Die Corona-Pandemie zwingt nun auch die LIQUI MOLY HBL in die Knie. Die aktuelle Saison wurde am Dienstag abgebrochen. Wie es nun weitergeht, weiß niemand. Sky Experte Stefan Kretzschmar wagt einen Blick in die Glaskugel und spricht über kreative Szenarien und intelligente Doppelspieltage.
Die Handball-Bundesliga wurde am Dienstag offiziell für beendet erklärt. Für viele kam das nicht unerwartet. So auch für Sky Experte und Füchse-Sportvorstand Stefan Kretzschmar:
"Es ist ja jetzt nicht so, dass es uns aus heiterem Himmel trifft. Alle Beteiligten, die in der Handball-Bundesliga unterwegs sind, haben in den letzten Wochen und Monaten aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung der Pandemie damit gerechnet. Es war immer noch so ein Rest Hoffnung, dass man eventuell Mitte Mai die Liga zu Ende spielen könnte, aber das ist nicht darstellbar - aus politischen und gesellschaftlichen wie auch aus ökonomischen Gründen. Es war nur konsequent, die Liga zu beenden.
Kiel Meister - Füchse "nur" Platz sechs
Das Präsidium der HBL hat mittels Quotientenregelung den THW Kiel zum neuen Deutschen Meister gekürt. Für die Füchse Berlin ist diese Regelung allerdings von Nachteil, wir rutschen dadurch auf Platz sechs in der Tabelle und sind somit aus dem internationalen Geschäft in der kommenden Saison vorerst raus. Das ist schon hart, aber es gibt keine Entscheidung, die alle zufriedenstellt. Da gilt bei uns das demokratische Verfahren aller Stimmen der Bundesligisten.
Der HBL-Krisenstab um Frank Bohmann und Uwe Schwenker macht einen transparenten und guten Job, deswegen gilt auch in den Situationen, wo es den eigenen Verein trifft, Solidarität zu zeigen und sich dem Wohl der Handball- und Liga-Allgemeinheit unterzuordnen und anzuschließen. Für die Füchse ist die Tabelle jetzt nicht ganz so positiv, aber irgendeine Regelung musste gefunden werden. Und diese finde ich schon fair.
Wäre anders entschieden worden, hätte es z.B. die Rhein-Neckar Löwen getroffen. Man kann es mit solchen Entscheidungen sicherlich nicht allen recht machen. Und die Abschlusstabelle ist ja jetzt nicht ungerecht. Die Frage ist nur, welchen Wert hat es generell in dieses Jahr für den THW, dass er jetzt Deutscher Meister ist. Das hat natürlich irgendwo einen komischen Beigeschmack, aber wir akzeptieren in der Krise alles so, wie es ist.
Führt die Aufstockung der Liga zur Überbelastung?
Da es in der aktuellen Saison keine Absteiger gibt, dafür aber Aufsteiger, steht nun fest, wer aus der unteren Liga in die HBL hochrückt. TUSEM Essen steigt als Zweitplatzierter auf, der HSC 2000 Coburg ist Meister der zweiten Bundesliga. Herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle! Das darf und soll auch unbedingt gefeiert werden - natürlich nur im rechtlichen und ethischen Bereich!
Somit kommt es in der Liga zu einer Aufstockung von 18 auf 20 Mannschaften. Das Thema Überbelastung werden wir aber nach der Krise nicht mehr so oft hören. Wenn die Pandemie zu irgendwas gut ist, dann dass alle Verletzten und angeschlagenen Spieler eine unfassbar lange Regenerationszeit haben. Aufgrund des Lockouts werden alle- meiner Meinung nach - auch sehr motiviert zurückkehren, wenn sie denn wieder dürfen. Da wird man aus Sicht der Spieler nicht viel hören.
Finanzielle Einnahmen vom EHF-Cup-Final4 brechen weg
Wie es international im EHF-Cup und auch in der VELUX EHF Champions League weitergeht, wissen wir auch noch nicht. Es soll wohl von der EHF eine Entscheidung in den nächsten Tagen/Wochen geben. Der Berliner Senat hat bekanntgegeben, dass bis zum 24. Oktober keine Veranstaltung mit mehr als 5000 Menschen stattfinden dürfen in der Hauptstadt.
Wir hätten in diesem Jahr das EHF-Cup-Final4 in Berlin ausgetragen. Ich glaube, davon können wir uns verabschieden. Wir werden wohl in diesem Jahr international keinen Pokal mehr ausspielen. Das ist für uns natürlich auch ein finanzieller Verlust, weil wir uns ausgerechnet haben, dass Final4 zu erreichen und damit dann auch Geld zu verdienen bzw. da auch ökonomische Einnahmemöglichkeiten hätten, die jetzt wegbrechen.
Wir müssen uns nichts vormachen, diese Final4-Turniere sind nicht nur für die EHF, sondern auch für die HBL mit dem REWE Final4 enorme Einnahmequellen. Beim DHB-Pokal sind das ungefähr eine Million Euro Einnahmen für die Liga. Da verzichtet man nicht gerne drauf, daher versucht man andere Lösungen zu finden, um dieses Finale auf jeden Fall stattfinden zu lassen. Die EHF hat das Champions-League-Finale somit auf das Jahresende (27./28. Dezember) verschoben.
Diese Verschiebung ist aber momentan nur eine Wasserstandsmeldung. Was es aber in Zukunft für Szenarien geben wird - wann die HBL und CL wieder anfängt, in welchem Modus, welche Mannschaften es überhaupt noch gibt, wer noch Spieler verkaufen muss, wer ökonomisch noch an den Rand der Existenz getrieben wird - das kann man heute noch gar nicht absehen. Morgen kann schon wieder alles ganz anders aussehen.
Transferfrage beschäftigt auch Kretzschmar
Sportlich ist eine Verschiebung des Final4 nur schwer darstellbar, weil Spieler im Sommer wechseln und dann schon für ihre neuen Vereine aktiv sind. Entweder wird das Final4 dann mit dem neuen Verein gespielt oder man ist gar nicht mehr dabei oder kommt neu dazu. Das hat dann natürlich mit der aktuellen Mannschaft, die sich das erarbeitet hat, nur noch wenig zu tun.
Wie es mit den Transfers bei den Füchsen weitergeht, ist noch unklar, da wir momentan keine konkrete Verlustgrößenordnung haben. Wir wissen nicht, was in den nächsten Wochen auf uns zukommt. Ganz viele Betriebe sind nach dem ersten Monat der Pandemie schon in Schwierigkeiten oder sogar in der Insolvenz, einige werden folgen je länger das dauert oder haben Angst um die Zukunft, setzen auf Kurzarbeit. So ist es auch bei den HBL-Klubs.
Wir wissen noch nicht, mit welchen Verlusten wir in der neuen Saison kämpfen müssen. Wir können nur verschiedene Szenarien durchgehen, um vorbereitet zu sein. Fest steht aber eins: Wir werden uns sicherlich von einigen Spielerverträgen trennen müssen, Gespräche müssen nun geführt werden. Ohne die Hilfe der Mannschaft, die natürlich den Großteil des Budgets eines Vereins ausmacht, werden wir da auch nicht unfallfrei durchkommen. Ein Verzicht aller Beteiligten, nicht nur der Spieler, sondern auch der Offiziellen, ist unumgänglich.
Werden intelligente Spieltage entwickelt?
Wenn dieser Lockout aber vorbei sein sollte, dann überschlagen sich die Ereignisse ins Unermessliche: Alle, die den Veranstaltungen verwehrt geblieben sind, werden dann versuchen, vermehrt zurückzukommen. Das gilt für den Mannschaftssport, aber auch für Künstler, Musiker, etc. Das wird einen Einfluss auf unsere Veranstaltungshallen - die großen Arenen der Bundesliga - haben. Dieser Multiplikator "Veranstaltungen mit Zuschauern" kommt dann doppelt und dreifach zurück, deswegen ist es auch wichtig, dass man sich über verschiedenen Szenarien Gedanken macht.
Die Krise zwingt uns alle zu Kreativität: So gibt es Überlegungen, wenn die Hinrunde ohne Zuschauer stattfinden muss, dass man dann sogenannte Doppelspieltage macht. Berlin würde am Freitag in Mannheim spielen und am Sonntag dann halt in Friesenheim. So fängt man die Wucht der Reisen ab und minimiert die Kosten, weil die Zuschauer-Einnahmen wegfallen. Intelligente Spieltage sind ein Modell, worüber man nachdenken muss.
Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt
Auch nicht uninteressant ist, mit der IHF darüber zu reden, die WM 2021 im Januar in Ägypten, wenn ohne Zuschauer gespielt werden muss, vielleicht in den Oktober vorzuziehen. Dann könnte die HBL im November begonnen werden und beispielsweise im Januar durchgespielt werden. Dann hätte man weniger Einnahmeverluste, zumindest wäre dann ein Monat gewonnen.
Das sind alles kreative Szenarien, die man jetzt durchspielt. Da machen sich in der HBL viele Leute viele Gedanken, in der EHF und IHF wird es nicht anders sein. Es ist jetzt eben der Blick in die Glaskugel gefragt. Aber es ist auch die Zeit für Kreativität, wir können nachhaltig in unserer Sportart Sachen angehen und auch mal verändern. Alles war bisher in Stein gemeißelt, und jetzt ist irgendwie alles verhandelbar, jetzt sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt, mal gucken, vielleicht kommt ja sogar am Ende der Krise etwas Gutes bei raus, selbst wenn es momentan sehr schwer vorstellbar ist."