Am Wochenende zeigte der SC Freiburg seine ganze Klasse. Im Duell der Überraschungsmannschaften bezwangen die Freiburger Union Berlin mit 4:1. Nicht Dortmund, nicht Leipzig, sondern der SC Freiburg ist erster Bayern-Verfolger.
Trotzdem pflegen Sie in Freiburg immer noch das Image des Underdogs. Lautes Trommeln und überzogene Erwartungshaltungen bekommt man von den Verantwortlichen des SC Freiburg nicht zu hören. Stattdessen sind Demut und Understatement an der Tagesordnung.
"Das ist ein bisschen verrückt, aber total ehrlich. Ich guck mir immer noch an, wie die Mannschaften spielen, die unten stehen. Ich schaue nicht, wie viele Punkte fehlen zu Bayern, sondern wie viele Punkte Abstand sind es zum fünfzehnten, sechzehnten Tabellenplatz", sagt beispielsweise Sportdirektor Klemens Hartenbach nach dem letzten Bundesligaspiel des Jahres gegenüber Sky.
Freiburgs beeindruckende Entwicklung
Auch, wenn die Anspruchshaltung in der Mannschaft eine andere ist: "Es entsteht eine Eigendynamik und das auch völlig zurecht. Wenn man in die Kabine kommt, wollen die Jungs das nicht hören. Die wollen das Maximale rausholen. Die Jungs sind auch gut, sie arbeiten gut miteinander, sie arbeiten hart. Ich sag es mal so: Für mich wäre es sehr überraschend, wenn wir noch ganz unten reinrutschen würden. Aber die Bedingung dafür ist die harte, tägliche Arbeit."
Die Realität ist: Der SC hat sich in den letzten Jahren zu einem etablierten Bundesligisten entwickelt und stand in der vergangenen Saison auch nicht aus Versehen im DFB-Pokalfinale. Das sagt auch Ex-Trainer Volker Finke, der die Entwicklung in Freiburg immer noch genau beobachtet: "Der Verein hat inzwischen mehr als 100 Millionen Euro Umsatz, steht bei den Budgets in der Bundesliga zwischen Platz sieben und zehn. Deshalb ist es nicht so leicht, die Underdog-Rolle weiterzuspielen, nach der es immer nur um den Klassenerhalt geht."
Neuzugänge schlagen ein
Mitentscheidend für den Erfolg des SC Freiburg in dieser Saison ist aber nicht nur das Geld, sondern vor allem, wie es eingesetzt wird. Mit Matthias Ginter, Michael Gregoritsch, Ritsu Doan und Daniel-Kofi Kyereh haben alle vier Neuzugänge direkt eingeschlagen.
Vor allem die Rückkehr von Matthias Ginter zeigt: Freiburg muss bei Transfers nicht mehr nur nach talentierten oder unterbewerteten Spielern schauen, sondern kann im Regal der gestandenen Bundesligaspieler mittlerweile auch weiter oben zugreifen. "Jetzt haben sie sich im Sommer wieder richtig gut verstärkt. Das ist auch nur möglich, weil sich in Freiburg eine Ausstrahlung entwickelt hat", so Finke. "Die Spieler wissen mittlerweile, mit Freiburg kann man in Europa spielen. Die Kontinuität, die mit dem Trainerteam, mit Jochen Saier und Klemens Hartenbach da ist, das ist schon super. Das freut mich extrem, weil all diese Leute schon 2007 da waren, als wir uns damals getrennt haben."
Jugendarbeit hat besonderen Stellenwert
Bei allem Erfolg und den neuen finanziellen Möglichkeiten haben sie in Freiburg trotzdem immer ein Auge auf die Jugend. In kaum einem Verein in der Bundesliga hat die Jugendarbeit und die zweite Mannschaft einen solchen Stellenwert.
"Das ist meine Luft zum Atmen. Am wichtigsten ist, dass ich sehe, dass wir als Verein den Weg prinzipiell weiterverfolgen. Egal ob wir Dritter sind, Zehnter oder Fünfzehnter. Solange ich hier Wirken darf, werde ich da immer mit mehr als einem Auge drauf schauen, dass das funktioniert.", beschreibt Klemens Hartenbach die Bedeutung des Freiburger Nachwuchses. Und es zahlt sich aus.
Im (zugegebenermaßen sportlich bedeutungslosen) letzten Europa-League-Spiel gegen Qarabag Agdam standen sechs Spieler aus der eigenen Jugend in der Startelf. Dazu kommen drei Spieler, die ihren Weg über die zweite Mannschaft zu den Profis gefunden haben. Mit Noah Atubolu und Robert Wagner wurden in der vergangenen Woche zwei Freiburger mit der Fritz-Walter-Medaille als Top-3-Nachwuchsspieler ihres Jahrgangs ausgezeichnet.
DFB-Pokal-Finale, Top-Neuzugänge, Überwintern in der Europa League, Platz zwei in der Bundesliga, Auszeichnungen für den Nachwuchs,… In Freiburg können Sie zufrieden auf das Jahr 2022 zurückschauen. Und Klemens Hartenbach darf sich darüber freuen, dass der Abstand zu den Abstiegsplätzen schon bei 16 Punkten liegt.