Matthäus zu Deutschlands WM-Start: Stammspieler haben Löw im Stich gelassen
Matthäus-Kolumne: "So sehe ich das"
19.06.2018 | 11:12 Uhr
Sky Experte Lothar Matthäus analysiert jede Woche exklusiv in seiner Kolumne "So sehe ich das" aktuelle Themen aus der Fußballwelt auf skysport.de. Dieses Mal analysiert der Weltmeister von 1990 Deutschlands WM-Auftaktniederlage gegen Mexiko.
Was war das für eine unglaubliche Enttäuschung, die unsere Mannschaft beim 0:1 gegen Mexiko hinterlassen hat. Die Spieler haben so gut wie kein Eins-gegen-Eins gewonnen. Das Umschaltspiel war mangelhaft. Zweikämpfe? Weder angenommen noch gewonnen. So gut wie alle 50:50-Entscheidungen gingen an die Mexikaner.
Kein Pressing, keine Stabilität. Die Abstände waren so groß, dass man fast erschrocken ist. Vor allem die Abstände zwischen den Innenverteidigern Hummels/Boateng und der Zentrale aus Kroos/Khedira. Da sollten niemals 30 bis 40 Meter dazwischen liegen. Unsere Tugenden waren nicht vorhanden. Alles, was eine deutsche Mannschaft seit jeher ausmacht, nicht existent.
Özil, Khedira und Müller enttäuschen total
Mit Geschwindigkeit über die Außen zu spielen wäre ein probates Mittel gewesen, um die Mexikaner auseinander zu ziehen und zum Abschluss zu kommen. Problematisch: Thomas Müller ist auf dem Flügel nicht optimal aufgehoben. Ihm fehlen Geschwindigkeit und Dribblingstärke. Bei Bayern ist er auch am besten, wenn er sich um Lewandowski herum bewegt. Er war nicht anwesend, ist ständig ins Leere gelaufen.
Die sogenannten Löw-Stammspieler haben unseren Nationaltrainer im Stich gelassen. Damit meine ich vor allem Özil, Khedira und Müller.
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Nur Neuer in Normalform
Auch die Bayern-Spieler (außer Neuer) haben weder ihre Leistung gebracht, noch haben sie den Führungsstil, der sie normalerweise auf dem Platz auszeichnet, gezeigt.
Ohne klares Konzept kann man um den Sechzehner herum machen, was man will. Wenn dies ohne Plan geschieht, kann nichts Zählbares herauskommen. Weit und breit war von spielerischer Struktur nichts zu sehen. Der Einzige, der Normalform hatte, war Manuel Neuer nach acht Monaten Pause. Bitter genug.
Der Wille war vielleicht vorhanden, aber Deutschland hat im Grunde alles nur nach vorne geworfen und gehofft. So kann das bei einer WM nichts werden. Ein Auftritt, der schockiert.
Reus hätte von Anfang an spielen müssen
Die beste Chance hatten wir dann durch den Schuss von Julian Brandt, der für Leroy Sane mitdurfte. Sane hätte Deutschland sehr gut zu Gesicht gestanden. Der hätte außen den einen oder anderen Mexikaner schwindelig gedribbelt und die Abwehr wenigstens ein paar Mal in Bedrängnis gebracht.
Ähnlich wie Marco Reus nach seiner Einwechslung. Er hätte meiner Meinung nach von Anfang an spielen müssen. Im ersten Spiel einer WM geht es darum, perfekt in ein Turnier zu starten und nicht darum, Spieler zu schonen, weil man wahrscheinlich weit kommt. Es hat ja auch nicht ter Stegen begonnen, damit Neuer im Halbfinale noch bei Kräften ist.
Selfie-Kritik an Brandt nicht zu verstehen
Noch ein Wort zu Julian Brandt. Er wurde kritisiert, weil er nach dem Spiel mit einem Fan ein Selfie gemacht hat. Er hat sich volksnah gezeigt und jemandem einen kleinen Gefallen getan. Ja und? Wäre er in der Moskauer Nacht betrunken auf einer Party erwischt worden, könnte ich Kritik verstehen. Aber dafür nicht. Im Gegenteil. Das war menschlich und eine nette Geste, die von Herzen kam.
Özil scheinen Team und Fans egal
Von Herzen egal scheint mir die Einstellung von Mesut Özil gegenüber Team und Fans. Dass er unsere Nationalhymne nicht mitsingt, von mir aus. Aber dass er es danach nicht für nötig hält, den Fans zuzuwinken und kurz zu klatschen, das kann ich nicht verstehen.
Wenn man schon einen Fehler gemacht hat, dann wäre eine solche Geste ein schönes Symbol gewesen, um sich zur Nationalmannschaft zu bekennen. Aber ich habe das Gefühl, dass er sich mit dieser nicht identifiziert. Er vermittelt den Eindruck, als sei er in einer eigenen Welt aber nicht ein Teil dieses Teams.
Schluss mit der Nibelungentreue!
Jetzt warten auf Jogis Jungs sechs bescheidene Tage. Anstatt nach einem Sieg mit einem Lächeln morgens zum Training zu kommen und danach den Mannschaftsgeist zu festigen, muss man nach dieser Niederlage froh sein, wenn man im kargen Watutinki überhaupt ein positives Wir-Gefühl entwickelt.
Joachim Löw muss jetzt durchgreifen. Schluss mit der Nibelungentreue, vor allem für Mesut Özil. Er bringt schon seit sehr langer Zeit nicht das, was er könnte, müsste, sollte. Den Blick nach vorne gerichtet denke ich, dass Löw keinen radikalen Schnitt für das Schweden-Spiel vornimmt. Er wird höchstens zwei, drei Positionen verändern. Spätestens dann wird sich zeigen, ob das wirklich eine Mannschaft ist, die auch mal zurückschlägt, wenn es nötig ist und ungemütlich wird. Ich hoffe es sehr.