Vor dem Topspiel zwischen dem FC Bayern und VfB Stuttgart analysiert Holger Badstuber im Interview mit skysport.de die Abwehr der Münchner. Zudem formuliert er eine klare Erwartung an Julian Nagelsmann und empfiehlt einen Linksverteidiger des VfB für das DFB-Team.
skysport.de: Am Sonntag treffen Ihre beiden Ex-Klubs aufeinander. Trauen Sie dem VfB Stuttgart auch in München eine Überraschung zu oder erwarten Sie eine starke Bayern-Reaktion nach dem Debakel in Frankfurt?
Holger Badstuber: Das ist gar nicht so einfach zu sagen, schließlich gab es schon lange kein Topspiel mehr zwischen Bayern und Stuttgart. Den VfB habe ich zuletzt im Stadion gegen den BVB verfolgt. Sie spielen guten Fußball, treten souverän und konstant auf. Sie kommen auf jeden Fall frischer nach München, da die Bayern unter der Woche bei United spielen mussten.
Nach dem Debakel in Frankfurt erwartet man eigentlich eine Reaktion der Bayern und wenn sie ihr Potenzial abrufen und gallig sind, dann wird es schwer für den VfB, dort zu bestehen. Ich bin jedenfalls sehr gespannt.
skysport.de: Was sind für Sie die wichtigsten Faktoren des VfB-Höhenflugs?
Badstuber: Innerhalb des Vereins herrscht Ruhe und Sebastian Hoeneß hat schon bei seiner Ankunft eine gewisse Stabilität und Struktur reingebracht. Das hat er trotz der hochkarätigen Abgänge im Sommer fortgeführt. Mit Alexander Nübel haben sie einen guten Torwart geholt, der souverän spielt, über ein hohes Spielverständnis verfügt und Ruhe ausstrahlt.
Zudem wirkt die Viererkette zusammen mit Stiller und Karazor davor auf der Doppel-Sechs sehr stabil und vertraut untereinander, so dass sie vieles im Verbund wegverteidigen können. Und vorne haben sie nicht nur Guirassy, der trifft, sondern mit Undav noch einen zweiten Stürmer, die auch zusammen funktionieren. Insgesamt ist es eine gute Kombination und deswegen steht der VfB auch zurecht auf Platz drei.
skysport.de: These: Der VfB wird im nächsten Jahr europäisch spielen. Würden Sie zustimmen?
Badstuber: Momentan herrscht der Eindruck, dass alles rund läuft. Wenn das auch am Ende der Saison der Fall sein sollte, dann wird der VfB im nächsten Jahr mit Sicherheit auch europäisch spielen.
skysport.de: Gegen United war es stabil, doch beim Debakel in Frankfurt wurden teils eklatante Schwächen in der FCB-Defensive offengelegt. Nicht von ungefähr haben sie ligaweit die meisten Gegentore (4) nach individuellen Fehlern kassiert (Quelle: Opta). Genügt die Abwehr aus Ihrer Sicht den allerhöchsten Ansprüchen?
Badstuber: Wenn man nur die Qualität der Einzelspieler in Betracht zieht, mag man davon ausgehen. In der Defensive geht es aber vor allem um den Verbund und das Vertrauen. Momentan habe ich den Eindruck, dass in der Defensive das Gefühl füreinander noch fehlt.
"De Ligt wurde Leader-Rolle aufgedrückt"
skysport.de: Können Sie das konkretisieren?
Badstuber: In letzter Zeit wirkte die Defensive etwas stabiler, aber manchmal spielen sie zu fahrlässig - wie zuletzt in Frankfurt. Wenn man erst 1:0 und dann 2:0 hinten ist, muss man eigentlich zusammenkommen und sagen: "Jetzt fokussieren wir uns erstmal auf die Defensive, dass wir kein weiteres Gegentor kassieren." Das ist eine Einstellungssache, die man als gesamte Mannschaft leben muss, aber das tun sie nicht. Deswegen wirkt die Abwehr löchrig und dann kommt automatisch die Frage auf, ob diese Zusammensetzung für die ganz großen Spiele reicht.
skysport.de: Hat Bayern den Abgang von David Alaba überhaupt je kompensieren können und fehlt dem Klub ein lautstarker Abwehrchef, der Kommandos gibt und dirigiert?
Badstuber: Von außen betrachtet ja. Es ist wichtig, hinten lautstark zu sein, zu unterstützen und eine ordnende Hand zu haben. Wenn ich im Stadion bin, achte ich sehr darauf, wie sich die Abwehrspieler untereinander verhalten. Bei den Bayern wird wenig kommuniziert, sie pushen sich auch gegenseitig zu wenig, um den Gegner aufzuhalten und keine Torchance zuzulassen.
skysport.de: Dayot Upamecano spielt seine dritte Saison bei den Bayern. Sehen Sie bei ihm eine Weiterentwicklung und trauen Sie ihm noch eine Führungsrolle zu?
Badstuber: In Leipzig war mit Willi Orban der Kapitän und eine Vereinsikone sein Partner, daneben konnte er sich wunderbar entwickeln, aber Bayern München ist eine andere Hausnummer. Es ist kein Ausbildungsverein, das ist ein Klub, der Jahr für Jahr um drei Titel mitspielen möchte. Upamecano besitzt in fußballerischer Hinsicht großes Potenzial, er hat sich auch verbessert im Vergleich zum vergangenen Jahr, aber von seiner Persönlichkeit her sehe ich nicht den Leader in ihm. Da darf man sich auch nichts vormachen und dem Spieler die Rolle künstlich auferlegen. Das muss intrinsisch motiviert sein.
skysport.de: Wie bewerten Sie den Start von Neuzugang Min-jae Kim?
Badstuber: Für eine Bewertung ist es noch zu früh. Er spielt solide, aber muss sich erst noch an die Mannschaft, den Rhythmus und die Ansprüche, die in Neapel nicht so hoch waren, gewöhnen. Bei Bayern ist das Double immer Pflicht, das ist mental eine völlig andere Anforderung. Das darf man nicht unterschätzen.
"Bayern würde ein Spieler wie Pavard guttun"
skysport.de: Und welchen Eindruck haben Sie von Matthijs de Ligt?
Badstuber: Zu ihm habe ich in der Vergangenheit schon des Öfteren meine Meinung geäußert. Fakt ist: In Turin hat er es nicht zum absoluten Stammspieler geschafft, da waren Chiellini und Bonucci die Chefs. Fakt ist auch: Bei der WM hat er unter Louis van Gaal wenig gespielt. Und bei Ajax war er zwar Kapitän, doch das gilt es richtig einzuordnen.
skysport.de: Bitte ...
Badstuber: Natürlich verfügt er über eine gewisse Qualität, aber die Binde am Arm wird heutzutage auch gerne benutzt, um den Marktwert zu steigern und den Spieler noch mehr hervorzuheben - unabhängig davon, ob er Leaderqualitäten besitzt oder nicht. Das war vielleicht auch der Gedanke von Ajax. Letzte Saison wurde ihm die Leader-Rolle bei den Bayern aufgedrückt, das Resultat mit nur einem Titel und vielen Gegentoren spricht für sich.
skysport.de: Muss Bayern also auf dem Transfermarkt aktiv werden?
Badstuber: Meiner Meinung nach müssen sie in der Defensive nachlegen, gerade nach den Abgängen von Pavard und Stanisic. Dass sie die beiden im Sommer innerhalb kürzester Zeit abgegeben haben, ohne Ersatz zu holen, hat mich sehr verwundert. Aber ich denke, sie haben es selbst erkannt, dass das Transferfenster unglücklich gelaufen ist. Sie müssen einen Spieler finden, der ins Muster passt und so flexibel ist wie Pavard. So einer würde ihnen guttun, aber Spieler mit dieser Qualität sind nicht einfach zu finden und sehr begehrt.
skysport.de: Beim VfB sorgt mit Waldemar Anton ein Abwehrspieler dagegen für Furore. Was macht ihn so stark und könnte er das "Verteidigungsmonster" für Nagelsmann bei der EM sein?
Badstuber: Er spielt bislang sehr stabil, aber es sind erst 14 Spieltage absolviert. Wenn er seine guten Leistungen bis in die entscheidende Saisonphase konserviert, dann sollte er zwangsläufig ein Kandidat für die Nationalmannschaft sein. Beim DFB muss nämlich wieder das Leistungsprinzip gelten. Wenn du bei einem Turnier alle vier Tage spielst, benötigst du Konstanz und Spieler, auf die du dich verlassen kannst. Und wenn Anton das bringt - auch wenn der nicht die größte internationale Erfahrung hat - dann hat er es verdient, mitzufahren.
"Mittelstädt ist einer für das DFB-Team"
skysport.de: Stichpunkt Abwehr im DFB-Team: Welche Formation würden Sie präferieren?
Badstuber: Es sind schon so viele Innenverteidiger-Pärchen ausprobiert worden. In der Abwehr und bei den Sechsern muss Klarheit rein. Ich erwarte von Nagelsmann, dass er bei den nächsten Länderspielen im März entscheidet, mit welcher Abwehr er ins Turnier gehen will. Sie müssen gegenseitiges Vertrauen schaffen und ein Gefühl füreinander bekommen. Dann würde ich Kimmich als Rechtsverteidiger aufbieten. Auf ihn ist Verlass, er ist dort eine sichere Bank und kann auch von dort aus das Spiel leiten.
skysport.de: Und wie sieht es auf der Sechs aus?
Badstuber: Gündogan könnte zusammen mit einem statischen Sechser wie Leon Goretzka, Pascal Groß oder Grischa Prömel spielen. Und für die linke Seite gibt es meiner Meinung nach auch einen Kandidaten vom VfB Stuttgart …
skysport.de: An wen denken Sie?
Badstuber: Maximilian Mittelstädt. Ihn sollte man auf der Liste haben. Er spielt eine stabile Saison, löst Situationen clever, hat eine gute Technik und kann mit seinem linken Fuß viel kreieren.
skysport.de: Abschließend, da sie beide damals unter Louis van Gaal den Durchbruch beim FC Bayern geschafft haben: Leiden Sie gerade etwas mit Thomas Müller mit und glauben Sie, dass er seinen Vertrag nochmal verlängern wird?
Badstuber: Das Wichtigste ist, dass intern zwischen allen Parteien klar kommuniziert wird, damit kein böses Blut oder Unsicherheiten entstehen - ganz egal, wie es nun weitergeht. Er ist einer der größten Spieler in der Geschichte des Vereins. Auf menschlicher Ebene muss alles sauber sein, das wünsche ich mir.
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