Sky Kommentator Florian Schmidt-Sommerfeld blickt in seiner Kolumne zurück auf den emotionalen Abschied von Jürgen Klopp beim FC Liverpool.
Und dann bleibt... Die große Leere. Erstmal. Ich bin ehrlich und habe in euren vielen Nachrichten das Gefühl, euch geht es genau so: Ich bin noch nicht so weit wie Jürgen Klopp. Der direkt nach vorne schaut. Der gestern in einer denkwürdigen letzten Rede im Mittelkreis den Geist von Anfield, die Fans als "die Superkraft" des Vereins beschworen hat, genau so weiter zu machen. Und seinen Nachfolger Arne Slot besungen hat. Ganz genau diesen Geist braucht Liverpool jetzt.
Mehr ein Anfang denn ein Ende - Klopps Mantra für seinen letzten Tag als LFC-Trainer. Mal wieder trifft der Welttrainer aus dem Schwarzwald den Nagel auf den Kopf. Und die Zeit dafür wird kommen. Ab Juli, August. Aber noch darf Leere und Traurigkeit sein. Nach außergewöhnlichen Jahren, nach einer echten Ära, nach legendären Zeiten.
Ganz Liverpool nach Anfield unterwegs
Für mich beginnt die Reise früh am Sonntag am Flughafen München und schon dort wird klar: Es wird eine unvergessliche. Das erste Liverpool-Trikot sehe ich schon weit vor dem Gate, dort angekommen sind es dann schon bestimmt ein Dutzend im LFC-Dress. Im Flieger lese ich noch, was die englischen Kollegen über "The Normal One" schreiben, besser gesagt: ich versuche es. Immer wieder werden meine Augen glasig. Ich schaue aus dem Fenster. Womit haben wir diesen Mann verdient? Und wie soll so einer in der perfekten Symbiose mit diesem gigantischen Verein jemals wieder kommen…
Liverpool selbst wirkt an vielen Stellen wie leergefegt. Und wenn man dann doch mal Menschen auf der Straße laufen sieht, sind sie im Liverpool-Jersey offensichtlich Richtung Anfield unterwegs. Gerade dort angekommen, laufe ich vor den Treppen, auf denen Tausende in der Nacht die Meisterschaft 2020 gefeiert haben, einer Gruppe aus Braunschweig in die Arme. Sieben, acht Mann. Wie sie alle Karten bekommen haben, frage ich - aber sie winken ab. Sie sind ohne angereist. Hauptsache Klopp noch einmal irgendwie nahe sein. Wie nah genau - darauf kommt es an diesem Tag nicht an.
Wettergott meint es gut mit Klopp
Der Himmel strahlt in blau, herrliche 25 Grad - selbst der Wettergott will sich von der Legende so herzlich wie möglich verabschieden. Im Stadion haben die Leute ganz offensichtlich schwer gemischte Gefühle. Dankbar dabei sein zu dürfen und doch schaue ich in viele glasige Augen. Weil der Mann, der diesen legendären Verein wieder wachgeküsst und zu einer Weltmacht gemacht hat, eben nur noch dieses eine Mal in ihrer Mitte sein wird.
Das Spiel braucht ein bisschen Anlauf, nach der Roten Karte gegen Nelson Semedo entwickelt sich eine fast absurde Dominanz, die mich schwer an die Meistersaison 19/20 erinnert. Je länger das Spiel dauert, kommt Wehmut auf. Wieder der Gedanke: Wer soll dieses Stadion und eine Mannschaft je wieder so anzünden? Ich weiß, der Begriff Fußball total gehört den Holländern - für mich ist Klopps Meisterfußball von 2019/20 der totale Fußball. So dominant haben andere auch gespielt, auf jeden Fall. So intensiv? Vielleicht. So wuchtig und emotional? Auf keinen Fall. Hier ist Klopps Heavy Metal die Benchmark. Football total.
Gänsehaut in den letzten Spielminuten
Die letzten Minuten brechen an. Das Stadion erhebt sich und singt minutenlang "I'm so glad, that Jürgen is a red…" Gänsehaut. Hitz und ich setzen einen der beiden Kopfhörer hab und schwelgen einfach nur mit. Es gibt nichts zu sagen. Nichts, was annähernd so wertvoll wäre wie dieses Lied aus 60.000 Kehlen. Ich weiß auch gar nicht, ob meine Stimme in diesem Moment gehalten hätte. Meine Augen werden wässrig, als ich Ulla Klopp auf der Tribüne sehe, wie sich eine Träne aus den Augen wischt.
Ich denke an euch. Wie viele Liverpool-Fans würden alles geben, um jetzt an meinem Platz zu sitzen und hätten es wegen ihrer Liebe zu diesem Verein auch so viel mehr verdient als ich. Ich hoffe, wir konnten euch diesen Tag und seine Stimmung bestmöglich transportieren. Meine Augen schweifen über The Kop, das ganze Stadion und landen dann recht schnell wieder bei dem Mann, um den es heute geht. Wann brechen bei Jürgen alle Dämme? Gar nicht. Ich frage mich, wie das möglich ist.
Deswegen komme ich irgendwann auch wieder mehr zu mir und genieße einfach den Moment. Positiv. Ohne Tränen. Ohne Bedauern. In dem Wissen: es tut weh. Aber es geht weiter. Und die Dankbarkeit Jürgen Klopps Ära in Liverpool miterlebt zu haben überwiegt dann dem Abschiedsschmerz. Das hätte ich noch im Flieger für unmöglich gehalten. Wieder die immer wiederkehrenden Gedanken: Wie macht dieser Mann das?
Danke auch an Peter Krawietz
Schon weit nach dem Spiel warten wir unten auf dem Rasen auf das letzte Interview nach dem letzten Tanz. Mo Salah, Trent Alexander-Arnold, Virgil van Dijk - all die Säulen der Klopp-Ära laufen nach und nach mit ihren Liebsten an mir Richtung Spielertunnel vorbei. Surreal. Und dann kommt plötzlich Peter Krawietz. Der vergleichsweise unbesungene, ewige Fels an Klopps Seite.
Ich will ihm eigentlich Danke sagen, für all die großartigen Momente. Und nicke ihm dann doch nur zu. Weil es sein Moment ist. Und ich nicht weiß, ob ich damit vielleicht doch irgendwie störe. Jetzt bereue ich es ein wenig. Weil er die Wertschätzung einfach verdient hat. Das ist der Nachteil, wenn man im Moment lebt und sich vorab keine Gedanken macht, was heute passieren könnte. Vielleicht ja ein andermal…
Und dann hat Jürgen Klopp seine Ehrenrunde, die nach Wunsch der Fans wahrscheinlich ein Jahr hätte dauern können, beendet und kommt zum Interview. Ein echter Marathon, vier internationale Kollegen sind noch vor mir dran. Es tut mir fast leid, ihn noch weiter aufhalten zu müssen. Aber er antwortet offen und emotional wie immer.
"Wie kann man diesen Mann nicht lieben?"
Ein Satz hallt bei mir noch besonders nach: "Den Job werde ich nicht vermissen, aber die Menschen". Vielleicht nehme ich das auch etwas zu wörtlich, doch wenn ich Klopp dabei in die Augen sehe und den Grund für seinen Rücktritt, die Erschöpfung dazu nehme: Er hat sich ein Stück weit für Liverpool und uns aufgearbeitet. Er ist der beste Botschafter für Deutschland auf der Insel, die beste Geschichte, die uns im deutschen Fernsehen und in der Premier League je passieren konnte. Wie kann man diesen Mann nicht lieben?
Ich weiß, einige von euch haben sich darüber geärgert, wie sehr wir Klopp und Liverpool "abgefeiert" haben. Es ist kein Fan-Tum. Es ist Dankbarkeit. Unser Beruf ist ein riesiges Privileg. Weil es Menschen wie Jürgen Klopp gibt. Weil Jürgen Klopp extrem hart arbeitet, den mitreißendsten Fußball spielen lässt und uns emotional bewegt wie kein anderer.
Und erst wenn all das zusammen kommt, ergibt unser Job richtig Sinn, weil wir wirklich etwas zu erzählen und zu zeigen haben. Etwas, das bei euch hängen bleibt, für das ihr gern einschaltet. Wir können die Geschichte transportieren. Schreiben nicht. Schreiben kann sie nur ein Mensch wie Jürgen Klopp.
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