Mit Kroatien und Marokko stehen zwei Überraschungsmannschaften im Halbfinale. Beide träumen nun vom ganz großen Coup - zurecht. Die Gründe für das überraschendste Finale der WM-Geschichte.
Während Kroatien bereits 2018 im Finale der Weltmeisterschaft stand und nun nach dem überraschenden Ausschalten von Titelfavorit Brasilien erneut den Finaleinzug vor Augen hat, will sich Marokko auf der Euphorie-Welle bis ins Finale tragen lassen.
Kroatien: Die Erfahrung
Bei den Kroaten ist der Faktor Erfahrung ein großer Pluspunkt. 27,4 Jahre beträgt das Durchschnittsalter des kroatischen Kaders, junge Spieler wie der 20-Jährige Josko Gvardiol, der von seinem Trainer Zlatko Dalic unlängst als "bester Innenverteidiger der Welt" betitelt wurde, können von erfahrenen Spielern wie Dejan Lovren (33) lernen und neben ihnen brillieren.
Das Herzstück Kroatiens ist zudem die Mittelfeld-Zentrale. Modric, Brozovic und Kovacic, alle bei internationalen Top-Klubs gesetzt, bringen nicht nur viel Erfahrung mit, sondern schaffen auch Ruhe im Spiel. "Bei ihnen ist der Ball sicherer als das Geld auf der Bank", beschrieb Abwehrspieler und Teamkollege Josip Juranovic die Mittelfeld-Achse aus den drei Top-Stars.
Die kroatische Nervenstärke
Sechs Mal musste Kroatien insgesamt bei dieser und der letzten WM ins Elfmeterschießen, alle sechs gewannen sie. Während im Viertelfinale die Brasilianer Nerven zeigten, trafen alle vier kroatischen Schützen. Acht Spieler aus dem WM-Kader von 2018 sind auch in Katar wieder dabei, Mario Mandzukic sitzt dazu als Co-Trainer mit auf der Bank.
Die Mannschaft von Dalic weiß um ihre Qualitäten und beweist in den wichtigsten Momenten Nervenstärke. Der Glaube, Argentinien zu schlagen und erneut wie vor vier Jahren ins WM-Finale einzuziehen, ist bei den Kroaten vorhanden.
Livakovic und Bono: Der Rückhalt im Tor
Auch im Tor hat Kroatien einen großen Rückhalt: Schlussmann Dominik Livakovic hielt drei Elfmeter gegen Japan und einen gegen Brasilien. Doch auch im Spiel bewies er seine Klasse mehrfach und ließ im Viertelfinale Neymar & Co. mit einigen Glanzparaden verzweifeln.
Diesen Rückhalt im Tor haben auch die Marokkaner: Yassine Bounou, genannt "Bono" wurde mit zwei gehaltenen Elfmetern, sowie einigen starken Paraden gegen Spanien zum "Man oft the Match" gekürt, in fünf WM-Spielen kassierte er nur ein Gegentor - er ist zudem der erste afrikanische Torhüter, der bei einer Weltmeisterschaft dreimal ohne Gegentreffer blieb.
Das marokkanische Abwehrbollwerk
Doch nicht nur Bono ist diese Bilanz von nur einem Gegentreffer zu verdanken. Mit unglaublich diszipliniertem Verteidigen machen es die Marokkaner ihren Gegnern schwer bis unmöglich, ein Tor zu erzielen. Abwehrchef Romain Saiss und Sofyan Amrabat, der als Abräumer vor der 4er-Kette agiert, sind Schlüsselspieler im marokkanischen Abwehrbollwerk.
Ausnahmslos jeder Spieler, egal ob in der Startelf stehend oder eingewechselt, liefert einen Kampf auf dem Platz. Jeden seiner Spieler sah Trainer Walid Regragui vor dem Portugal-Spiel "bereit für Marokko zu kämpfen und zu sterben" - nach dem 1:0-Erfolg über die Portugiesen mit Starspieler Ronaldo wurde einmal mehr klar, dass dies keine Plattitüde war.
Dieses leidenschaftliche Verteidigen bis zur letzten Sekunde sorgt dafür, dass spielerisch starke Mannschaften wie Portugal ihr "Joga Bonito" (übersetzt "schönes Spiel") gar nicht erst aufziehen können. Auch die Franzosen stehen vor der großen Herausforderung, dieses Abwehrbollwerk zu knacken.
Die große Euphorie
Die Spielweise und der anhaltende Erfolg der Marokkaner sorgte für eine Welle der Euphorie. Die gesamte arabische und afrikanische Welt jubelt ihnen zu, diese Begeisterung spürt die Mannschaft - und überträgt sie auf den Platz. "Der Rocky dieser WM" beschrieb Trainer Regragui den Traum, den Marokko gerade lebt und fortführen will. Die Freude ist grenzenlos, das Selbstvertrauen auch. Genau das macht sie so gefährlich, auch für die Franzosen im Halbfinale.
In beiden Halbfinal-Partien kristallisieren sich jeweils Argentinien und Frankreich als große Favoriten auf das Weiterkommen heraus, doch Kroatien und Marokko haben mehr als nur Außenseiterchancen. Beide haben hochfavorisierte Teams aus dem Turnier gekegelt, Kroatien schlug Brasilien, Marokko besiegte Spanien und Portugal.
Dass das WM-Finale am Ende nicht Argentinien gegen Frankreich, sondern Kroatien gegen Marokko heißt, wäre so überraschend wie historisch.
Aber definitiv nicht ausgeschlossen...