Die Zeit ohne Motorensound ist endlich vorbei! Zwar dauert es noch etwas, bis die Startampel in Melbourne erstmals erlischt, aber die Teams haben die ersten Testtage in Barcelona bereits hinter sich.
Der Dominator der vergangenen sechs Jahre scheint die Hausaufgaben im Winter wieder am besten gemacht zu haben - Mercedes. Die Silberpfeile sind schnell, verblüffen aber vor allem mit dem Lenkrad-System "DAS" (Dual Axis Steering).
Weltmeister Lewis Hamilton und sein Teamkollege Valtteri Bottas können ihr Lenkrad nicht nur nach rechts und links drehen, sondern es auch zu sich heranziehen und wieder zurückdrücken. Das erinnert an die frühere Steuerung von Flugzeugen.
Mehr Einfluss auf Reifentemperatur
Was bewirkt das? Die Mercedes-Piloten können während der Fahrt die sogenannte Vorspur verändern - das heißt den Winkel, in dem die Vorderräder zueinander stehen. Das ermöglicht den Fahrern, mehr Einfluss auf die Reifentemperaturen zu nehmen.
Auf langen Geraden verlieren die Reifen rund 20 Grad, was das Grip-Niveau verschlechtert. Durch die veränderte Spur bleibt die Reifentemperatur konstanter. Das sorgt nicht nur für mehr Grip im Kurveneingang, sondern auch für einen geringeren Reifenverschleiß. Wie groß der Vorteil für die Silbernen genau ist, lässt sich noch nicht genau sagen, aber die Rundenzeiten sind beeindruckend.
Ist DAS legal?
In den Artikeln 10.2.2 und 10.2.3 steht klar, dass jedes Gerät verboten ist, dass die Konfiguration der Aufhängung verändern kann. DAS betrifft aber nicht die Aufhängung, sondern die Lenkung. Hier haben die Schwaben wohl eine Grauzone als Schlupfloch entdeckt - genial. Die FIA soll das System für diese Saison erlaubt haben, trotzdem haben die anderen Teams die Möglichkeit, in Melbourne Protest einzulegen.
Warum sich DAS nicht einfach kopieren lässt? Diese Zwei-Achsen-Lenkung ist sehr komplex. Selbst wenn Teams wie Ferrari und Red Bull mit hohem finanziellen Aufwand versuchen DAS nachzubauen, würden sie wohl ca. sechs Monate dafür benötigen.
Mercedes deutlich vor Ferrari
Und so beendet Valtteri Bottas mit einer Bestzeit von 1:15.732 den ersten von zwei Testblöcken vor seinem Teamkollegen Lewis Hamilton. Der erste Nicht-Mercedes ist der Franzose Esteban Ocon. Rückstand: 1,370 Sekunden. Red Bull liegt fast zwei Sekunden hinter Silber, sieht aber gerade bei den Longruns, sehr gut aus.
Die Scuderia Ferrari fehlen sogar knapp zweieinhalb Sekunden auf die silberne Spitze. Die Italiener scheinen nach Mercedes und Red Bull nur die dritte Geige zu spielen. Stand jetzt!
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Denn wer jetzt Sorgen hat, dass man Mercedes zum siebten WM-Titel in Serie gratulieren darf, kann erstmal entspannt bleiben. Wir erinnern uns an das Vorjahr: Nach den Tests in Barcelona sah es so aus, als habe Ferrari das schnellste Paket und sei der Gejagte in Melbourne. Und dann kam alles anders! Sebastian Vettel und Charles Leclerc reisen als Topfavoriten nach Australien, aber schon im Qualifying zeigt sich, Mercedes eine halbe Sekunde schneller als die Roten.
Bottas und Hamilton holen einen Tag später den Doppelsieg und sogar Max Verstappen im Red Bull war schneller als Ferrari und wird Dritter.
Keine finalen Rückschlüsse
Heißt, die Testfahrten geben zwar einen ersten Eindruck, aber über die endgültige Performance lässt sich noch nicht alles sagen. Mit wie viel Sprit fahren die Teams, welches Engine-Mapping (Motoreinstellung) wird verwendet? Das weiß keiner genau. Zehn Kilogramm Sprit machen in Barcelona pro Runde einen Zeitunterschied von ca. 0,3 bis 04 Sekunden aus. Zwischen einem randvollen und einem ziemlich leeren Tank liegen selbst im konservativsten Rechenmodell mehr als zweieinhalb Sekunden. Der Rückstand von Ferrari auf Mercedes.
Mercedes mit Bestzeit und eindrucksvoller Konstanz scheint im Winter am besten gearbeitet zu haben, aber Red Bull und Ferrari darf man noch lange nicht abschreiben.
Racing Point macht von sich hören
Ansonsten fiel in Barcelona vor allem Racing Point auf. Nicht wegen der rosa-pinken Lackierung, sondern durch Fahrzeugdesign, dass dem Vorjahres-Mercedes zum Verwechseln ähnlich aussieht! Kein innovativer Weg, aber einer den es in der Vergangenheit immer wieder gegeben hat. Der Versuch, das beste Auto im Feld zu kopieren. Und der Plan für das Team von Milliardär Lawrence Stroll scheint aufzugehen. Racing Point das beste Mittelfeld-Team in Spanien.
Aber das war erst Teil eins der 2020er Vorsaison-Tests! Vom 26.02.-28.02. finden sich die Teams erneut in der katalanischen Hauptstadt ein. Und schon in der kommenden Woche werden die Teams mit Updates anreisen und sich das Leistungs-Bild wieder verändern. Aber auch dann wird DAS wohl wieder das große Thema im Fahrerlager sein.