Kretzschmar: Gislason & Co. entscheidend für Kieler Pokalsieg
Die Kolumne von Sky Experte Stefan Kretzschmar
15.04.2019 | 17:53 Uhr
Sky Experte Stefan Kretzschmar beleuchtet in seiner Kolumne jede Woche die wichtigsten Themen aus der Welt des Handballs. Diesmal spricht er über den Kieler Pokalsieg und den Wechsel von Silvio Heinevetter von Berlin nach Melsungen. Zudem blickt er auf die Duelle des DHB-Teams gegen Polen voraus.
Nach dem DHB-Supercup wurde am vergangenen Wochenende mit dem DHB-Pokal der zweite Titel in dieser Saison vergeben. Mit dem THW Kiel haben wir einen absolut verdienten DHB-Pokalsieger. Sie haben viele Geschütze aufgefahren und eine Menge Emotionalität gezeigt, was sie letztendlich zum Sieg gebracht hat.
Wenn man so ein Final Four gewinnen will, muss an beiden Tagen ziemlich viel passen und die Fokussierung muss komplett da sein. Bei Kiel hat in dieser Hinsicht alles gepasst - angefangen von der taktischen Einstellung und der Emotionalität bis hin zur Aufstellung mit welcher der gesamte Kader eingesetzt wurde. Kiel hat wirklich einen bleibenden Eindruck hinterlassen, auch wenn der THW im Halbfinale gegen die Füchse Berlin unnötigerweise in der zweiten Halbzeit noch einmal die Tür aufgemacht hat.
Gislason und Co. waren der ausschlaggebende Faktor
Alles in allem war für mich das Trainer-Team der ausschlaggebende Faktor, weil ich auch selbst unglaublich überrascht davon war, dass sie das Halbfinale in einer Formation nahezu durchgespielt haben und ich mich gefragt habe: "Warum?". Am Finaltag wurde meine Frage dann beantwortet. Sie haben im Finale gegen Magdeburg mit der komplett anderen Formation im Rückraum angefangen. Sie haben offensichtlich nicht nur für das Halbfinale geplant, sondern hatten das gesamte Pokalwochenende im Blick. Das war für mich eine Riesenüberraschung und ein grandioser Schachzug. Deswegen ist für mich das Trainer-Team neben den Akteuren, die auf dem Spielfeld überzeugt haben, der Hauptfaktor für diesen Titel.
Ob dieser Erfolg letztendlich einen Effekt auf den Saisonendspurt haben kann, ist ein zweischneidiges Schwert. Mangelndes Selbstvertrauen ist auf jeden Fall nicht das Problem der Kieler. Mit dem DHB-Pokalsieg fällt ihnen erst einmal eine gewisse Last von den Schultern. Für mich ist der THW beim EHF-Pokal-Final-Four der Favorit, weil man zuhause spielt. Da haben sie auch noch einmal Druck, weil jeder von ihnen nichts anderes als den Pokalsieg erwartet. Diesem Anspruch können sie allerdings auch gerecht werden.
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Flensburg wird sich den Titel nicht mehr nehmen lassen
Was die Meisterschaft betrifft, sieht das etwas anders aus. Tabellenführer Flensburg macht nicht den Eindruck, dass man jetzt Nervenflattern bekommt oder das große Zittern losgeht. Die SG strahlt eine hohe Selbstsicherheit aus und hat einen sehr homogenen Kader. Ich denke, es wird schwer, Flensburg den Titel in der Bundesliga noch zu entreißen. Ich sage nicht, dass es nicht möglich ist, ich glaube schon auch, dass Kiel das Zeug dazu hat, deutscher Meister zu werden. Aber das wird davon abhängig sein, was Flensburg macht.
Es gehört für mich allerdings schon eine gewisse Vorstellungskraft dazu, dass Flensburg im Saisonendspurt noch drei Spiele verliert. Zudem hat Kiel beispielsweise mit dem Auswärtsspiel bei den Füchsen Berlin noch eine hohe Hürde vor sich.
Wechsel von Heinevetter hat mich überrascht
Berlin selbst hat in den vergangenen Tagen einen aufsehenerregenden Wechsel verkündet. Silvio Heinevetter wird nach über zehn Jahren die Füchse nach der kommenden Saison verlassen und zur MT Melsungen weiterziehen. Die Gerüchte gab es zwar schon länger, aber dass er nun wirklich nochmal aus seiner Heimatstadt Berlin weggeht, hat mich schon überrascht. Ich weiß, dass er sich in Berlin sehr wohlfühlt und die Vorzüge der Großstadt zu schätzen weiß und das Leben dort auch genießt.
Dass er jetzt noch einmal in das beschauliche Melsungen geht, hat viel mit Wertschätzung zu tun, wie er es ja selbst auch formuliert hat. Melsungen hat sich offensichtlich sehr um ihn bemüht. Ich weiß nicht, ob es bei den Füchsen noch dieses uneingeschränkte Bemühen einer Vertragsverlängerung gegeben hat. Das kann ich nicht einschätzen, aber es hörte sich aus Heinevetters Sicht so an, dass dies nicht der Fall gewesen sei.
Und dann ist es wie bei Kai Häfner auch. Melsungen hat sehr gute finanzielle Argumente und das ist für einen Sportler auf der Zielgeraden - wobei ich glaube, dass Heinevetter schon noch fünf bis sechs Jahre auf gutem Niveau spielen kann - auch ausschlaggebend. Im Hinblick auf die ökonomische Wertschätzung konnte Melsungen sicherlich überzeugen.
Deutschland ist gegen Polen in beiden Spielen der Favorit
Noch spielt Heinevetter aber für die Füchse und auch für die Nationalmannschaft. Mit dieser stehen nun zwei EM-Qualifikationsspiele gegen Polen an. Prinzipiell glaube ich daran, dass Deutschland Polen zweimal schlagen kann.
Polen ist sicherlich nicht mehr mit dem Polen vergangener Jahre zu vergleichen, da auch dort ein Umbruch eingeleitet worden und die jetzige Generation nicht so stark wie die Generation um Tkaczyk, Bielecki und Jurecki ist. Da fehlt dem polnischen Team schon Qualität. Trotz allem wird das kein Spaziergang. Ich glaube, dass uns die Polen mit einem enthusiastischen Publikum im Rücken vor Probleme stellen können und auch werden. Es wird ein Spiel, das wir nicht im Vorbeigehen gewinnen.
Das Heimspiel sollten wir auf jeden Fall gewinnen. Bundestrainer Christian Prokop hat am Kader keine Veränderung vorgenommen, sondern wird mit der WM-Mannschaft - wenn man von den Verletzten absieht - nahezu identisch in diese Spiele gehen. Daher ist Deutschland in meinen Augen in beiden Spielen der Favorit. Dennoch wird es in Polen keine leichte Aufgabe.