Als Gruppenerster in die Hauptrunde eingezogen, gegen große Handball-Nationen wie Spanien und Kroatien lange mitgehalten: Die österreichische Nationalmannschaft hat sich von ihrem Heimvorteil und der Handball-Euphorie im eigenen Land beflügeln lassen.
Nun will das Team um die beiden Bundesligisten Nikola Bilyk und Robert Weber auch den "Lieblingsnachbarn" Deutschland ärgern.
Deutschland vs. Österreich - im Fußball ein Klassiker, im Handball nicht unbedingt. Doch das könnte sich schon bald ändern. Die ÖHB-Auswahl gehört zu den Überraschungsteams der EHF EURO 2020. Dank der Hauptrunden-Qualifikation haben sich die Rot-Weißen schon im europäischen Mittelfeld positioniert. Damit hatte zu Beginn wohl kaum einer gerechnet.
Österreich will DHB-Auswahl ärgern
Das Spiel am Montagabend zur Prime-Time dürfte also ein echtes Highlight werden. Nachbarschaftsduelle versprechen immer eine bombastische Stimmung. Das letzte Aufeinandertreffen kurz vor der EM endete mit einer 28:32-Niederlage für Österreich.
Das Halbfinale ist zwar für beide Teams durch die jüngsten Niederlagen in weite Ferne gerückt. Doch beim anstehenden "Bruder-Duell" geht es auch um eine Machtdemonstration, es ist für beide ein Schicksalsspiel. Immerhin geht es um Rang drei in der Gruppe und insgesamt um das Spiel um Platz fünf. "Sie werden alles daransetzen, die große Handballnation Deutschland zu ärgern und zu schlagen", weiß DHB-Trainer Christian Prokop.
Österreich überrascht und überzeugt
Nach der bitteren 24:25-Pleite scheint Deutschland verwundbar, jetzt wäre also der beste Zeitpunkt, um die Mannschaft von Kapitän Uwe Gensheimer zu bezwingen. Das weiß auch Robert Weber, Rechtsaußen beim Bundesligisten HSG Nordhorn-Lingen. Der 34-Jährige freut sich: "Die Deutschen sind zu favorisieren, aber wenn wir unsere Chance sehen, dann werden wir sie auch nutzen. Ich hoffe auf eine tolle Stimmung in der Halle. Und wenn wir die Möglichkeit haben, dass Spiel an uns zu reißen, dann werden wir das sicherlich machen."
Eine große Handball-Nation ist Österreich nicht, aber die Nationalmannschaft befindet sich seit Jahren im kontinuierlichen Aufbau. Die bislang beste EM-Platzierung ist Rang neun bei der Heim-EM 2010. Aktuell ist für die erneuten Gastgeber wohl mehr drin. Alle drei Vorrunden-Spiele wurden gewonnen. Die Auftritte gegen Kroatien und Spanien gingen jeweils mit nur vier Toren Unterschied verloren. Das ÖHB-Team steht derzeit mit einer Mischung aus Freude über die eigene Leistung und Ärger über eine verpasste Sensation, die in Reichweite war, da.
Keeper und Bilyk stechen heraus
Mitverantwortlich für die Euphorie im Land ist sicherlich auch Rückraumspieler Nikola Bilyk. Der THW-Shooter zeigte sich bei der Heim-EM in Weltklasseform. In der Torschützenliste steht er mit 34 Treffern auf Platz zwei hinter Weltstar Sander Sagosen (42 Tore). Der 23-Jährige ist, gerade für sein junges Alter, eine beeindruckende Führungspersönlichkeit. Seiner Rolle als Kapitän wird er absolut gerecht: "Ich versuche, die Mannschaft zu pushen und nach vorne zu treiben." Dies ist ihm bei diesem Turnier immer wieder gelungen, gegen Tschechien glänzte er mit 13 eigenen Treffern.
Österreich profitiert aber auch von einer geschlossenen Mannschaftsleistung und insbesondere von Torhüter Thomas Eichberger, der sein Team mit tollen Paraden immer wieder im Spiel halten konnte. Trainer Ales Pajovic ist mit der Leistung seiner Spieler absolut zufrieden: "Wir zeigen einen guten Handball, wir spielen auch eine gute 6-0 Abwehr und machen viele Tore in der zweiten Welle oder im Gegenstoß."
Gelingt die Sensation gegen den Lieblingsnachbarn?
Für Pajovic zählt vor allem die Entwicklung seiner Mannschaft: "Wir haben einen großen Schritt vorwärts gemacht, das ist auch für die Zukunft wichtig. Weil wir die EM super gespielt haben, wird niemand mehr von Österreich als Außenseiter reden."
Für die Zukunft des österreichischen Handballs wäre das Spiel um Platz fünf ein enormer Erfolg. Der Flieger nach Stockholm ist noch nicht abgehoben. Die Partie wird Bilyk und seinen Jungs alles abverlangen. Ein kleines Wunder wird es für den Gastgeber - gegen den "Lieblingsnachbarn" - schon brauchen.