Kretzschmar nach EM-Aus: Was wird nun aus dem Gedanken der Bad Boys?
Die Handball-Kolumne
01.02.2018 | 12:14 Uhr
Sky Experte Stefan Kretzschmar beleuchtet in seiner Kolumne jede Woche die wichtigsten Themen aus der Welt des Handballs. Dieses Mal bezieht er zum EM-Aus der Bad Boys in der Hauptrunde Stellung und blickt in die Zukunft des DHB-Teams.
Das war es also. Die Europameisterschaft ist für die deutsche Nationalmannschaft beendet, der Traum vom Halbfinale oder gar der Titelverteidigung ausgeträumt. Ich gebe zu, das Einschlafen fiel mir nach der Niederlage gegen Spanien gestern richtig schwer. Denn dieses letzte Spiel war sinnbildlich für das ganze Turnier.
Trotz aller Schwierigkeiten, die wir hatten, sind wir dran geblieben und hatten bis zuletzt unsere Chance. Aber dann werfen wir innerhalb von zehn Minuten das ganze Turnier weg. Das ist bitter und schwer zu erklären.
Durch den EM-Titel und die Bronze-Medaille bei Olympia vor zwei Jahren ist die Erwartungshaltung extrem gestiegen. Das liegt auch am sehr breiten und guten Kader, den wir in Deutschland mittlerweile haben. Dass wir vor zwei Jahren ein riesiger Außenseiter waren, wird dabei gerne vergessen.
Mannschaft kann es besser
In Kroatien aber hatte man das Gefühl, dass einige Spieler dem Druck nicht gewachsen waren. Warum auch immer. Das gilt es zu analysieren. Denn wir wissen ja, dass unsere Mannschaft viel besser spielen kann, als sie es bei dieser EM gemacht hat.
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Vielleicht hat auch Bundestrainer Christian Prokop ein wenig unterschätzt, was bei so einem Turnier alles auf ihn zukommt. Dass Prokop angespannt ist und als junger Trainer wahnsinnig im Fokus steht, ist klar. Ich habe ihn dennoch sehr fokussiert wahrgenommen. Er ist ja ein guter, akribischer Trainer. Wir alle wissen, dass Christian eine bestimmte Idee davon hat, wie er Handball und vor allem die Abwehr spielen lassen will.
Er hat eine Vision im Kopf, wie er uns unter den Top-Teams etabliert. Nun ist die Grundsatzfrage, wie er den Job des Bundestrainers interpretieren will. Will er schauen, welche Spieler es in Deutschland gibt, und daraus das bestmögliche rausholen? Oder will er schauen, mit welchen Spielern er seine Vision bestmöglich umsetzen kann? Das ist die schwierigste Frage überhaupt.
Lemke-Fehler rechtzeitig korrigiert
Klar hat Christian Prokop viel probiert. Aber lethargisch in der Ecke zu sitzen hätte ja auch nichts gebracht. Mit der Nichtnominierung von Finn Lemke hat er eine Baustelle aufgemacht, weil er überschätzt hat, wie weit das Team mit dem Abwehrsystem schon ist. Aber diesen Fehler hat er korrigiert.
Er hat sehr viele Ideen im Kopf, und wenn etwas nicht läuft, und bei diesem Turnier ist Vieles nicht gelaufen, dann muss er das ändern. Wenn ich schon scheitere, dann wenigstens so, dass ich alles gegeben habe. Dennoch wird er selbst vom EM-Ergebnis am meisten enttäuscht sein.
Als Bundestrainer kann ich aber auch erwarten, dass die 16 Spieler, die ich dabei habe, ihre beste Leistung bringen. Das war bei diesem Turnier nicht der Fall.
Was wird nun aus dem Gedanken der Bad Boys? Um die Weiterentwicklung der Mannschaft voranzutreiben sollte man sich etwas Neues ausdenken. Dieser psychologische Kniff von Dagur Sigurdsson war grandios, aber in dieser Underdog-Rolle sind wir nicht mehr.
Wir haben mittlerweile einen Kader, mit dem wir immer um Medaillen mitspielen können. Dieser Verantwortung müssen wir uns stellen! Der Druck darf einen nicht erschlagen, wie er es bei dieser EM bei einigen Spielern getan hat, sondern muss in Rückenwind verwandelt werden. Das ist die Hauptaufgabe der nächsten Monate.
Auftreten des Teams war zu lieb
Ich hatte in Kroatien nie das Gefühl, dass die Mannschaft unfassbar hart oder bad gespielt hat. Das Auftreten war mir zu lieb! Da waren uns andere Nationen wie Slowenien oder Mazedonien voraus. Bei denen waren wesentlich mehr Emotionen im Spiel. Das darf nicht passieren!
Jetzt künstlich ein neues Gebilde aufzubauen, halte ich aber auch nicht für sinnvoll. Wir sind die deutsche Nationalmannschaft. Das ist eigentlich Schlachtruf genug. Wir sind die besten Handballer Deutschlands, darauf müssen die Spieler stolz sein. Und diese Spieler sind ja in der Lage, Weltklasse zu spielen. Alle!
Das gibt mir Hoffnung für die Zukunft. Jeder Einzelne kann besser spielen. Die Torhüter waren die einzigen, die konstant ihre Leistung gebracht haben. Vorne gab es von Partie zu Partie verschiedene Spieler, die gute Ansätze hatten. Insgesamt aber können alle deutlich mehr. Und es gibt ja noch weitere klasse Spieler, die gar nicht dabei waren. Fabian Wiede zum Beispiel.
Vor der Zukunft braucht uns also nicht bange sein, auch wenn die EM jetzt natürlich erst einmal verarbeitet werden muss.