Lothar Matthäus kritisiert in seiner Kolumne das Verhalten von Bayern Münchens Trainer Thomas Tuchel nach der Niederlage gegen Bremen. Tabellenführer Leverkusen und deren Coach Xabi Alonso lobt der Sky Experte.
Wenn ein Trainer sich nach einer Niederlage hinstellt und die Schuld nur bei den Spielern sucht, so wie es Thomas Tuchel nach dem 0:1 gegen Werder Bremen gemacht hat, dann ist das für die Spieler eine ziemliche Ohrfeige. Ich finde, man kann sich als Trainer auch mal selbst hinterfragen, aber davon habe ich bei Thomas am Sonntag nichts gehört.
Tuchel hat erklärt, dass die Mannschaft nicht das gespielt hat, was er sich vorgestellt hat. Wenn ein Joshua Kimmich nach dem Spiel sagt, "man hat nicht das Gefühl, dass wir wissen, worum es geht", setzt Tuchel etwas voraus, was bei den Spielern anscheinend nicht angekommen ist.
Tuchel und Spieler sprechen nicht die gleiche Sprache
Ich weiß nicht, was Tuchel seiner Mannschaft in der Pause gesagt hat, aber wenn ich Kimmichs Aussage höre, haben es die Spieler des FC Bayern offenbar nicht verstanden. Die Aussage zeigt mir, dass man nicht unbedingt eine gemeinsame Sprache spricht.
Ich kann nur das beurteilen, was ich auf dem Platz sehe, aber ich hoffe, dass Thomas mit den Spielern spricht, ihnen klare Ansagen macht und Erklärungen gibt. Ich glaube, dass er das auch macht, aber wissen die Spieler, was er will, oder wissen sie es nicht?
Tuchel hat mit Chelsea die Champions League gewonnen, aber warum kommt er nicht an die Bayern-Mannschaft heran?
Warum wollen erfolgreiche Trainer immer irgendetwas probieren?
Manchmal denke ich, dass erfolgreiche Trainer immer irgendetwas probieren wollen oder etwas durchziehen wollen, von dem sie sagen: "Ich weiß es besser."
Thomas weiß es besser, er arbeitet ja tagtäglich mit der Mannschaft, aber seine Ideen funktionieren zurzeit nicht - oder vielleicht begreifen die Spieler seine Ideen nicht?
Ich als Trainer hinterfrage mich zunächst selbst, aber wenn man ihm am Sonntag zuhörte, hatte man das Gefühl, dass die Mannschaft alles verkehrt gemacht hat, aber er nicht. Da hat irgendetwas mal wieder nicht gestimmt.
Kimmich und Goretzka tragen das Bayern-München-Gen in sich
In meiner Spielphilosophie sind Joshua Kimmich und Leon Goretzka - neben aktuell den Leverkusenern Xhaka und Palacios - zusammen das Beste, was in der Bundesliga auf der Doppelsechs spielen kann.
Goretzka und Kimmich tragen das Bayern-München-Gen in sich, sie haben sehr viel zum Erfolg der vergangenen Jahre beigetragen. Beide sind für mich zwei Weltklassespieler, wenn sie funktionieren. Ich schätze Raphael Guerreiro sehr, aber er ist ein anderer Spielertyp als Goretzka. Wenn ich einen Rückstand in der Tabelle aufholen muss, geht es nicht nur um spielerische Elemente, sondern um Robustheit, Zweikampfstärke und Persönlichkeit.
Dann gerät die Hierarchie durcheinander
Goretzka ist der beste Box-to-Box-Spieler in Deutschland, er arbeitet nach hinten, hat Persönlichkeit. Wenn Goretzka - wie gegen Bremen - fehlt, gerät die Hierarchie durcheinander. Kann Goretzka Verantwortung übernehmen, wenn er von der Bank kommt? Kann Kimmich die Mannschaft führen, wenn er öffentlich angezählt worden ist? Thomas Müller steht in der Hierarchie eigentlich immer oben, aber kann er das überhaupt noch, wenn er nur noch eingewechselt wird?
So schwächt Tuchel seine Spieler
Eigentlich muss ich doch als Trainer meine Führungsspieler stärken, wenn ich schon nicht die Spieler bekomme, die ich vielleicht gewollt hätte.
Wenn ich eine Holding Six suche, sie aber nicht bekomme, habe ich doch in meiner Mannschaft ganz sicher den einen oder anderen, der diese Position spielen kann. Und den muss ich dann stärken.
Man müsste die Dinge intern klarer absprechen und nicht so viel in der Öffentlichkeit reden, aber so schwächt Tuchel seine starken Spieler, seine Mentalitätsspieler wie Kimmich und Goretzka.
Leverkusens Spieler verstehen Alonsos Ansprachen
Ich gehe davon aus, dass auch Xabi Alonso in Leverkusen gerne noch den einen oder anderen Spieler gehabt hätte, aber alles geht halt nicht.
Ich habe Leverkusens Sieg in Leipzig gesehen, da lief in der ersten Halbzeit bei Bayer nicht viel zusammen. Aber die Spieler haben gesagt, dass Alonso in der Kabine eine klare Ansprache gehalten hat. Emotional, aber auch analytisch. Und offenbar haben es die Spieler verstanden.
Die meisten Leverkusener haben noch keinen oder keinen großen Titel gewonnen, sie sind hungriger als die Bayern. Wenn du fünf Mal wie Goretzka oder acht Mal wie Kimmich Meister warst, aber ständig hörst, dass du deine Position nicht richtig spielen kannst oder dich der Trainer draußen lässt, dann nagt das natürlich an dir.
Bei Bayer sind Spielstil und Überzeugung zu erkennen
In vergangenen Spielzeiten wäre Bayern mit 41 Punkten wahrscheinlich souverän Erster gewesen, aber jetzt steht Leverkusen an der Spitze der Bundesliga. Selbst bei einem Sieg im Nachholspiel gegen Union Berlin hätte Bayern immer noch vier Punkte Rückstand gegen eine überragende Mannschaft.
Auch nach zweimaligem Rückstand in Leipzig sind die Leverkusener nicht von ihrem Weg abgegangen, in Augsburg sind sie auch nicht in Hektik verfallen, sie haben beide Spiele gewonnen. Es sind ein klarer Spielstil und eine Überzeugung sind zu erkennen.
Für Bayern zählen nur noch Siege
Für Bayern zählen nur noch Siege, denn sie können nicht auf Leverkusener Ausrutscher hoffen.
Die Meisterschaft ist der ehrlichste Titel, und wenn dieser Titel, der letztes Jahr schon mit Glück geholt wurde, dieses Jahr verpasst wird, steht - jetzt noch nicht, aber natürlich auch irgendwann - der Trainer zur Diskussion.
Mehr zum Autor Lothar Matthäus
Alle weiteren wichtigen Nachrichten aus der Sportwelt gibt es im News Update nachzulesen.