Sky Experte Didi Hamann analysiert in seiner Kolumne den Auftritt des FC Bayern im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League beim FC Villarreal und erläutert die Probleme und Fehler des deutschen Rekordmeisters. Für Real Madrid und den FC Liverpool findet er lobende Worte.
Dass das Duell gegen den amtierenden Europa-League-Sieger kein Selbstläufer für den FC Bayern werden würde, war vorher klar. Die Münchner waren aber beim 0:1 in Villarreal nicht in der Lage, die Laufstärke und körperliche Präsenz der Spanier zu kompensieren. Musiala ist ein herausragendes Talent, aber gegen so einen Gegner war mir das im Mittelfeld mit Kimmich und Musiala etwas zu leichtgewichtig.
Kimmich und Goretzka, wenn er gesund bleibt und regelmäßig spielen kann, geben der Zentrale mehr Führung, vorne haben sie Spieler, auf die sie sich eigentlich verlassen können - auch wenn Lewandowski, Gnabry und Coman fast zu 100 Prozent aus dem Spiel genommen wurden.
TOP 1: In der Bayern-Abwehr fehlt ein Organisator
Wenn die Abwehr organisiert ist, dann ist die ganze Mannschaft organisiert.
Bayern hat aber in der Abwehr überhaupt keine Führung. In der Viererkette war Davies noch der auffälligste Spieler, er hat nach seiner langen Pause ein unglaubliches Pensum abgeliefert. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, nach so einer langen Zeit zurückzukommen. Bei Hernandez, Upamecano und Pavard ist mir das Ganze einfach zu unsicher, bei ihnen fehlt mir das Vertrauen, dass sie die Zweikämpfe für sich entscheiden, die gewonnen werden müssen.
Hernandez hat seine Sache zwar ordentlich gemacht. Aber wenn du einen Spieler für 80 Millionen Euro holst, erwartest du, dass er eine Führungsrolle übernimmt, doch das macht er nicht. Du brauchst Kommunikatoren, die organisieren, die dirigieren, die ihre Mitspieler besser machen. Davon haben die Bayern in der Abwehr momentan keinen.
Verantwortliche gestehen Fehler nicht ein
Ich möchte kurz den Bogen zum Wechselfehler in Freiburg schlagen: Ich glaube, dass es einen Zusammenhang zwischen den Aussagen der Vereinsführung in Bezug auf die Geschehnisse am Samstag und der Leistung der Mannschaft in Villarreal gibt. Seit Samstag hat keiner der Verantwortlichen gesagt: "Wir haben einen Fehler gemacht." Die Bayern haben aber sogar zwei Fehler gemacht: Erst wurde die falsche Nummer hochgehalten, dann ist Sabitzer zu früh aufs Spielfeld gelaufen.
Doch es wurden Ausreden und Ausflüchte gesucht, den Freiburgern wurde der Schwarze Peter in die Schuhe geschoben. Nagelsmann hat gesagt, er verstehe nicht, warum Freiburg Protest eingelegt hat. Dieses Verhalten ist des FC Bayern nicht würdig. Keiner hat Verantwortung übernommen, aber Führung bedeutet, Fehler einzugestehen. Das haben sie nicht gemacht, und genau so haben sie in Spanien Fußball gespielt.
Bayern muss im Rückspiel ans Limit gehen
Nagelsmann ist für das Resultat verantwortlich, aber ich glaube nicht, dass es ein systemtechnisches oder taktisches Problem gab. Die Mannschaft ist nicht mit der letzten Konsequenz ins Spiel gegangen. Das einzig Gute ist, dass die Situation nach dem 0:1 relativ machbar erscheint.
Aber Vorsicht! Villarreal hat schon im Achtelfinal-Rückspiel in Turin und im entscheidenden Gruppenspiel in Bergamo gezeigt, dass sie sie voll auf die wichtigen Partien in der Champions League konzentrieren können.
Wenn die Bayern am kommenden Dienstag voll ans Limit gehen, bin ich guter Dinge, dass sie weiterkommen. Aber genau das erscheint bei ihnen in dieser Saison nicht selbstverständlich zu sein. Sie hatten vier, fünf Spiele dabei, in denen sie nicht wirklich anwesend waren, ich erinnere an das 0:5 in Mönchengladbach im Pokal und das 2:4 in Bochum in der Bundesliga. Dermaßen viele schlechte Spiele in einer Saison hatten die Bayern schon lange nicht mehr.
TOP 2: Benzema und Ancelotti schreiben Erfolgsgeschichte
Wenn wir auf die zweite Partie vom Mittwochabend zwischen Chelsea und Real Madrid schauen, hat man bei Chelsea den Eindruck, dass die ganze Diskussion über die Zukunft des Vereins auch auf die Spieler abfärbt. Keiner weiß, wie es weitergeht. Sportlich gesehen war die Stärke der Blues immer, dass sie eine defensiv stabile und funktionale Gruppe auf dem Platz hatten. Sie mussten wenige Tore schießen, um Spiele zu gewinnen. In dieser Saison gab es die ständigen Diskussionen um Lukaku, Havertz spielt jetzt in der Spitze, aber das darf kein Dauerzustand sein.
Real Madrid hat diese Probleme nicht. Karim Benzema ist in einer überragenden Verfassung. Er hat davon profitiert, dass Cristiano Ronaldo nicht mehr in Madrid spielt, aber er war sich auch lange Zeit nicht zu schade, hinter Ronaldo nur eine Nebenrolle zu spielen. Es gibt auf der Welt nur ganz wenige Spieler dieser Kategorie, die sich unterordnen und voll in den Dienst der Mannschaft stellen. Benzema hat das über mehrere Jahre gemacht und wurde von vielen lange verkannt. Ich muss zugeben, dass ich ihn auch nicht genannt hatte, wenn von den besten Mittelstürmern der Welt die Rede war. Ich freue mich für ihn. Wie er die Mannschaft mitzieht, ist sagenhaft.
Toni Kroos hatte Benzema vor der Weltfußballerwahl zu seinem Favoriten erklärt. Nun darf man so eine Auszeichnung nicht an zwei Spielen in der Champions League festmachen, aber wie er im Moment drauf ist, ist nicht ausgeschlossen, dass seine Reise noch weitergeht.
Es wird auch viel über einen Wechsel von Haaland zu Real spekuliert. Aber Haaland muss erst einmal zeigen, ob er in Paris und bei Chelsea einen Hattrick erzielen kann. Ich traue es ihm zwar zu, aber ein Benzema hat über Jahre gezeigt, was er kann.
Das gilt auch für Carlo Ancelotti. Wenn er mit Real die spanische Liga gewinnt, wonach es aussieht, ist er der erste Trainer, der Meistertitel in allen fünf großen europäischen Ligen geholt hat. Er ist ein herausragender Typ, seine Spieler sehen ihn nicht nur als Trainer, sondern auch als Freund. Und genau das zeichnet ihn aus. Die Spieler gehen für ihn durchs Feuer - ähnlich wie bei Jürgen Klopp.
TOP 3: Liverpool ist die beste Mannschaft Europas
Der FC Liverpool hat beim 3:1 in Lissabon einen souveränen Sieg gefeiert. Sie haben die beste Abwehr, einen unglaublich starken Sturm. Abwehrchef Virgil van Dijk gewinnt Zweikämpfe und führt die Mannschaft. Er macht genau das und stellt genau das dar, was dem FC Bayern abgeht.
Im Moment ist Liverpool beste Mannschaft Europas. Manchester City musste gegen Atletico geduldig sein, sie haben es auch gut gemacht und 1:0 gewonnen, aber ihr Spiel ist doch sehr eintönig.
Ich finde Liverpool viel variabler und ich sehe sie auch am Sonntag im Spitzenspiel der Premier League im Vorteil, obwohl Manchester City zuhause spielt.