Der Meistertitel scheint für Real mit acht Punkten Rückstand bereits unerreichbar und der Stuhl von Trainer Ancelotti beginnt allmählich zu wackeln. Dabei befindet sich Madrid ohnehin vor dem Ende einer großen sportlichen Ära. Die nächste Real-Generation steht nämlich schon bereit und pocht auf eine königliche Wachablösung.
Als Schiedsrichter Clement Turpin die Partie am 28. Mai des vergangenen Jahres abpfiff, stand es also fest: Mit einem 1:0-Finalerfolg über den FC Liverpool holte sich Real Madrid zum insgesamt achten Mal in der Vereinsgeschichte den Champions League-Titel - gleichzeitig sicherten sich die Madrilenen damit den vierten Königsklassen-Triumph in gerade einmal sieben Jahren.
Was dabei besonders erstaunt: Bei allen vier Endspielen standen im zentralen Mittelfeld Toni Kroos, Luka Modric und Casemiro sowie Karim Benzema in der Sturmspitze jeweils von Beginn an auf dem Rasen. Modric war sogar schon beim Titelgewinn 2014 gegen Erzrivale Atletico einer der wichtigsten Leistungsträger im Spiel der "Blancos".
Real hinter eigenen Ansprüchen
Mit Blick auf diese außergewöhnliche Tatsache wird deutlich, dass sich der spanische Rekordmeister über das beinahe gesamte zurückliegende Jahrzehnt eine außergewöhnliche Konstante im eigenen Kader geschaffen hat, die es ihnen ermöglichte, zur schier besten Mannschaft Europas zu avancieren. Doch ewig können selbst diese Königlichen nicht mehr gemeinsam im weißen Dress auflaufen.
Mittelfeld-Maestro Casemiro hat den Verein ohnehin im vergangenen Sommer verlassen, um bei Manchester United anzuheuern. Mit 33 (Kroos), 35 (Benzema) und 37 (Modric) Jahren hat das verbleibende Trio darüber hinaus ein Alter erreicht, in welchem die langjährigen und verdienten Säulen allmählich wohl oder übel keine langfristige sportliche Perspektive mehr darstellen - trotz aller Qualität und vor allem Erfahrung.
Dies wird auch durch die Tatsache bestärkt, dass Real Madrid in dieser Saison bislang hinter den eigenen Ansprüchen performt. Mit der jüngsten 0:1-Niederlage auf Mallorca beträgt der Rückstand auf Tabellenführer und Dauerrivale FC Barcelona mittlerweile bereits acht Punkte. Ein Abstand, der selbst für die Königlichen nach 20 Spieltagen und der derzeitig hervorragenden Form der Katalanen nur äußerst schwer einzuholen sein dürfte.
Uninspiriert und ideenlos - Königliche Spielweise wirft Fragen auf
Nicht nur der bittere Punktverlust auf der spanischen Insel, sondern auch die Art und Weise, wie die Madrilenen in dieser Spielzeit streckenweise auftreten, wirft Fragen auf. Die Vorstellung Reals wirkte nicht zum ersten Mal uninspiriert und ideenlos. Zu selten schafften es "Los Blancos" in dieser Spielzeit, dominant und gleichzeitig kreativ genug aufzutreten und nicht einmal Kroos, Modric oder Benzema können nicht verlässlich den Unterschied zu machen.
Trotz des Champions-League-Sieges und der gewonnenen Meisterschaft in der vergangenen Spielzeit wird das Eis unter Trainer Carlo Ancelotti so langsam enorm dünn, wie unter anderem die spanische Sport berichtet hat. Die Spielweise der Königlichen steht schon die gesamte Saison in der Kritik. Nun, da auch der sportliche Erfolg ausbleibt, häufen sich die Stimmen, die einen Wechsel auf der Trainerposition fordern. Mit Mauricio Pochettino, Thomas Tuchel und dem zweimaligen Ex-Coach Zinedine Zidane werden gerüchteweise bereits drei namhafte Übungsleiter als Nachfolger gehandelt.
Noch scheint die Zukunft des 63-Jährigen trotz Kritik und zahlreicher Nachfolge-Kandidaten nicht besiegelt. Real fordert Ergebnisse und Titel. So auch in der Königsklasse, in der man im Achtelfinale auf Jürgen Klopp und den FC Liverpool trifft. Für die Klubführung dürften die beiden Partien ein echter Gradmesser für das weitere Vorgehen mit Bezug auf ihren italienischen Coach sein. Sollte man gegen die Reds ausscheiden und sich damit die Chancen auf den Champions League-Titel verspielen, kann womöglich nur noch die immer unwahrscheinlicher werdende Meisterschaft die Ära Ancelotti über den Sommer hinaus am Leben halten.
Umbruch bereits eingeleitet - Madrid bestens vorbereitet
Ein baldiger Umbruch scheint unabhängig des sportlichen Abschneidens bei Real allerdings ohnehin unausweichlich. Die Verträge der angesprochenen Kroos, Modric und Benzema laufen nämlich allesamt im kommenden Sommer aus. Mit Blick auf die sportliche Verfassung der Königlichen dürfte eine weitere Verlängerung derzeit eher unwahrscheinlich sein.
Königlich vorausschauend, wie der Rekord-Champions-League-Sieger eben arbeitet, hat man sich rund um das Santiago Bernabeu jedoch bereits seit Jahren bedacht auf diesen unvermeidlich bevorstehenden Umbruch vorbereitet. Mit den hochbegabten Aurelien Tchouameni (23, im vergangenen Sommer nach Madrid gekommen) und Eduardo Camavinga (20, im Sommer 2021 zu Real gewechselt) könnte man die großen Lücken der potenziellen Kroos- und Modric-Abschiede in der Zentrale mindestens einmal kompensieren.
Ihre außerordentliche Klasse haben beide bereits in Monaco beziehungsweise Rennes gezeigt. Dem französischen Duo gehört zweifelsohne die Zukunft im Real-Mittelfeld. Camavingas Vertrag ist bis 2027 datiert, Tchouamenis sogar noch ein Jahr länger. Darüber hinaus darf nicht außer Acht gelassen werden, dass sich der immer noch junge Federico Valverde (24) ebenfalls bereits seit Jahren als unverzichtbarer Mittelfeld-Motor präsentiert.
Zukunfts-Real auf dem Papier schon Weltklasse
Mit Vinicius Junior (22) und Rodrygo (22) stehen überdies zwei der wohl hochveranlagtesten Flügelstürmer der Welt in den Reihen der Madrilenen. Bei Real wurden die beiden Brasilianer bereits vor langer Zeit an die erste Elf herangeführt. Die pfeilschnellen Außen sind mittlerweile fest gesetzt im Spiel von Madrid.
So sieht das Real-Team der Zukunft auf dem Papier bereits Weltklasse aus. Im Tor hat Thibaut Courtois (30) auch noch einige Jahre auf allerhöchstem Niveau vor sich. Die Innenverteidiger-Positionen strotzen mit Antonio Rüdiger (29), Eder Militao (25) und David Alaba (30) ebenfalls nur so vor Qualität.
Mittelstürmer-Position bereitet noch Sorgen
Die einzige Position, die beim Blick auf das Real der Zukunft noch Sorgenfalten erweckt, ist die des Mittelstürmers. Benzema befand sich in der der vergangenen Spielzeit zwar noch in der Form seines Lebens und wurde mit dem Gewinn des Ballon d'Or gekürt - doch auch für den 35-jährigen Franzosen läuft aktuell nicht alles so gewohnt locker vor dem Tor.
Mit neun Treffern in der Liga teilt er sich lediglich den dritten Platz in der ligaweiten Torschützenliste mit Borja Iglesias und Iago Aspas, in der Champions League konnte der amtierende Weltfußballer bislang noch nicht einmal netzen. Mit Mariano Diaz (29) hat Real im Kader nur eine einzige echte positionsgetreue Alternative. Der spanisch-dominikanische Stürmer spielt unter Ancelotti jedoch so gut wie keine Rolle und stellt bei Weitem keinen gleichwertigen Ersatz für den Franzosen dar. Mittelfristig muss sich die Klubführung also auch hier um eine angemessene Alternative für Benzema kümmern.
Neue königliche Generation
Doch auch ohne bereits vorhandene Verstärkung auf der Mittelstürmer-Position hat der spanische Rekordmeister schon jetzt einen Kader beisammen, der für die Zukunft qualitativ hochwertig aufgestellt ist. Die Wachablösung im Kader Reals ist bereits in vollem Gange. Eine große sportliche Ära mit noch größeren Namen wie Benzema, Modric und Kroos neigt sich in Spaniens Hauptstadt damit gleichzeitig dem Ende zu.
Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass Real Madrid mit den Tchouamenis, Camavingas, Rodrygos und Vinicius' des Vereins schon jetzt alles daransetzt, um schnellstmöglich neue Kapitel Fußball-Geschichte mit einer neuen königlichen Generation zu schreiben.