In seiner Kolumne blickt Dietmar Hamann auf das Abschneiden der deutschen Klubs in der Champions League. Dortmund bescheinigt er eine reife Leistung in Newcastle, dem FC Bayern prophezeit der Sky Experte große Probleme, wenn die Defensivschwäche nicht abgestellt wird.
TOP 1: Dortmunds Leistung war einfach stark
Das 1:0 in Newcastle war die reifste Leistung der Dortmunder seit Jahren in einem CL-Auswärtsspiel. Nach dem schwachen Auftritt in Paris war die Vorstellung des BVB im St. James' Park einfach stark.
Die erste Halbzeit war herausragend, sie haben richtig guten Fußball gespielt und das Spiel kontrolliert. Newcastle gingen im eigenen Stadion die Ideen aus, das haben dort wenige Mannschaften in den vergangenen 18 Monaten geschafft. In der zweiten Hälfte hätten die Dortmunder ihre Konter besser ausspielen können. Die beiden Lattentreffer in den letzten 15 Minuten passieren, wenn du hinten drinstehst und unter Druck gerätst.
Sonderlob für Kobel und Schlotterbeck
Im Tor zeigt Kobel schon seit Monaten und Jahren gute Leistungen. Und wenn er mal einen Fehler macht, schüttelt er sich nur kurz und es ist abgehakt. Er strahlt mit seinen 25 Jahren eine unglaubliche Ruhe aus, spielt unaufgeregt und pusht immer wieder seine Mitspieler nach vorne und richtet sie auf. Nach Cans Verletzung hat er die Spielführerbinde übernommen, er ist ein Torwart und Kapitän, wie man ihn sich wünscht. Besser geht es nicht.
Neben Torschütze Nmecha oder Malen, der zum Man of the Match gewählt wurde, möchte ich noch Hummels und Schlotterbeck herausheben.
Beide haben es in der Spieleröffnung hervorragend gemacht. Schlotterbeck hat zwar immer noch ab und zu den einen oder anderen Fehler zu viel in seinem Spiel, aber er hält momentan Süle aus der Mannschaft und linksfüßige Innenverteidiger wie ihn sucht man auf der ganzen Welt. So viele gibt es davon nicht. Er ist ein super Spieler, sehr gut im Zweikampf und stark im Kopfball. In der Spieleröffnung ist er wahrscheinlich einer der besten Innenverteidiger, nicht nur in Deutschland, sondern europaweit. Ich hoffe wirklich, dass er jetzt endlich den nächsten Schritt macht.
In der Hammergruppe ist für den BVB durch den Sieg von Weiterkommen als Gruppensieger bis zu Letzter werden und ausscheiden noch alles drin. Vor dem BVB stehen noch drei Endspiele. Sie dürfen nicht denken, dass das Rückspiel in zwei Wochen einfacher wird. Wenn sie dann wieder so konzentriert auftreten und noch einmal gewinnen, muss ich meine Aussage nach dem 0:0 gegen Milan (dass Dortmund als Letzter ausscheidet) revidieren müssen. Dann kommen sie sogar wahrscheinlich weiter, weil ich nicht glaube, dass Mailand gegen Paris gewinnt.
Die Dortmunder stehen jetzt nicht nur in der Champions League, sondern auch in der Bundesliga sehr gut da und sind für den Klassiker am 4. November gegen den FC Bayern sehr gut gerüstet. Wenn ich sehe, wie dominant sie in Newcastle über weite Strecken gespielt haben, weiß ich nicht, ob die Bayern in dieser Saison schon einmal so eine Leistung gezeigt haben.
TOP 2: Bayern kann schon im Winter große Probleme bekommen
Beim 3:1-Sieg des FC Bayern in Istanbul war viel Stückwerk dabei. Durch ihre individuelle Klasse finden sie immer Wege zu gewinnen, aber in Sachen Spielfluss und Homogenität lässt bei ihnen vieles zu wünschen übrig. Bayern hatte in dieser Saison zwei sehr gute Gegner, Leipzig und Leverkusen, und gegen beide waren sie spielerisch unterlegen, auch wenn sie jeweils einen Punkt geholt haben. Auf Dauer wird das nicht gutgehen und vielleicht wird es schon in zehn Tagen in Dortmund nicht mehr reichen.
Tuchel hat vor einigen Wochen gesagt, er will, dass "der Jo der Jo bleibt", aber er hat zu keinem Spieler gesagt: "Am Mittelkreis ist Schluss, du musst uns defensive Stabilität geben!" Kimmich, Goretzka und Laimer musst du deutlich sagen, was du von ihnen willst. Und wenn sie das nicht machen, spielen sie nicht. Disziplin ist Einstellungssache, du kannst sie Leuten beibringen. Seit sechs Monaten spielen die Bayern denselben Fußball, mit wenig Spielkontrolle und Stabilität, und es ändert sich nichts. Wenn ich das Problem erkenne, muss ich versuchen es zu beheben mit den Spielern, die ich zur Verfügung habe.
Tuchel wollte im Sommer Palhinha holen, das hat nicht geklappt, und der kostet jetzt wahrscheinlich keine 60 Millionen, sondern 80 oder 90. Das kannst du für so einen Spieler nicht bezahlen und es ist ungewiss, ob die Münchner im Winter einen anderen defensiven Mittelfeldspieler finden, der ihnen die nötige defensive Stabilität bringt.
Ich weiß nicht, ob Tuchel sich ohne Sechser durchhangeln will, aber wenn du nicht aufpasst, weiter so Fußball spielst, mal wichtige Spiele verlierst und Selbstzweifel kommen, kannst du in der Liga im Winter schon riesige Probleme bekommen.
Bei Neuers Comeback wäre ich vorsichtig
Was das mögliche Comeback von Manuel Neuer angeht, muss ich sagen: Chapeau! Sich in dem Alter noch einmal zehn, elf Monate zu quälen und sich zurückzukämpfen, das ist eine Leistung. Ich glaube aber erst, dass er spielt, wenn er auf dem Spielberichtsbogen steht. Wenn er spielt, ist die Frage, wie er spielt. Ich wäre da sehr vorsichtig. Er hat, soviel ich weiß, nicht einmal ein Testspiel hinter verschlossenen Türen gemacht. In der Bundesliga brauchst du über 90 Minuten Körperspannung, diese Belastung kannst du im Training schwer kopieren oder simulieren. Im Spiel kann es schon einmal sein, dass ein Muskel nach 30 oder 60 Minuten zumacht.
TOP 3: Fischers Ende bei Union würde mir persönlich wehtun
RB Leipzig hat seine Aufgabe gegen Belgrad souverän gemeistert und ich bin sicher, dass die Leipziger das Achtelfinale erreichen werden. Simons hat ein Traumtor erzielt und - wie schon im Supercup und in der Bundesliga - gezeigt, dass er alles für eine ganz große Karriere mitbringt. Für ihn gilt "Sky is the limit", wie man in England sagt.
Union Berlin hat in der Champions League zum dritten Mal knapp verloren, jetzt insgesamt neun Niederlagen in Folge kassiert. Nach dem 0:1 gegen Neapel gab es Ärger durch Fofana und Wirbel um Bonuccis Bankrolle. Das Problem der Köpenicker ist, dass sich durch die Zugänge im Sommer die Hierarchie in der Mannschaft verschoben hat. Der unbedingte Wille füreinander da zu sein, hat sie immer ausgezeichnet, aber den haben sie im Moment nicht. Der Zusammenhalt scheint verloren gegangen zu sein, ohne den neuen Spielern allgemein einen Vorwurf zu machen.
Wenn aber einer dieser neuen Spieler bei seiner Auswechslung die Hand des Trainers nicht schüttelt, was in der Hitze des Gefechts passieren kann, aber nicht passieren sollte, kommt das bei den alteingesessenen Spielern schlecht an. Diejenigen, die schon seit Jahren im Verein sind und für Urs Fischer durchs Feuer gehen, sagen sich: "Wir erreichen die Champions League, der kommt hier her und benimmt sich so, was erlaubt sich dieser Rotzlöffel?"
Überspitzt formuliert hat Fofana den Trainer vor einem Millionenpublikum bloßgestellt. Auch wenn er sich entschuldigt hat, bleibt von so einer Aktion immer etwas hängen, und das fördert mit Sicherheit den Zusammenhalt nicht. Union hat am Samstag in Bremen ein wichtiges und schweres Spiel vor der Brust und ich habe größte Bedenken. Es täte mir persönlich weht, wenn die Beziehung zwischen Fischer und Union, die über Jahre so wunderbar war, auseinander gehen würde.