Sky Reporter Sven Töllner blickt in seiner Kolumne "HAU DAS DING RAUS" auf die aktuellen Ereignisse im Fußball. Die neuen Themen: der frühe Abschied der Bayern-Fans aus der Allianz Arena und die Führungsriege des FC Bayern.
Es hätte ja nun wirklich keines weiteren Beleges dafür bedurft, dass das bayerische Meister-Monopol eine ungesunde Gesamtgemengelage heraufbeschworen hat - sollte man meinen. Interessanterweise befanden aber ausgerechnet die Bayern-Fans selbst, dass die Zeit reif sei für ein eindringliches Plädoyer für mehr Titel-Diversität. Abwechslungsreichtum in der Meisterfrage würde nämlich dabei helfen, die eigene Anspruchshaltung zu begradigen!
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Mit piekfeinem Gespür für das unpassende Statement dokumentierte eine nennenswerte Anzahl Rotgekleideter ihre Event-Müdigkeit. Zweiter Platz am vorletzten Spieltag - ein starkes Stück. Der Abgang der Erbosten hatte eine verstörende Außenwirkung, legt aber auch Teile des internen Nervensystems frei. Die Aussicht (!) darauf, dass sich nach zehn Jahren am Stück (!!) möglicherweise (!!!) niemand zum Marienplatz schleppen muss, hat ausgereicht, um im kollektiven Leberwurst-Modus beleidigt abzudampfen. Mia san mia? Wohl eher: Mia san dann mal weg.
Rein metaphorisch formuliert haben viele Anhänger des Rekordmeisters es gestern für notwendig befunden, den blanken Hintern auszustrecken. Aber in wessen Richtung eigentlich? Wen genau wollten die ungezählten Frühabgänger spüren lassen, dass es ihnen jetzt endgültig reicht?
In Bayern geht man ja generell gerne hoch ran - denkbar also, dass der Hauptadressat der Frust-Bewegung an der Spitze residiert. Von Oliver Kahns Eier-Nimbus ist nach dem akribisch vorbereiteten Umstieg von der Torwart- in die Anzughose jedenfalls nicht viel übrig geblieben. Schale weich - Strahlkraft dramatisch heruntergedimmt. Der Boss war lange Zeit unsichtbar und hat jetzt sichtliche Probleme, alle Brandherde in den Griff zu bekommen.
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Was genau war mit Nagelsmann nicht in Ordnung?
Den markantesten hat er gemeinsam mit Hasan Salihamidzic selbst gelegt. Eine stichhaltige Begründung für den hastigen Wechsel von Nagelsmann zu Tuchel hat bislang keiner der Beteiligten geliefert. Über nebulöse Andeutungen gehen die Erläuterungen noch immer nicht hinaus. Wenn alles in Ordnung gewesen wäre, hätte es ja keinen Traineraustausch gegeben, heißt es. Was genau war denn nicht in Ordnung beim 20-Millionen-Euro-Coach, der in drei Wettbewerben aussichtsreich im Rennen lag? Unklar!
Und wer hat warum derart unumstößlich definiert, dass das Zeitfenster die Abläufe bestimmen musste. Wenn Thomas Tuchel aus ungeteilter Überzeugung Bayern-Trainer werden wollte, hätte ein sauberer Start im Sommer Sinn ergeben. Interesse aus England - ja und? Nur weil in der Premier League möglicherweise Trainerposten zu vergeben sein werden, einen derart massiven Eingriff in der Herzkammer vorzunehmen, erschien zunächst außerordentlich riskant. In der Nachbetrachtung ist wohl sogar der Tatbestand der Fahrlässigkeit erfüllt worden.
Der Show-Effekt hatte jedenfalls ein ähnliches Knallbonbon-Niveau wie die Verpflichtung von Sadio Mane. Auch in dem Fall waren viele Experten nicht restlos davon überzeugt, dass sich die Transferidee konsequent an den Bedürfnissen des Klubs orientiert.
Es drängt sich der Eindruck drauf, dass die Bayern wieder mehr Richtigtuer als Wichtigtuer im Staff gebrauchen könnten. Das würde sich dann vielleicht auch positiv auf die Kader-Struktur auswirken. Viele Stars auf höchstem Niveau zu einer rhythmischen Melodie zu komponieren, ist zweifellos eine schwierige Aufgabe. Frühere Dirigenten hatten nachweislich ein besseres Gefühl für den angemessenen Takt.
Die Mannschaft unterstützen - das machen Fans!
Das Taktgefühl ist also in einigen Bereichen des Bayern-Kosmos empfindlich gestört. Die Mannschaft nach dem schwachen Auftritt gegen Leipzig noch vor dem Abpfiff abzustrafen, offenbart jedenfalls ein irritierendes Selbstverständnis der Anhänger.
Trotz aller Fehler, die in dieser Saison auf verschiedenen Ebenen begangen worden sind und Ziele gefährdet haben, hätte es gestern in der Allianz Arena noch eine andere denkbare Variante gegeben, auf das schlechte Ergebnis zu reagieren: Die Mannschaft in einem schweren Moment zu unterstützen. Denn das machen Fans. Wenn der Abstieg kaum noch zu vermeiden ist zum Beispiel. Oder wenn ein prestigeträchtiges Derby verloren geht.
Für eine erhebliche Anzahl von Bayern-Fans war das Maß übervoll, als "ihr" Team die eigene Ausgangsposition verschlechtert hatte. Auch der Gedanke, dass es Borussia Dortmund vielleicht gar nicht gelingen würde, Thomas Tuchel und sein Strauchel-Ensemble von der Tabellenspitze zu verdrängen, konnte offensichtlich nichts zur Besänftigung der persönlich Beleidigten beitragen. Die hielten es mit 80er-Jahre-Schreihals Purple Schulz und dessen "Sehnsucht": Ich will nur weg. Ganz weit weg. ICH WILL RAUS!
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