Kretzschmar: Trainer-Entlassungen können nach hinten losgehen
27.02.2020 | 12:18 Uhr
Sky Experte Stefan Kretzschmar analysiert in seiner Kolumne regelmäßig die wichtigsten Themen aus der Welt des Handballs. Diesmal spricht er über die Trainerentlassung bei den Rhein-Neckar Löwen und das Drei-Spiele-Ultimatum von der MT Melsungen. Für den Bergischen HC gibt es lobende Worte.
Die Rhein-Neckar Löwen haben am Samstag ihren Trainer Kristjan Andresson entlassen. So eine Entscheidung ist immer - wie Löwen-Geschäftsführerin Jennifer Kettemann auch gesagt hat - ein Ergebnis einer Phase oder einer Entwicklung, mit der man nicht zufrieden ist. Die Verantwortlichen hatten den Eindruck, dass es so nicht mehr weitergeht - dann muss man nun mal unpopuläre Entscheidungen treffen.
Jeder Verein möchte mit seinem sportlichen Konzept 100 Prozent durch die Saison gehen. Eine Beurlaubung des Trainers hat ja auch immer mit Scheitern und Enttäuschung zu tun. Demzufolge ist das immer ein unangenehmer Moment, weil das zeigt natürlich, dass man die Ziele nicht erreicht hat und so nicht weiter machen will.
Was genau die Beweggründe bzw. die Ursachen für die Entlassung von Andresson waren, können Außenstehende nicht beurteilen. Da muss man einfach auf die Erklärungen und Zitate der Verantwortlichen warten bzw. die dann auch so hinnehmen und respektieren. Es war klar, dass Vorgänger Nikolai Jakobsen große Fußstapfen hinterlässt, für jeden Trainer wäre das schwer geworden.
Aber eine Sache kann man sehr wohl als Außenstehender beurteilen: Die Stärke und Dominanz der Abwehr hat in den vergangenen Jahren abgenommen. Die Defensive der beiden Meisterschaftsjahre hatte eine andere Qualität als jetzt. Das hat nicht unbedingt was damit zu tun, dass die Spieler in ihrem Leistungsvermögen den Ansprüchen hinterherhinken oder nachlassen, sondern dass hat auch viel mit dem Weggang von Hendrik Pekeler zu tun, der ein wichtiger Pfeiler der Löwen in diesen beiden Jahren war. Das schwächt schon enorm.
Die Neuzugänge sind sicherlich nicht so eingeschlagen, wie man sich das erhofft hat. Immerhin hat Niclas Kirkelokke am Wochenende beim EHF-Cup mit guter Leistung überzeugt. Im Angriff sehe ich die Löwen nicht schlecht aufgestellt, da spielen sie nach wie vor einen guten Handball mit Andy Schmid und Jannik Kohlbacher. Allerdings sind die Halbpositionen in den vergangenen Monaten durchaus als Schwächen diagnostiziert worden. Und es ist dann natürlich nicht möglich, während der Saison die Spieler auszutauschen. Die einzig mögliche Variante bei Unzufriedenheit ist, den Trainer auszutauschen.
Ich kenne den Sport, ich bewege mich seit Jahrzehnten im Handball und weiß, dass wenn der Verein nicht zufrieden ist oder sich eine andere Entwicklung versprochen hat und Unruhen aus dem Umfeld reinkommen, dass dann ordentlich Druck auf den Kessel kommt. Dann wird man manchmal gezwungen, Entscheidungen zu treffen, die man gar nicht unbedingt treffen möchte. So eine Entscheidung fällt nicht immer leicht, weil dieser Schuss auch nach hinten losgehen kann. Mit einem Trainerwechsel setzt man einmal alles auf eine Karte und erhofft sich dann, dass es sich zum Positiven entwickelt.
Michael Abt ist sicherlich ein guter Trainer, der bei der zweiten Mannschaft und auch im Nachwuchs tolle Arbeit leistet. Aber ich glaube, dass man sich in Mannheim bereits nach einem neuen Trainer für den Rest der Saison umschaut. Sollte jemand geeignetes zur Verfügung stehen, dann werden sie demnächst einen neuen Coach präsentieren.
Es gibt Trainer, die funktionieren bei dem einen Verein sehr gut, bei einem anderen wiederum nicht. Ich selber kann manchmal nicht beurteilen, warum ein Coach, den ich für gut halte, in einem Verein manchmal gar nicht funktioniert, dann aber wiederum in einer anderen Stelle herausragende Arbeit leistet. Da muss man einfach auch ein gutes Händchen haben, ein gutes Gespür und hoffen, dass es funktioniert. Ich glaube schon, dass es einen Trainer auf dem Markt gibt, der die Persönlichkeit und die Qualität hat, um den Löwen weiterzuhelfen.
Die MT Melsungen hingegen stellt ihrem Trainer Heiko Grimm ein Drei-Spiele-Ultimatum und analysiert anschließend die Entwicklung. Da hat jeder eine andere Herangehensweise. In Melsungen hat man das jetzt so entschieden, um dem Trainer und der Mannschaft nochmals eine Chance zu geben. Aber das kann man sich da selber ausrechnen: Sollte kein Aufwärtstrend zu sehen sein, dann wird es an erster Stelle auch Konsequenzen für den Trainer geben.
Nicht jeder Verein, bei dem es aktuell nicht läuft, verfällt jetzt in Aktionismus. Beim Bergischen HC finde ich es zum Beispiel sehr sympathisch, dass der Verein trotz einer negativen Phase und einer vergleichsweisen "schlechten Saison" einfach realistisch geblieben ist und alle zusammenstehen und da auch gemeinsam durchgehen.
Wenn man Realismus und sportlicher Sachverstand weiten lässt, dann weiß man, dass solche Phasen eben auch mal vorkommen können, man dann aber die Ruhe behalten und weiterhin auf seine erfolgreiche Strategie der letzten Jahre setzen sollte. Man muss immer die Gründe eruieren, warum es nicht läuft und ob es in der Verantwortung des Trainers liegt. Dabei spielt es eine große Rolle, wie der Kader während der Saison aussieht und auch wie viele Verletzte es im Team gibt. Das muss man Punkt für Punkt, Mannschaft für Mannschaft anders und mit den eigenen Dynamiken bewerten.
Auch in Nordhorn-Lingen sind die Verantwortlichen realistisch. Da jetzt den Trainer auszutauschen, nur um die Liga zu halten, ist in meinen Augen übertrieben. Alle Beteiligten holen aus ihren Möglichkeiten das Optimum heraus und gehen durchaus realistisch mit ihren Zielformulierungen um. Einige planen rechtzeitig zweigleisig für die Zweite Liga, das finde ich vernünftiger, als irgendwelche Bäume und Ansprüche permanent in den Himmel wachsen zu lassen. Es gibt viele Faktoren, die eine Rolle spielen. Ich bin ein Freund davon, dass man Ruhe bewahrt.