Sky Reporter Sven Töllner blickt in seiner Kolumne "HAU DAS DING RAUS" auf die aktuellen Ereignisse im Fußball. Dieses Mal beschäftigt er sich mit dem aufsehenerregenden Interview von Manuel Neuer und der Beziehung zwischen dem Nationaltorwart und Julian Nagelsmann.
Es spricht einiges dafür, dass Manuel Neuer sein aufsehenerregendes Interview nicht mit der hauseigenen Presseabteilung abgestimmt hat. So wie es eigentlich branchenüblich - und womöglich sogar vertraglich fixiert ist. Ein solches Vorgehen hätte Sanktionen zur Folge. Und eines solchen Mittels bedienen sich Fußball-Profis gemeinhin genau dann, wenn sie sehr dringend eine Botschaft verbreiten wollen. Der beste deutsche Torwart aller Zeiten hat Sendungs-Bedarf - und offenbart dabei ein zum Teil irritierendes Selbstverständnis.
Wer derart scharfkantige Aussagen von Manuel Neuer in den letzten Jahren vermisst hat, wird bei der Lektüre jedenfalls erstaunt festgestellt haben, dass präzise formulierte Missstands-Analysen sehr wohl zum rhetorischen Repertoire des Weltklasse-Keepers gehören. Eine Qualität, die interessanterweise genau in dem Moment zum Vorschein kommt, als die Position des Routiniers im Hierarchie-Gefüge des Rekordmeisters bemerkenswert unverblümt in Frage gestellt wird.
Nagelsmann wohl treibende Kraft
Dass Neuer auf die Freistellung seines Trauzeugen Toni Tapalovic empfindlich reagieren würde, war den Entscheidungsträgern selbstverständlich bewusst. Julian Nagelsmann, die offenbar treibende Kraft hinter der Entlassung des Torwarttrainers, hat demnach billigend in Kauf genommen, dass der schwer verletzte Anführer die Entscheidung als persönlichen Affront verstehen würde. Die öffentliche Antwort des Entmachteten ist ein Paukenschlag in (ganz) eigener Sache.
Neuer wählt kraftstrotzende Worte. Tränen seien geflossen. Die "krasseste Entscheidung seiner Karriere", sei es gewesen. Zur Erinnerung: Es geht - bei allem Respekt - um den Torwarttrainer! Und - noch viel wichtiger: Um Mannschaftssport. Dementsprechend auch um Team-Hygiene. Die empfand Nagelsmann - ein Jahr jünger als sein Torhüter - offenbar als gefährdet, die Entscheidung folglich als unaufschiebbar. Höchste Dringlichkeitsstufe! Neuer hingegen fühlte sich bei Erhalt der Nachricht laut eigener Aussage in der Süddeutschen Zeitung so, als hätte man ihm "das Herz rausgerissen", als er eh schon am Boden lag.
Gemeinsame Zukunft?
Die Vehemenz, mit der die beiden Mitt-Dreißiger in der Tapalovic-Frage einander das Geweih entgegenrecken, ist jedenfalls erstaunlich. Wirkt schon ein bisschen, als sei die angespannte Atmosphäre nicht schlagartig entstanden. Herausgekommen ist die spektakuläre Kraftprobe zweier Muskelprotze. Es ist viel Zuversicht notwendig, um an eine stabile Basis für eine gemeinsame Zukunft der beide Alphatiere zu glauben. Zumal die Motivlage zumindest öffentlich nicht vollends geklärt ist.
Fest steht derweil, dass ein Trainer das letzte Wort bei der Zusammenstellung und Veränderung seines Stabes haben muss. Ein Spieler hingegen kann von derartigen Entscheidungen zwar halten, was er will. Diese öffentlich als unverständlich zu deklarieren, ist ein eindeutiges Branchen-No-Go. Und überdies ein beachtlicher Ego-Trip. Im Unterschied zu Philipp Lahm, der für sein vereinskritisches Interview (ebenfalls in der SZ) vom damaligen Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge einstmals mit einer Geldstrafe belegt wurde, "wie es sie beim FC Bayern München noch nicht gegeben hat", verfolgt Neuer sehr straff seine eigene Agenda.
Handlungsbedarf dank Neuer
Der Rückschluss, dass der Verein ihn vor der Yann-Sommer-Verpflichtung deshalb nicht befragt habe, weil "man vielleicht Respekt davor hatte, wie ich reagieren würde", lässt tief blicken. Den Handlungsbedarf hatte er schließlich selbst heraufbeschworen - durch seinen so unglücklichen wie bedauerlichen, gleichwohl aber auch leichtfertigen und folgenschweren Ski-Unfall.
Welche Konsequenzen die Entscheidungsträger daraus ziehen, geht Neuer gelinde gesagt gar nichts an. Wenn der Klub die selbstgesteckten Ziele verfehlt, weil gegen PSG und Co. kein ausreichend qualifizierter Torwart zwischen den Pfosten steht, landet die Rechnung dafür auf den Tischen von Nagelsmann und Salihamidzic - nicht bei Neuer. Sein Hinweis, dass Sven Ulreich ihn "sicher auch hervorragend vertreten hätte", wirkt provokant.
Ein riskantes Manöver
Manuel Neuer hat sich nach der Enttäuschung über das WM-Aus versehentlich in eine Ecke manövriert. Aus dem Krankenstand heraus einen derart knackigen Rundumschlag zu lancieren, ist allerdings ein riskantes Manöver. Der Groll der Klub-Bosse ist ihm gewiss, Oliver Kahn hat ja bereits deutlich gemacht, wie er über den krachenden Vorstoß denkt. Die mögliche Geldstrafe wird der Größtverdiener wohl relativ gelassen weglächeln.
Solange er sich nicht auf dem Spielfeld zurückmelden kann, stehen ihm aber seine schlagkräftigsten Argumente nicht zur Verfügung: Die überragenden Fähigkeiten im Tor, mit denen er über Jahre einen erheblichen Teil zum Mannschaftserfolg beigetragen hat. Seine Querschüsse zum Wohle der eigenen Reputation helfen den Mitspielern ganz sicher nicht. Nach drei Liga-Unentschieden und vor dem Champions-League-Achtelfinal-Kracher gegen Paris hat auch Julian Nagelsmann sicher nicht unbedingt den dringenden Wunsch nach noch mehr Druck verspürt. Jetzt hat er ihn - frei Haus serviert von Käpt'n Neuer.
Die öffentlichen Scharmützel beim Rekordmeister lassen die Vermutung zu, dass sich einige Gräben ins bayerische Binnenverhältnis gefressen haben. Mit dem Blick auf die allgemeine Stimmungslage an der Säbener Straße fragen sich vermutlich nicht nur "Die Sterne": "Was hat dich bloß so ruiniert?"
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