Im ersten Test vor der anstehenden Europameisterschaft kommt die deutsche Nationalmannschaft gegen Dänemark nicht über ein Remis (1:1) hinaus. Die 90 Minuten liefern jedoch zahlreiche Erkenntnisse im Hinblick auf das Turnier - positiv wie negativ.
1. Rückkehrer Müller/Hummels ein Gewinn für das Team
Es waren DIE Personalien vor der Partie: Mats Hummels und Thomas Müller kehrten nach der Ausbootung nach dem WM-Debakel 2018 in Russland wieder zur deutschen Nationalmannschaft zurück. Dementsprechend lag auch der Fokus bei der Beobachtung des Spiels auf den Beiden. Bundestrainer Löw beorderte sowohl Hummels als auch Müller im Test gegen Dänemark direkt in die Startelf und ließ beide Rückkehrer 90 Minuten auf dem Feld - ein Zeichen, dass die beiden - wie bereits im Vorfeld von vielen Experten und Beobachtern vermutet - bei der EM gesetzt sein werden.
Und dies auch völlig zurecht. Sky Reporter Marc Behrenbeck unterstrich nach der Partie den enormen Wert der beiden für das DFB-Team. Sie "hatten einen besonderen Einfluss auf das Spiel. Hummels hat hinten dirigiert und Müller war DER Leader. Er hat alle angefeuert und geschrien, was die Lunge hergab. Die beiden sind auf jeden Fall ein Gewinn für die deutsche Nationalmannschaft."
Dies sieht auch Sky Reporter Uli Köhler so, der ebenfalls die Leaderfähigkeiten von Hummels und Müller hervorhebt. "Sie waren sehr präsent und haben das gemacht, was sie machen sollen. Sie haben ihre Kommandos gegeben. Gerade Müller hat das Anlaufen und die Offensive im Gegenpressing organisiert. Es ist allerdings auch klar, dass nicht nur die beiden am Ende die Tore schießen und verhindern können. Aber: Müller und Hummels haben der Mannschaft gut getan. Das war in jeder Phase des Spiels zu sehen."
Für Bundestrainer Joachim Löw brauche es zwar noch "das eine oder andere Spiel, um die Abstimmung zu verfeinern, da beide länger nicht hier waren", aber "was besser war als in den vergangenen Monaten, war die Kommunikation. Es war nicht so ruhig auf dem Platz wie zuletzt." Das lag vor allem an den beiden Rückkehrern.
2. Neuhaus betreibt Eigenwerbung
Neben Hummels und Müller, die besonders im kommunikativen Bereich Eindruck hinterlassen haben, konnte auch Florian Neuhaus auf sich aufmerksam machen. Der Gladbacher durfte in Abwesenheit von Ilkay Gündogan (reist aufgrund des Champions-League-Finals mit Manchester City verspätet an), Toni Kroos (Aufbautraining nach Corona-Infektion) und Leon Goretzka (Aufbautraining nach Muskelfaserriss) von Beginn an ran und betrieb nicht nur aufgrund seines Treffers zur zwischenzeitlichen 1:0-Führung Eigenwerbung.
Dementsprechend gab es nach der Partie auch Lob von höchster Stelle: "Er hat ein gutes Spiel gemacht und viel Laufarbeit verrichtet", beginnt Löw seine Analyse. "Er hat auch Wege nach hinten gemacht. Wichtig ist, dass diejenigen Spieler, die hinten dranstehen, nicht nachlassen und den Druck hochhalten. Sie müssen die anderen mit Leistung antreiben. Flo ist ein sehr guter Fußballer mit einem guten Auge. Ich bin sehr zufrieden mit ihm."
Die Noten & Einzelkritik der DFB-Stars gegen Dänemark
Doch ob diese Performance und seine gute Form in den letzten Monaten ausreichen, um dauerhaft während der EM in die deutsche Startelf zu rutschen, ist mehr als fraglich. "Neuhaus hat das riesengroße Problem, dass es im Mittelfeld ein Überangebot an überdurchschnittlichen Spielern gibt", so Köhler. Und sollten Kroos und Goretzka in den kommenden eineinhalb Wochen Spiel-Fitness erreichen und Gündogan nach der langen Saison inklusive Champions-League-Finale nicht in ein Loch fallen, dürfte Neuhaus wohl nur die Rolle als Ergänzungsspieler bleiben. Doch zumindest weiß Löw spätestens jetzt, dass er mit dem Gladbacher eine weitere hochwertige Option für die Zentrale im Kader hat.
3. Defensive zeigt sich stabil
Vor dem Test wurde über die mögliche Formation der deutschen Nationalmannschaft diskutiert. Am Ende wurde es nun nicht die beim WM-Erfolg 2014 erfolgreich praktizierte Vierer- sondern die Dreierkette mit den Bausteinen Matthias Ginter, Niklas Süle und Mats Hummels. Unterstützt wurden die drei situativ von den beiden offensiven Außenverteidigern Lukas Klostermann und Robin Gosens.
Während diese Formation und taktische Ausrichtung für das Offensivspiel des DFB-Teams nicht optimal war, stabilisierte sie die Defensive unheimlich. "Die Abwehr muss man positiv hervorheben. Es gab nur diesen einen Schuss auf das deutsche Tor, der zum Treffer geführt hat. Im Spiel gegen Dänemark - und die können auch richtig gut Fußball spielen - nur einen Torschuss zuzulassen, ist klasse", resümiert Köhler.
Der Sky Reporter sieht sogar noch weitere Steigerungsmöglichkeiten in dieser Hinsicht. "Jetzt kommt dann auch noch Antonio Rüdiger dazu, der ein super Champions-League-Finale gespielt und eine klasse Saison unter Thomas Tuchel beendet hat. Das ist eine zusätzliche Stabilisierung für die deutsche Nationalmannschaft."
Auch Löw dürfte mit seiner Defensivabteilung und insgesamt mit dem Rückzugs- und Pressingverhalten seines Teams zufrieden sein. Vor Beginn des Trainingslagers betonte der Bundestrainer schließlich, dass man auf die defensive Stabilität ein Hauptaugenmerk legen werden, "weil wir da sehr anfällig waren." Davon war gegen Dänemark - mit einer Ausnahme - nichts zu sehen.
4. Chancenverwertung als großes Manko
Eine Ausnahme gab es auch in der Offensive - nämlich das Tor von Neuhaus in der 48. Minute. Während der Gladbacher aus kurzer Distanz die Übersicht und Ruhe behielt und zur Führung einschoss, verzweifelten seine Kollegen reihenweise beim Abschluss. Am Ende standen 16 Torschüsse der deutschen Mannschaft auf dem Statistikbogen - aber nur ein Tor!
"Das Problem begleitet uns ja schon lange. Wir arbeiten uns eine Vielzahl von Chancen raus, belohnen uns aber nicht entscheidend. Es wird ein Thema sein, wie wir die Dinge konsequent zu Ende spielen können. Daran müssen wir arbeiten", sprach Löw die Problemzone seines Teams an. Ab Freitag wolle er das Thema Offensive "eingehend" angehen.
Jedoch muss im Hinblick auf den Dänemark-Test auch berücksichtigt werden, dass Serge Gnabry und Joshua Kimmich jeweils am Aluminium gescheitert sind. "Der Mannschaft fehlt aktuell etwas Spielglück. Einmal Latte, einmal Pfosten - das ist natürlich auch Pech", relativiert Köhler die schlechte Chancenverwertung der Deutschen.
Dennoch ist klar: Will das DFB-Team bei der Europameisterschaft eine gewichtige Rolle spielen, muss vor dem gegnerischen Tor mehr Abgeklärtheit her. Andernfalls könnte es bei den bevorstehenden Gegnern - unter anderem Frankreich und Portugal - zu einem bösen Erwachen kommen.
5. Offensive Standards funktionieren (noch) nicht
Wenn über die Chancenverwertung gesprochen wird, kommt man an den Standardsituationen nicht herum. Während in der Defensive dort wenig bis gar nichts anbrannte, fehlte in der Offensive der Funken Genialität und Präzision in der Ausführung. Nach Ecken oder Freistößen ging kaum Gefahr aus - ein Umstand, der sich bis zum Turnier noch unbedingt ändern soll und muss.
"Wir haben in den vergangenen zwei, drei Jahren aus Standards zu wenig gemacht. Das ist total ausbaufähig und wird sicherlich auch ein Schwerpunkt werden. Jetzt in der Vorbereitung und auch während des Turniers. Wir haben viele Standards von uns aus den vergangenen Jahren nochmal grundlegend analysiert. Von daher müssen wir darauf besonderen Wert legen", sagte Löw noch zu Beginn des Trainingslagers.
Der Test gegen Dänemark hat gezeigt, dass in diesem Bereich nach wie vor viel Arbeit vor dem Team liegt. Aber vielleicht zeigt die Mannschaft ja bereits am Montag gegen Lettland (20:45 Uhr) im abschließenden Test vor dem Turnier eine Steigerung in diesem Bereich.