Sky Experte Stefan Kretzschmar beleuchtet in seiner Kolumne jede Woche die wichtigsten Themen aus der Welt des Handballs. Dieses Mal analysiert der ehemalige Weltklasse-Linksaußen die Lage der Liga nach einem Drittel der Saison.
Ein Drittel der Saison liegt hinter uns, und die Handball-Bundesliga macht auch in dieser Spielzeit wieder unfassbar Spaß! Die Liga ist so ausgeglichen, dass jeder Spieltag einer Wundertüte gleicht. Nur ein Team scheint darauf aktuell keine Lust zu haben: die Rhein-Neckar Löwen. Als der Meister anfangs nicht so dominant auftrat und Flensburg unterlag, dachten viele schon, die Meisterschaft würde in diesem Jahr über fünf, sechs oder sogar sieben Mannschaften gehen.
Aber die Mannheimer haben sich erstaunlich gefangen. Das liegt vor allem an drei Faktoren: Andreas Palicka und Mikael Appelgren sind für mich das wohl beste Torhüter-Duo der Liga. Die beiden Schweden teilen sich die Spielzeit und halten abwechselnd grandios.
Zudem hat Trainer Nikolaj Jacobsen mit dem siebten Feldspieler eine taktische Variante für sein Team entdeckt, die sie noch stärker macht. Andy Schmid passieren dabei praktisch gar keine Fehler. Ohnehin ist Schmid natürlich der entscheidende Mann im Löwen-Spiel. Der Regisseur ist wieder in überragender Form, er drückt jedem Spiel seinen Stempel auf. Völlig zurecht wurde er zum "Kretzsche des Monats Oktober" gewählt. Aktuell bringen die Löwen eine Dominanz auf die Platte, die beängstigend ist. Unbesiegbar sind die aber nicht!
Nicht nur die Löwen konnten überzeugen
Dafür schätze ich die Verfolger zu stark ein. Die Füchse Berlin zum Beispiel sind sehr homogen und verfügen in Steffen Fäth, Paul Drux und Fabian Wiede über die Rückraumreihe der deutschen Nationalmannschaft. In Petar Nenadic haben die Hauptstädter den für mich kreativsten Mittelmann der Liga hinter Andy Schmid in ihren Reihen, er ist der X-Faktor im Füchse-Spiel. Auch wenn das Team von Velimir Petkovic am Wochenende gegen Flensburg verloren hat und noch einige Topspiele vor den Berlinern liegen, haben sie das Zeug, um die Meisterschaft mitzuspielen. Davor kann man sich auch nicht mehr verschließen und die Ansprüche runterschrauben! Die Zielsetzung der Füchse nach diesem Saisonstart muss das Erreichen der Champions-League-Plätze sein, alles andere wäre Quatsch.
In der Königsklasse will aber auch die SG Flensburg-Handewitt wieder landen. Nachdem in den letzten beiden Jahren die Meisterschaft ganz knapp verpasst wurde, glaube ich nicht, dass die Norddeutschen dieses Jahr mit dem zweiten Platz unzufrieden wären. Schließlich gab es im Sommer einen Umbruch bei der SG. Erreicht Trainer-Novize Maik Machulla im ersten Jahr Rang zwei, dann wäre das als Erfolg zu werten. Andere Teams waren eher in der Favoritenrolle auf die Meisterschaft, vorneweg sicherlich Kiel und die Löwen.
Kiels Krise ist ein großes Rätsel
Woran es lag, dass der THW mit diesem Kader einen solchen Saisonstart hinlegen konnte, ist eines der größten Rätsel überhaupt. Der Ausfall von Domagoj Duvnjak trifft die Zebras natürlich schwer, seine Rolle ist vergleichbar mit der von Andy Schmid in Mannheim. Eigentlich dachte ich aber, mit der Verpflichtung von Miha Zarabec hätte man dieses Problem gelöst. Seine Eingewöhnungszeit scheint doch länger zu dauern. Und so tut sich das Gislason-Team schwer, das gebundene Spiel zu etablieren und fällt immer wieder in das ungeliebte Eins-gegen-Eins-Spiel zurück. Die Psyche und fehlendes Selbstvertrauen spielen dann auch eine Rolle.
Im Kader der Kieler ist jedoch so viel Qualität, dass man sie nie abschreiben darf. Der Turningpoint war nur eine Frage der Zeit, die Aufholjagd der letzten Wochen deshalb nicht überraschend. Wenn man sich die Kieler Gegner bis Ende des Jahres anschaut, dann glaube ich nicht, dass es noch große Überraschungen geben wird, auch wenn man sich in dieser Liga nie sicher sein kann. Eigentlich ist das Restprogramm des THW so, dass sie da verlustpunktfrei rausgehen müssten, vom Nordderby gegen Flensburg (10. Dezember 15:00 Uhr live auf Sky) mal abgesehen. Ein Sieg in der Hölle Nord wäre ein richtiger Big Point. Zur Rückrunde kehrt Domagoj Duvnjak zurück, dann kann die Devise nur noch lauten, nichts mehr zu verlieren. Zuzutrauen ist es den Kielern. Deshalb würde man einen großen Fehler machen, wenn man den THW im Kampf um die Champions-League-Plätze abschreibt. Die Meisterschaft ist aber wahrscheinlich etwas zu weit weg.
Positive Überraschungen in allen Tabellenregionen
Aktuell liegen zwischen Platz eins und dem THW mit Hannover und Melsungen noch weitere Teams, die absolut überzeugten. Bei der MT hat vor allem Julius Kühn, der erste "Kretzsche des Monats", voll eingeschlagen. Er ist für mich neben Andy Schmid der Schlüsselspieler der bisherigen Saison.
Und was dem spanischen Trainerduo in Hannover gelungen ist, ist ebenfalls beeindruckend. Nach der sieglosen Rückrunde waren sie zu Beginn dieser Spielzeit ja sogar lange ungeschlagener Tabellenführer. Dazu die Siege gegen Flensburg und Kiel, das waren schon Hausnummern.
Wenn es um positive Überraschungen geht, möchte ich aber nicht nur von der Tabellenspitze sprechen. Die gibt es in allen Tabellenregionen! Ohne jetzt zu viel Lokalpatriotismus zu verbreiten, finde ich, dass Leipzig bisher toll spielt, genau wie die letztjährigen Abstiegskandidaten Lemgo und Minden.
Trotz Top-Leistungen: Für die Aufsteiger wird es eng
Und ganz unten will ich natürlich die Aufsteiger Hüttenberg und Ludwigshafen loben. Ich muss zugeben, dass ich beiden nichts zugetraut habe, aber sie zeigen, was mit mannschaftlicher Geschlossenheit und taktischem Geschick möglich ist. Eng wird es trotzdem für beide. Nach zwölf Spieltagen haben wir bereits vier Trainerwechsel. Das zeigt, dass der Druck auf alle Teams immer weiter steigt. Individuell betrachtet kann ich die Maßnahme auch in allen Fällen nachvollziehen. Welchen Erfolg sie letztlich bringen, werden die nächsten Monate zeigen. Ich freu mich drauf!
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