Deutsche Nationalmannschaft in der Analyse: Flicks Probleme vor der WM 2022
Deutsche WM-Sorgen nehmen zu: Flicks drei größte Baustellen
Von Andreas Kloo
Der schwache Auftritt der deutschen Nationalmannschaft gegen Ungarn macht mit Blick auf die WM Sorgen. Drei Probleme bereiten dem Bundestrainer derzeit Kopfzerbrechen. Lösungsansätze gibt es.
Nach dem vierten 1:1 in Folge war auch Hansi Flick bedient: "Vom Ergebnis her und von der Art und Weise, wie wir das Spiel angegangen sind, war es für uns ein Rückschritt", kommentierte der Bundestrainer das Unentschieden gegen Ungarn in der Nations League.
Ein Rückschritt kommt Flick denkbar ungelegen. Schließlich sind es nur noch drei Partien bis zum ersten Spiel bei der WM in Katar gegen Japan am 23. November. "Wir haben einfach ohne Überzeugung aufgebaut, waren zu schleppend im Spielaufbau. Wir haben es dem Gegner relativ einfach gemacht, kompakt zu stehen", kritisierte er deshalb ungewöhnlich scharf.
Die deutsche Nationalmannschaft wartet auch nach dem dritten Nations-League-Spiel auf den ersten Sieg.
Sicherlich können fehlendes Tempo und fehlende Intensität auch mit der Müdigkeit der Spieler nach einer langen Saison erklärt werden. Auch andere Top-Nationen tun sich in den Spielen der Nations League derzeit schwer. Der Weltmeister Frankreich steht in Gruppe 1 ebenfalls noch ohne Sieg da. (Die Ergebnisse der Nations League)
Diese muss er bis zur Weltmeisterschaft in den Griff bekommen, wenn es nicht zu einem erneuten frühen Aus wie unter seinem Vorgänger Joachim Löw vor vier Jahren kommen soll.
1. Fehlender Torjäger
Den klassischen torgefährlichen Mittelstürmer sucht man letztlich seit dem Rücktritt von Miroslav Klose vergeblich. Timo Werner enttäuschte gegen Ungarn in der Sturmspitze erneut. Während seiner 78-minütigen Spielzeit gab er einen einzigen Torschuss ab und setzte diesen weit neben das Ziel.
Flick nahm den Angreifer des FC Chelsea in Schutz: "Er betreibt einen großen Aufwand. Er setzt den Gegner unter Druck und bietet sich immer wieder an." DFB-Direktor Oliver Bierhoff erinnerte bei der Bild an Werners Leistungen in der Vergangenheit: "Ich glaube, dass er in der richtigen Position ist, das hat er ja schon gezeigt bei der Nationalmannschaft, wenn man seine Torquote sieht. Er ist ein Spieler, der diese Tore immer wieder macht. Auch bei Chelsea."
Sechs Tore in sechs Spielen waren Werner zu Beginn von Flicks Amtszeit gelungen. Allerdings erzielte er diese Treffer gegen Gegner wie Liechtenstein und Armenien. Und auch bei Chelsea rückte er nach nur vier Liga-Treffern in der vergangenen Saison ins zweite Glied.
Das DFB-Team gegen Ungarn in der Einzelkritik:
Der frühere Torjäger Bierhoff nahm beim Thema mangelnde Torgefahr die gesamte Mannschaft in die Pflicht. Werner sei "kein Spieler, der auf kleinstem Raum Kombinationsfußball spielt. Er braucht diese Räume, diese Pässe in die Tiefe. Und das haben wir gerade gestern doch wenig geschafft, weil die Ungarn doch sehr tief und eng standen."
Ein Spieler, der sich auch gegen dichtgestaffelte Abwehrreihen durchsetzen und den man mit hohen Flanken bedienen kann, ist der Schalker Simon Terodde. Der Zweitliga-Torschützenkönig kommt einem nach dem offensiven Offenbarungseid mit nur sieben Torschüssen zwangsläufig in den Sinn. Mit 30 Toren holte er sich zuletzt zum vierten Mal die Torjägerkrone der 2. Liga.
Flick hat den 34-Jährigen für die WM auf dem Zettel: "Wenn er auf einem Topniveau spielt - das ist die Bundesliga - und dort auch gut performt und seine Tore macht, sind alle Türen und Tore offen." Sollte sich die deutsche Sturmflaute in den kommenden Länderspielen nicht legen, wird aus der Personalie Simon Terodde wohl mehr als nur ein Gedankenspiel.
Wenn er sein Potenzial abruft, könnte auch der dribbelstarke und pfeilschnelle Leroy Sane eine Lösung für die deutsche Torflaute sein. Mit sechs Treffern war er immerhin zweitbester Champions League-Torschütze des FC Bayern 2021/2022. Doch der 26-Jährige befindet sich seit Monaten im Formtief.
Gegen Ungarn saß er 90 Minuten auf der Bank. Bierhoff sieht sich mittlerweile gezwungen, den Druck auf Sane zu erhöhen. "Er muss sich natürlich auch selber helfen am Ende. Als Spieler stehst du auf dem Platz. Es kann dir noch so häufig der Trainer auf die Schulter klopfen oder dir Anstöße geben. Man muss dann eben Akzente setzen", sendete er im Sky Interview eine klare Botschaft.
DFB-Direktor Oliver Bierhoff nach dem 1:1 der deutschen Nationalmannschaft gegen Ungarn über Leroy Sane.
Bierhoff weiß: Mit Sane hätte das DFB-Team einen Spieler im Kader, der das Defensivkonzept des Gegners mit einer überraschenden Aktion aushebeln kann. "Er ist ein Spieler, der Spiele kippen lassen kann und eine Initialzündung setzen kann", beschreibt Bierhoff Sanes Qualitäten.
Gegen Ungarn wurden solche Aktionen schmerzlich vermisst. Sollte Sane auch gegen Italien am Dienstag nicht abliefern, muss er wohl gar um seinen Platz im WM-Kader bangen. In der Startelf haben momentan auf den offensiven Außenpositionen Jamal Musiala und Jonas Hofmann die Nase vorn.
3. Außenverteidiger
Was angesichts der Offensivschwäche der deutschen Elf beinahe unterzugehen scheint. Auch die Abwehrleistung bot gegen Ungarn Anlass zu Kritik. "Klar muss man auch sagen, dass wir in der Defensive schon das eine oder andere zugelassen haben, was einfach nicht sein darf", monierte Flick.
Beim frühen Gegentor durch Zsolt Nagy schlief die gesamte Viererkette. Linksverteidiger David Raum begünstigte den Treffer mit einem kapitalen Stellungsfehler. Experte Lothar Matthäus bemängelte aber auch "Schlendrian im Aufbauspiel". Thilo Kehrer und Niklas Süle brachten die eigene Mannschaft mit katastrophalen Fehlpässen in Gefahr. Kehrers Patzer bügelte Torhüter Manuel Neuer mit einer Rettungstat aus, das andere Mal stoppte Nico Schlotterbeck den ungarischen Angriff in höchster Not auf Kosten einer Gelben Karte.
Der von Borussia Dortmund umworbene Raum hatte die gesamte Partie über Probleme mit dem schnellen Attila Fiola. Vor allem Raums Leistung macht Sorgen mit Blick auf Katar. Schien doch das Linksverteidiger-Problem, das Deutschland in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum beschäftigte, mit dem Hoffenheimer gelöst.
Die WM-Trikots:
Angesichts der Unsicherheiten gegen Ungarn wird Flick nicht darum herumkommen, sich taktisch in der Abwehr auf eine Dreierkette mit Niklas Süle, Nils Schlotterbeck und dem am Samstag geschonten Antonio Rüdiger festzulegen.
Er würde damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen könnte Raum auf links weiter nach vorne rücken. Seine Schwächen in der Defensive würden dann weniger ins Gewicht fallen. Seine offensiven Qualitäten hat er mit 13 Torvorlagen in der vergangenen Bundesliga-Saison unter Beweis gestellt. Auf rechts ist der zweifache Torschütze aus den letzten beiden Spielen, Jonas Hofmann, aktuell gesetzt.
Zum anderen würde das Aufbauspiel mehr an Tempo gewinnen.
Fakt ist: Auf den Bundestrainer kommt bis November noch viel Arbeit zu.