet in die Saison gehen wird. Lassen Sie uns mal Mitte der Runde schauen, ob wir wirklich so weit weg sind von den Mannschaften, die Sie genannt haben."
Skysport.de: Blicken Sie neidisch auf die kostspieligen Transfers der Konkurrenten?
Schmadtke: "Nein. Je mehr gute Spieler verpflichtet werden, desto besser ist es für die Liga. Und die Liga ist für mein Empfinden ja ohnehin schon sehr attraktiv, - auch wenn da aus manchen Ecken schon manchmal der Abgesang angestimmt wird. Ich freu mich sehr darauf, Sadio Mane aus nächster Nähe zu sehen. Ist doch toll, einem Spieler bei der Arbeit zuschauen zu können, der sein Handwerk so herausragend versteht."
Skysport.de: Wäre ein Lewandowski-Abgang im Umkehrschluss ein Rückschlag für die Strahlkraft der Liga?
Schmadtke: "Wir wissen ja nicht, wie das ausgeht. Sein Abgang würde aber durch Mane ausgeglichen werden. Mit ihm ist jemand dazugekommen, der die Liga attraktiver macht, der dem gesamten Produkt Fußball guttun wird."
Skysport.de: Gilt das auch für die Götze-Rückkehr?
Schmadtke: "Mit ihm verbindet man den WM-Titel - ist doch toll, dass er wieder in seine Heimat-Liga zurückgekehrt ist. Glückwunsch dazu und Respekt davor, dass Frankfurt das gelungen ist."
Skysport.de: Auch Max Kruse zählt zu den strahlkräftigen Individualisten, die die Liga bereichern können. Kann Kovac das Beste aus ihm herausholen?
Schmadtke: "Das wird man sehen. Lassen Sie die beiden mal miteinander arbeiten und aufeinander wirken - dann schauen wir mal, was dabei herauskommt. Max hat einen speziellen Zugang zu seinem Job - eine außerordentliche Begabung. Wie das mit Niko kombinierbar ist, werden wir beobachten."
Skysport.de: Kann Kruse das gewisse Extra ins Gefüge einbringen?
Schmadtke: "Wir haben mehrere Spieler, die das können. Es wird ein hoch spannender, entwicklungsfähiger Kader sein, in dem einige Spieler das Quäntchen einbringen können, um den Unterschied zu machen."
Skysport.de: Bei der Frauen-EM in England sind einige Unterschiedsspielerinnen aus Wolfsburg dabei. Wie stehen die Chancen auf den Titel?
Schmadtke: "Die letzten Eindrücke, die ich gewonnen habe, sind sehr positiv. Turniere sind kompliziert - da gibt es Störfaktoren, die man nicht beeinflussen kann. Bei den Spanierinnen hat sich die wichtigste Spielerin das Kreuzband gerissen. Wenn es dem deutschen Team gelingt, sich von möglichen Störfaktoren nicht beeindrucken zu lassen, gehört die Mannschaft ohne Wenn und Aber zu den Titel-Aspiranten. Wenn ich mir die Souveränität und die Klarheit anschaue, mit der sie kürzlich gegen die Schweiz aufgetreten sind, kann man sich meiner Ansicht nach sehr auf das Turnier freuen."
Skysport.de: Uli Hoeneß oder Kalle Rummenigge stehen auch nicht mehr in der ersten Reihe, finden mit ihren Ansichten aber weiterhin Gehör. Werden Sie sich ab kommenden Februar ebenfalls meinungsfreudig und öffentlich zum Fußball-Geschäft einlassen?
Schmadtke (lacht): "Wir können davon ausgehen, dass das nicht der Fall sein wird. Ich strebe nicht an, der Schlauberger der Nation zu werden."
Alle weiteren wichtigen Nachrichten aus der Sportwelt gibt es im News Update nachzulesen.