Formcheck vor den World Tour Finals: So stehen Zverevs Chancen
Roger Federer geht als Favorit ins Rennen
14.11.2017 | 07:38 Uhr
Heute beginnen in der Londoner O2-Arena die World Tour Finals. Sky Kommentator Paul Häuser nimmt die besten acht Spieler des Jahres vor dem großen Abschluss unter die Lupe.
Die Gruppe Boris Becker
Roger Federer
Zwei Grand Slam Titel (Australian Open und Wimbledon), drei Masters-Titel (Indian Wells, Miami, Shanghai) plus die Turniersiege in Halle und Basel - das Jahr von Roger Federer ist bereits jetzt schon unglaublich. Kurz vor den World Tour Finals räumte der Schweizer nun auch noch drei ATP Awards ab: Lieblingsspieler des Jahres, "Stefan Edberg Sportmanship Award" (für den fairsten Sportler) und Comeback des Jahres.
Was das Tennisjahr 2017 auch gezeigt hat? Kein anderer Spieler kann seine Kräfte so gut einteilen wie Federer und keiner scheint seinen Körper so gut zu kennen. Der 36-Jährige hat auf das Masters in Paris verzichtet, nachdem er in Basel zum Schluss wieder Rückenprobleme hatte. Aber auch angeschlagen konnte er sein Heimturnier noch gewinnen.
Seine beeindruckendste Leistung ist für mich die Dominanz gegen Nadal in diesem Jahr. Vor 2017 konnte er nie zweimal in Serie gegen seinen Angstgegner gewinnen, jetzt sind es vier Siege in diesem Jahr und sogar fünf am Stück. Federer hat sein Spiel mit 36 Jahren noch einmal weiter perfektioniert und hat in diesem Jahr die Oberhand gegen Nadal. Insgesamt führt aber weiterhin der Spanier mit 23:15 im Head-to-Head. Aber Federer ist nun im Kopf von Nadal als "neuer Angstgegner". Deshalb ist für mich auch Roger Federer die "gefühlte Nummer Eins".
Die Prognose: Gegen seine Gruppengegner Sock, Zverev und Cilic steht es für Federer im direkten Vergleich 10:3. Der Gruppensieg ist fest eingeplant und danach sollten noch zwei weitere Siege zum nächsten Titel folgen. Ein Endspielerfolg gegen Nadal wäre die Krönung für Federer und eine schöne Parallele zum Jahresbeginn bei den Australian Open. Für den Maestro winkt das perfekte Ende für ein unglaubliches Jahr 2017.
Alexander Zverev
Die Nummer Drei der Weltrangliste war zuletzt geschlaucht von einem Magen-Darm-Virus. Davon hat er sich aber nun erholt und geht enorm selbstbewusst in seine ersten World Tour Finals. Beim Media Day strotzte Zverev im Interview mit Sky Reporter Moritz Lang nur so vor Energie und war hochzufrieden mit seinen jüngsten Trainingsleistungen. Der mit Abstand jüngste Spieler (20 Jahre) in London hat in diesem Jahr grandioses geleistet. Fünf Turniersiege, darunter zwei Masters-Titel sprechen für sich. Nur bei den Grand Slams war noch Luft nach oben.
Die Prognose: Entscheidend wird gleich das Auftaktmatch gegen Cilic. Gewinnt Zverev diese Partie, dann hat er beste Chancen auf das Halbfinale. Gegen Sock ist der 20-Jährige Favorit, gegen Federer krasser Außenseiter. Sollte Zverev die Gruppenphase bei seinen ersten World Tour Finals überstehen, wäre es der nächste Riesenerfolg. Genau das traue ich ihm zu.
Marin Cilic
Ein äußerst unangenehmer Gegner für Zverev zum Auftakt. Cilic hat in diesem Jahr mit starken Ergebnissen wie dem Wimbledon-Finale beeindruckt, aber dann auch immer wieder Schwankungen in seinen Leistungen gehabt. In Paris zeigte er Nerven bei seiner Viertelfinalpleite gegen Julien Benneteau.
Die Prognose: Eigentlich muss der US-Open-Champ von 2014 den Anspruch haben in dieser Gruppe zu bestehen, aber dagegen spricht die Bilanz gegen seine Gruppengegner. Cilic liegt im direkten Vergleich gegen Zverev 1:3 hinten, gegen Federer 1:7 und gegen Sock 0:3. Das erste Match gegen Zverev ist für beide gleich ein Endspiel, bei dem es darauf ankommt, wer befreiter aufspielt: Ein Vorteil für Zverev.
Jack Sock
Die "gefühlte Wildcard" bei den World Tour Finals: Mit seinem überraschenden ersten Masters-Sieg in Paris hat sich Sock gerade noch für London qualifiziert und steht auch erstmals in den Top Ten der Weltrangliste. Der US-Amerikaner mit der monströsen Vorhand hat seinen Urlaub gecancelt und bekommt nun ein paar Bonusspiele mit den Besten, bei denen er nichts zu verlieren hat.
Die Prognose: Jack Sock ist immer noch zu inkonstant für dieses Level. Der 25-Jährige hat unglaubliche Schläge, ist aber auf der Rückhand limitiert und produziert zu viele Fehler, die auf diesem Niveau eiskalt bestraft werden. Vielleicht schnappt sich Sock einen Sieg, aber mehr sollte nicht drin sein.
Die Gruppe Pete Sampras
Rafael Nadal
Wie fit ist die Nummer Eins der Welt? Wie sehr schmerzt das rechte Knie, nachdem er in Paris nach zwei Siegen zurückziehen musste? Sein Coach Carlos Moya versicherte nun, Nadal könne spielen, das Knie sei stabil.
Die Prognose: Auch wenn die Vorbereitung sicherlich nicht ideal war, Nadal bleibt Nadal: Dem Stier aus Manacor ist immer alles zuzutrauen. Findet er seinen Rhythmus, sollte er die Gruppe überstehen. Die unüberwindbare Hürde für Nadal in diesem Jahr ist und bleibt aber Federer. Eine erneute Niederlage gegen den Schweizer in London zum Abschluss wäre ein weiterer Stich ins Herz für den Spanier. Nadal bleibt die Nummer Eins und hat ein gigantisches Jahr hingelegt. Aber 2017 ist auch das Jahr, in dem er plötzlich nicht mehr gegen seinen größten Rivalen Federer gewinnen konnte.
Dominic Thiem
Seinem Spitznamen "Dominator" machte Dominic Thiem zuletzt keine Ehre. Der Österreicher war weit weg von seiner Topform und kassierte viele frühe Niederlagen. Der Grund dafür ist die viel zu hohe Fehlerquote beim 24-Jährigen. Thiem wirkt teilweise schwer verunsichert und überhastet in seinen Schlägen.
Die Prognose: Das Auftaktmatch gegen Grigor Dimitrov wird für Thiem wegweisend. Aufgrund des fehlenden Selbstbewusstseins spricht aber relativ wenig für die Nummer Vier der Weltrangliste. Nach der Vorrunde ist Schluss für ihn. 2018 wird er dann neu angreifen.
Grigor Dimitrov
Den Spitznamen "Baby-Fed" hat er längst abgelegt. Dimitrov spielt die bislang stärkste Saison seiner Laufbahn. In Cincinnati feierte der Bulgare seinen ersten Triumph bei einem Masters-Turnier. Aber die Schwankungen gehören auch weiterhin bei Dimitrov dazu.
Die Prognose: Dimitrov kann in Bestform sogar Nadal besiegen. Bereits bei den Australian Open war der Schützling von Daniel Vallverdu sehr nahe dran. Mit seinem Können sollte der Bulgare eigentlich die Gruppenphase überstehen und zumindest als Zweiter durchkommen. Kommt es im Halbfinale zum Duell mit Federer, ist Endstation für Dimitrov. Denn gegen Federer war er bislang immer chancenlos und wurde überpowert.
David Goffin
Der Belgier hat nach London auch noch das Davis-Cup-Finale gegen Frankreich vor der Brust. Zwei Riesenevents für den kleinsten Spieler der besten Acht (1,80 m). Bei seinen ersten World Tour Finals hat Goffin keinerlei Druck und könnte zum unangenehmen Stolperstein werden.
Die Prognose: Goffin kann positiv überraschen. Nadal sollte als Gruppenerster durchgehen, dahinter dürfte das Duell Dimitrov-Goffin entscheiden, wer noch ins Halbfinale einzieht. Eine enge Kiste, aber ich sehe Dimitrov knapp vorne. Goffin kann sich dann auf das Davis-Cup-Endspiel in Lille konzentrieren.