Thomas Tuchel hat mit seinem großen Wunsch nach einer "Holding Six" die Qualitäten von Joshua Kimmich infrage gestellt - und damit ein Problem geschaffen.
Wochenlang wurde beim FC Bayern über die "Holding Six", also einem defensiv denkenden Sechser, diskutiert. Thomas Tuchel hat sich diese Art von Spieler so sehr gewünscht und am Ende doch nicht bekommen. Die Gründe dafür sind bekannt.
Joshua Kimmich, der in den vergangenen Jahren beim FC Bayern unter Hansi Flick, Julian Nagelsmann und bis jetzt auch unter Tuchel auf der Position des Sechsers eingesetzt wurde, ist für den aktuellen Trainer der Münchner allerdings ganz offensichtlich nicht die Idealbesetzung. Daraus machte Tuchel schon in der Vorbereitung der Münchner keinen Hehl.
Einen wie Declan Rice, der zu Beginn der Transferperiode als Wunschspieler galt - zweikampf- und laufstark, gut am Ball, aber in der Lage, diszipliniert seine Position zu halten, scheint Kimmich für Tuchel nicht zu sein. "Joshua ist der strategische Typ, der am liebsten alles machen würde und auch prinzipiell alles machen könnte", sagte Tuchel auf der Asien-Reise: "Er bringt viel Qualität ins Team rein, aber hat immer noch nicht die DNA eines defensiven Sechsers. Er mag es zu gerne, sich frei zu bewegen, er versucht überall zu helfen und mag es, überall involviert zu sein."
Kimmich: "Ich bin ein Sechser"
Wie diese Aussagen bei Kimmich ankamen, dürfte sich wohl jeder selbst denken. Kimmich hatte nach dem Testspielsieg gegen den FC Liverpool auf eine entsprechende Frage vielsagend mit vier Worten reagiert, die klarer nicht hätten sein können: "Ich bin ein Sechser." Die Diskussionen um seine Rolle beim FC Bayern erreichten eine Dimension, die zuvor noch nicht da waren.
Für Didi Hamann hat Tuchel mit seinem ausdrücklichen Wunsch nach einer Holding Six ein Kimmich-Problem geschaffen, wie er am Sonntag bei Sky90 deutlich zum Ausdruck brachte: "Tuchel kann Kimmich kritisieren, auch öffentlich. Du kannst aber einem Spieler, der 70 Länderspiele hat, der sieben oder achtmal Meister war und die Champions League gewonnen hat, nicht die Fähigkeit absprechen, auf dieser Position zu spielen. Wenn du ihn öffentlich infrage stellst, verliert er natürlich auch in der Kabine an Ansehen."
Viel mehr müsse Tuchel seinen Spieler stärken. "Doch das Gegenteil hat er gemacht." Das fördere auch nicht die Bildung einer Achse innerhalb einer Mannschaft. "Wenn du keine Hierarchie in der Mannschaft hast, hast du nichts. Sollte Kimmich jetzt was in der Kabine sagen: Hört dem noch einer zu? Ich weiß es nicht. Das ist das größte Problem", erklärte Hamann.
Von den Diskussionen um seine Person zeigte sich Kimmich im Topspiel bei Borussia Mönchengladbach allerdings unbeeindruckt. Der 28-Jährige war neben Leroy Sane der beste Münchner beim 2:1-Sieg. Er bereitete nicht nur beide Treffer vor, sondern hatte mit 128 Ballkontakten auch die meisten aller Spieler auf dem Platz und wusste zudem mit 101 Pässen und einer Pass-Genauigkeit von 93 Prozent zu überzeugen.
Kimmich überzeugt in Gladbach
"Joshua hat immer eine gute Idee und spielt die Bälle dann superfein auf die Klinge der anderen - daher ist er sehr, sehr wichtig für unser Spiel", sagte Torhüter Sven Ulreich nach dem Spiel.
Und wie spielt denn Kimmich nun am liebsten? "Ich bin der Meinung, dass ich beides kann: sowohl den offensiveren als auch den defensiveren Part." Er sei "da relativ flexibel".
Kimmichs Fokus wird nun in Zukunft erst einmal auf der Defensive liegen. "Jo kann einfach nur Jo bleiben. Die Idee war (mit einer "Holding Six"; Anm.d.Red), Jo sein kreatives Potenzial zu entfalten. Ich sehe, wie viele Assists er im Training macht, seine Lust auf Tore schießen, sein ganzes kreatives Potenzial. Das muss er jetzt zügeln", sagte Tuchel am Samstag bei Sky.
Kimmich hat nun die Chance, mindestens bis zur nächsten Transferperiode im Winter zu zeigen, dass er auch eine "Holding Six" sein kann. Ob Tuchel ihm das zutraut?
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