Schumacher: "Höhere Eskalationsstufe" im Vettel/Ferrari-Zoff erreicht
13.08.2020 | 20:31 Uhr
Sky Experte Ralf Schumacher beleuchtet in seiner Kolumne die wichtigsten Themen rund um den Formel-1-Zirkus. Dieses Mal geht es unter anderem um den öffentlichen Zoff zwischen Ferrari und Sebastian Vettel sowie das Comeback von Nico Hülkenberg.
Nico Hülkenberg hat am Wochenende einen tollen Job gemacht. Vor allem in der Qualifikation: Startplatz 3! Wow. Das zweite Mal im Auto - Hut ab! Da hat er eine gute Visitenkarte hinterlassen.
Ich befürchte allerdings, dass in den besseren Teams 2021 kein Platz für ihn sein wird und das aus mehreren Gründen: Zum einen hat er in der Vergangenheit gegen Teamkollegen wie Daniel Ricciardo nicht so gut ausgesehen. Zudem kommen auch sehr starke Nachwuchsfahrer nach. Und den Sebastian (Vettel, Anm. d. Red.) gibt es ja auch noch. Da kann es gut sein, dass ihm wieder jemand einen guten Platz wegschnappt. Haas hätte zwar bestimmt Interesse. Da ist aber die Frage, ob er dorthin will.
Viele haben gehofft, dass er endlich aufs Podium kommt und ihm die Daumen gedrückt! Das war in Silverstone aber völlig unrealistisch. Da hat er keine Chance gehabt. In Spielberg hingegen hätte er es mit dem Racing Point sicherlich gekonnt. Da gab es diese Reifenproblematik wie am vergangenen Wochenende nicht.
Ein katastrophales Wochenende hat hingegen Sebastian erlebt. Wieder mal!
Er hat momentan einfach eine sehr hohe Fehlerquote. Sein Dreher gleich nach dem Start in Silverstone sollte nicht passieren. Man muss dazu konstatieren, dass seine Renngeschwindigkeit an beiden Silverstone-Wochenenden nicht so gut war wie beim Teamkollegen. Der Zeitpunkt des Boxenstops und die Wahl der Reifen haben ihm sicher nicht geholfen. Allerdings ist die Gesamtstimmung von Sebastian im Team nicht gut. Sebastian fängt jetzt auch an, sich öffentlich sehr kritisch zu äußern. Was ich emotional verstehe, weil er sich ungerecht behandelt fühlt. Aber ihm muss auch klar sein, dass das nicht zwingend sein Team motiviert, ihn besser zu unterstützen und Dinge zu ändern. Vor allem weil er gerade auch langsamer ist als Charles (Leclerc, Anm.d Red.)!
Da im Vergleich zum Vorjahr die Power fehlt, muss Ferrari einen Kompromiss eingehen, um auf den Geraden nicht so viel Geschwindigkeit gegenüber der Konkurrenz zu verlieren: Die Roten müssen mit weniger Aerodynamik fahren, was zur Folge hat, dass das Heck nicht so stabil ist. Damit kommt Sebastian gar nicht klar! Charles dagegen fällt es leichter mit solchen Widrigkeiten umzugehen als Sebastian. Das hat einen Hintergrund: Leclerc gehört zu einer Generation von Rennfahrern, der man in den Nachwuchsserien ein Auto vorsetzt, mit dem sie klar kommen müssen. Diese Einheitsautos haben gewisse Probleme mit denen ein Rennfahrer leben muss.
Bei mir damals aber auch bei Sebastian war das anders. Und in der F1 ist es dann so, dass einem alles ermöglicht wird. Wenn man also ein schwieriges Jahr hatte, versucht man immer das Auto für seine Bedürfnisse umzubauen. Aber wenn es wie im Falle von Ferrari nicht klappt, kommt man in eine Sackgasse. Und in der ist Sebastian gerade. Er hat einen Fahrstil. Den hat er seit Jahren. Den verändert er nicht. Das ist sein Charakter. Jetzt ist aber die Frage, ob er bereit ist, diese Herangehensweise zu ändern, sich auf etwas Neues einzulassen! Auch mal fünf Meter früher zu bremsen, weil das Heck einfach zu nervös ist! Oder er bleibt auf seinem Standpunkt, dass sich das Auto an ihn anpassen muss und nicht andersherum.
Sebastian wäre gut beraten, besser zu fahren als sein Teamkollege, wenn er so heftig öffentlich seine Kritik äußert. Charles hat ihn am vergangenen Wochenende aber in allen Sessions dominiert! So tut sich Sebastian keinen Gefallen. Das macht Leclerc viel eleganter. Mit seinen Äußerungen rennt Vettel bei Charles offene Türen ein. Der freut sich!
Viel wird darüber diskutiert, ob Ferrari Vettel gegenüber Leclerc benachteiligt. Ich sage nein! Ferrari hat überhaupt keinen Grund ein Auto schlechter zu machen als das Andere. Sie brauchen die Ergebnisse und Punkte von beiden Autos.
ABER: Wenn der eine Fahrer das Beste aus einem Auto rausholt, der Andere dagegen nicht und dazu auch noch das Team öffentlich kritisiert, dann fällt das Team natürlich in einen Modus, in dem man sich auf den Fahrer konzentriert, der mehr aus dem Wagen macht und entwickelt diesen dann nach seinen Wünschen.
Damit meine ich nicht, dass er bessere Teile bekommt, sondern dass das Auto mehr auf seinen Fahrstil angepasst wird. Ein nachvollziehbarer Vorgang.
Da Sebastian aber einen ganz anderen Fahrstil hat, entwickelt sich das Auto durch den Erfolg von Charles in eine für ihn völlig falsche Richtung! Dementsprechend wird es für Sebastian immer schwerer.
Ich bin gespannt, ob sich die Atmosphäre zwischen Vettel und Ferrari so zuspitzt, dass das Team Vettel aus dem Cockpit nimmt und ihm empfiehlt aufzuhören. Intern wird sicher schon eine höhere Eskalationsstufe erreicht sein, als wir das in der Öffentlichkeit mitbekommen. Dementsprechend der sorglose Umgang miteinander. Ich kann es mir aber noch nicht vorstellen! Ich hoffe, dass es so auch nicht kommen wird. Die nächsten Wochen werden zeigen, wohin es geht.
Was für ein toller Triumph für Max Verstappen am vergangenen Wochenende! Er ist einer der ganz wenigen Fahrer, die aus einem Paket das Optimum herausholen können. Man kann schon von einem Max-Faktor sprechen. So gut ist er.
Er ist zwar noch immer recht ungestüm. Das hört man auch an den Diskussionen am Funk. Das hat Lewis ihm noch voraus. Da ist er viel erfahrener. Aber er hat schon viel dazugelernt.
Nicht nur Max muss man ein großes Kompliment machen. Auch das Team hat einen Riesensprung nach vorne gemacht. Das Auto hat überragend performt!
Max im Red Bull: Das kann noch etwas richtig Großes werden!
In Barcelona wird aber Mercedes wieder sehr, sehr stark sein. Da bin ich mir sicher. Red Bull wird aber nah dran sein. Und Ferrari? Tut mir leid! Die werden in Barcelona noch größere Probleme haben als in Silverstone: Diese Strecke verzeiht keine Fehler. Sie ist da gnadenlos.