Es ist eine frohe Botschaft, die die schleswig-holsteinischen Fans am Montag erreicht: Vier Wochen vor Saisonende dürfen in Kiel und in Flensburg wieder Zuschauer in die Hallen. Die Klubs wird es freuen, schließlich kann zu diesem Zeitpunkt im Meisterschaftsrennen jedes Detail den Ausschlag geben.
Die Rhein-Neckar Löwen griffen vergangene Woche in den Titelkampf ein und brachten die Flensburger an den Rand einer Niederlage, am Ende wurde es ein Remis. Nach dem Spielverlauf scheint es wie ein gewonnener Punkt des Vizemeisters, doch im Endeffekt ist es auch ein verlorener Punkt im Meisterrennen.
Corona verstärkt die Überbelastung
Während die Handball-Saison 2019/20 am 21. April letzten Jahres abgebrochen wurde, sollte die aktuelle um jeden Preis durchgeführt werden. Doch die Pandemie machte es allen Akteuren schwer und Infektionen innerhalb der Mannschaften sorgten immer wieder für Quarantänen, die den Spielplan verdichteten.
Seit Jahren wird die Überbelastung der Spieler kritisiert, Corona verschlimmerte die Zustände noch. Mannschaften mussten direkt nach einer 14-tägigen Auszeit ohne nennenswerte Trainingsmöglichkeiten Spiele bestreiten, die Verletzungen häufen sich und kein Spieler ist zu diesem Zeitpunkt der Saison noch fit.
Dazu kommt der enge Spielplan, der kaum noch Zeit in der Trainingshalle ermöglicht. Vielmehr müssen Spiele genutzt werden, um die Belastung zu verteilen und Abläufe zu verinnerlichen. Ob dabei schöner Handball gespielt wird, steht schon lange nicht mehr im Mittelpunkt.
Kehrt THW-Kreisläufer Wiencek zurück?
Die Personalsituation beim Rekordmeister scheint sich auf den ersten Blick zu entspannen. Weiterhin fehlt der Langzeitverletzte Nikola Bilyk, mit dem nach einem Kreuzbandriss erst wieder ganz zum Ende der Saison gerechnet wird. Besonders schmerzlich wird Patrick Wiencek vermisst, der normalerweise mit Hendrik Pekeler den Weltklasse-Innenblock bildet und der aktuell mit einem Wadenbeinbruch ausfällt.
Dieser Ausfall verstärkt die Belastung bei Kollege Pekeler und Routinier Pavel Horak, im Angriff wird vermehrt auf Youngster Leon Ciudad Benitez gesetzt - die Kräfte müssen schließlich gut eingeteilt werden. Es gibt allerdings Hoffnung im Fall Wiencek: Am Mittwoch soll sich entscheiden, ob er mit zum REWE Final4 (03. Juni, 17 Uhr) reisen kann.
"Die Hoffnung ist groß, dass wir mit dem kompletten Kader bis auf Nikola Bilyk dabei sein können", sagt Geschäftsführer Viktor Szilagyi im Rahmen einer virtuellen Pressekonferenz. Er dämpft allerdings die Erwartungen - inwieweit er aktiv eingreifen könne, sei eine andere Frage.
Flensburg setzt auf Weltmeister als Übergangslösung
Zuletzt machte der Vizemeister mit einer sensationellen Kaderentscheidung Schlagzeilen, die überraschend kam: Aufgrund der Verletzung von Stammtorhüter Benjamin Buric wird Sky-Experte und Ex-Weltmeister Henning Fritz übergangsweise auf das Bundesliga-Parkett zurückkehren. Er wird eine Backup-Rolle hinter Torbjörn Bergerud und dem jungen Felix Backhaus einnehmen. Zuletzt präsentierte sich Bergerud allerdings in starker Verfassung und kompensierte den Ausfall Burics hervorragend.
Auch auf Lasse Möller muss Flensburg weiterhin verzichten, im März wurde bekannt, dass der 24-jährige Rückraumspieler wegen eines Knorpelschadens im linken Knie auf unbestimmte Zeit nicht zur Verfügung stehen wird. Dazu kommt Kreisläufer Jacob Heinl, der sich im Januar wegen eines Meniskus- und Knorpelschadens erneut am rechten Knie hat operieren lassen. Außerdem fehlt Franz Semper weiterhin aufgrund eines Kreuzbandrisses.
Auf den ersten Blick scheint Kiels Personalsituation folglich weniger angespannt, doch was bedeutet fit aktuell überhaupt? Müdigkeit, Reisestress und Blessuren begleiten selbst die auf dem Feld stehenden Akteure. Es wird daher von vielen Seiten gemutmaßt, dass keine Mannschaft ohne Punktverlust durch die weitere Saison kommen könnte, dementsprechend würde es lediglich darauf ankommen, welche Mannschaft die wenigsten Punktverluste hinnehmen muss.
Flensburgs vermeintlich leichteres Restprogramm: SCM und Füchse
Dass es in der LIQUI MOLY HBL keine leichten Aufgaben und Gegner gibt, zeigt diese Saison erneut eindrucksvoll. Trotzdem lohnt sich ein Blick auf das Restprogramm: SC Magdeburg (H), TBV Lemgo Lippe (A), TSV Hannover-Burgdorf (H), TVB Stuttgart (A), Füchse Berlin (H), HSG Nordhorn-Lingen (A), HC Erlangen (A), HBW Balingen-Weilstetten (H) heißen die Aufgaben für Flensburg.
Nominell stechen die Partien gegen den SC Magdeburg (Platz drei in der Tabelle) und die Füchse Berlin (Platz fünf) heraus, besonders die Füchse haben zuletzt wichtige Erfolge gefeiert. Doch auch Lemgo, Hannover, Erlangen und Stuttgart sind immer für eine Überraschung gut und für Balingen geht es als 16. weiterhin um den Klassenerhalt.
Kiels Restprogramm: SCM, Göppingen, Löwen
Der Titelverteidiger muss gegen SC Magdeburg (A), GWD Minden (A), Frisch Auf! Göppingen (H), Eulen Ludwigshafen (A), TBV Lemgo Lippe (H), Rhein-Neckar Löwen (A) ran.
Eine der höchsten Hürden im deutschen Handball ist ein Auswärtsspiel in der GETEC Arena, in der der SCM seine Heimspiele austrägt. Ein Grund sind die lautstarken Fans, die zum Top-Spiel gegen den Rekordmeister wieder zugelassen sind. Auch Göppingen und die Löwen, die Flensburg jeweils ein Unentschieden abkämpften, können entscheidend in den Meisterkampf eingreifen.
Doch wie bereits gesagt, in dieser Liga darf keine Mannschaft unterschätzt werden. Ein einziger Ausrutscher, ein einziger unkonzentrierter Tag - und der Deutsche Meister 2021 könnte feststehen.
Der direkte Vergleich spricht für Kiel
Durch den Punktverlust der Flensburger stehen sie nun mit sechs Minuspunkten hinter den Kielern, die weiterhin fünf haben. Im Gegensatz zu den letzten Jahren, als bei Punktegleichheit stets die Tordifferenz entschied, ist es seit der aktuellen Saison der direkte Vergleich.
Da das Hinspiel in Kiel mit 29:21 an die Zebras ging, konnte selbst die 28:31-Niederlage im Rückspiel an der Flensburger Förde nichts daran ändern, dass der THW dieses Duell für sich entschieden hat. Es wird sich zeigen, wer mit seiner Rolle besser zurechtkommt: Kiel hat es selbst in der Hand, muss allerdings mit dem Druck des Tabellenführers umgehen, auf dessen Ausrutscher jeder wartet. Flensburg muss genau auf diesen Ausrutscher hoffen und kann nichts Weiteres tun, als die eigenen Spiele Stück für Stück abzuarbeiten.
Machen die Zuschauer den Unterschied?
Es gibt genügend Beispiele, aus denen deutlich wird, wie wichtig Fans im Handball sind. Zu einem Zeitpunkt, in der die Spieler auf der letzten Rille spielen und dem Ende der Saison entgegensehen, können Zuschauer die letzten Kräfte freisetzen und Spieler über sich hinauswachsen.
Auch wenn die Tabelle souverän aussieht, taten sich beide Anwärter auf den Meistertitel schon vielfach schwer in dieser Saison und konnten erst in den letzten Minuten oder Sekunden den Sieg forcieren. Zuletzt folgten allerdings zwei klare Siege - und auch wenn der Punktverlust Flensburgs Form scheinbar herunterstuft, wird Trainer Maik Machulla alles tun, den Punktgewinn in den Vordergrund zu stellen.
Um eine weitere Weisheit zu verwenden: Die Tagesform wird am Ende sicherlich wieder einmal den Ausschlag geben. Sind wir also gespannt auf die letzten sechs (Kiel) und sieben (Flensburg) Spiele im Meisterkampf der Handball-Saison 2020/21.