Kretzschmar über Pokalkrimi: Der absolute Kracher
Die Handball-Kolumne
27.12.2018 | 21:06 Uhr
Sky Experte Stefan Kretzschmar beleuchtet in seiner Kolumne jede Woche die wichtigsten Themen aus der Welt des Handballs. Dieses Mal schwärmt der ehemalige Weltklasse-Linksaußen von den Viertelfinals im DHB-Pokal.
Freunde, was waren das für Viertelfinals? Bessere Werbung für den Handball gibt es nicht. Allen voran natürlich der Krimi zwischen den Füchsen Berlin und den Rhein-Neckar Löwen. Von der Spannung und dem Spielverlauf war das DER absolute Kracher!
Wie konnten die Löwen das Spiel noch verlieren?
Alle fragen sich, wie die Löwen dieses Spiel noch verlieren konnten. Der gehaltene Siebenmeter von Andy Schmid kurz vor Schluss war natürlich extrem wichtig. Da hätten die Löwen den Sack zu machen können. Bis zur 40. Minute war das eine relativ eindeutige Sache. Andy Schmid hatte die Fäden in der Hand. Von der sonst so aufopferungsvoll kämpfenden Berliner Abwehr war nichts zu sehen. Schmid, Kohlbacher und Mensah Larsen fanden immer wieder Lösungen. Und dann kam irgendwann der Bruch: Die Abwehr stellte sich besser auf Schmid ein, und auch wenn der Abstand teilweise bei bis zu fünf Toren war, blieben die Füchse immer in Schlagdistanz.
Wie sie dann in die Verlängerung gekommen sind, ist eine echt verrückte Geschichte! Als Beobachter kann man sich das eigentlich nicht erklären. Aber das ist Handball, und das ist das Verrückte an unserem Sport. Dass auch so eine Partie nochmal gedreht werden kann. Dann kamen die Emotionen, kam die Halle und sicherlich auch der ein oder andere Pfiff. Ich ziehe den Hut vor den Berlinern! In der Verlängerung waren sie dann im psychologischen Vorteil. Durch den Siebenmeter von Hans "Ich-hab-Eis-in-den-Venen" Lindberg war die Moral der Löwen so ein bisschen gebrochen.
Respekt vor eiskaltem Lindberg
In meiner aktiven Karriere hab ich selbst vergleichbare Situationen erlebt. Bei Olympia im Siebenmeterwerfen gegen Spanien zum Beispiel, oder in einem Finale der Klub-WM gegen Barcelona. Meine Bilanz war, glaube ich, ungefähr 50:50. Ich habe selbst auch schon so wichtige Siebenmeter verworfen - das ist die ultimative nervliche Herausforderung! Im Idealfall lässt du alles um dich herum nicht auf dich einwirken und schaltest komplett ab. Das ist ein reines Psycho-Spiel, in dem der Torwart einen klaren Vorteil hat: Er kann nichts verlieren, du als Schütze kannst nur als Vollidiot dastehen. Zu 100 Prozent kannst du das nicht ausblenden. Einen Heber in der Situation habe ich aber wohl noch nie gesehen. Das war einer der großartigsten Siebenmeter, die ich je gesehen habe. So eiskalt zu sein und so viel Vertrauen in den eigenen Wurf zu haben - wow!
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Positiv aufgefallen sind mir bei den Füchsen aber auch unsere Nationalspieler. Fabian Wiede ist schon fast wieder in seiner Optimal-Verfassung. Er hat sehr viel Verantwortung übernommen und eine Menge Entscheidungen getroffen. Sein Spielverständnis ist einfach erstaunlich! Paul Drux müht sich ebenfalls schon wieder, Verantwortung zu übernehmen. Er ging oft ins Eins-gegen-Eins und hat viel für seine Nebenleute gearbeitet. Der Wurf aus der zweiten Reihe macht mir bei ihm noch etwas Sorgen. Die Schulter scheint noch nicht bei 100 Prozent zu sein. Hoffen wir, dass das Vertrauen in seinen Wurf zurückkommt. Aber wie physisch er spielt und sich immer wieder durchsetzt, das macht schon Laune und gibt uns Hoffnung! Und auch Silvio Heinevetter ist auf dem aufsteigenden Ast. Seine Form-Kurve zeigt nach oben, in der Schlussphase war er der entscheidende Mann.
Diskussion um die Schiedsrichter
Nach dem Spiel wurde, wie so oft, auch über die Rolle der Schiedsrichter diskutiert. Mir war das manchmal zu kleinlich, was Schulze und Tönnies gepfiffen haben. Wenn es zum Beispiel Zwei Minuten für ein kleines Trikotziehen gab. Das wurde aber auf beiden Seiten so gehandhabt! Da wurde kein Team benachteiligt. Nur kurz vor Schluss fiel mir ein Siebenmeter für Fabian Wiede auf, den man pfeifen kann, aber nicht muss. Generell fehlte mir in der Schlussphase das Fingerspitzengefühl. Zwei Minuten für Patrick Groetzki zu geben, der aus Wut auf den Boden haut, ist mir zu viel.
Ich habe sehr viele Handballspiele gesehen, aber derart schnelle Zwei-Minuten-Strafen sind mir selten vorgekommen. Schulze und Tönnies sind ein Top-Schiedsrichterpaar, aber offenbar muss im Vorfeld etwas besprochen worden sein, was sie dann umsetzten. Daher auch ihre extrem ausgeprägte Mimik und Gestik. Sie haben immer ganz genau angezeigt, was sie denn da pfeifen. Das habe ich in dieser Form auch noch nicht gesehen, finde ich aber gut! Das trägt zum Verständnis der Entscheidungen bei.
Magdeburg überrollt Göppingen
Auch über den haushohen Sieg des SC Magdeburg über Göppingen müssen wir noch reden. Das war der SC Magdeburg, den wir von Anfang der Saison kannten. Mit Bezjak und O'Sullivan fehlten die spielerisch stärksten Leute ja sogar. Dafür kam Chrapkowski zurück, was der Abwehr extrem gut tat. Dazu Jannick Green im Tor mit einer der besten Torhüterleistungen, die ich in diesem Jahr gesehen habe. Der SCM ging bedingungslos in den Gegenstoß und hat Frisch Auf richtig überrannt.
Das Teilnehmerfeld beim Final Four wird komplettiert von Hannover, das relativ souverän gegen Erlangen gewann und Rekordmeister Kiel. Der THW setzte sich ja bereits vor einigen Wochen klar gegen Melsungen durch.
Das Final Four wird ein Traum
Das ist eine traumhafte Besetzung für das Final Four! Nachdem Kiel in diesem Jahr nicht dabei war, freuen sich die THW-Fans wieder nach Hamburg zu reisen. Magdeburg kommt immer mit einer riesen Fan-Schar, man könnte die Halle wahrscheinlich nur mit SCM-Fans füllen. Berlin ist eine richtige Pokal-Mannschaft, die können sich mit ihrer Mentalität in solchen K.O.-Spielen immer nochmal steigern. Hannover reißt als Underdog nach Hamburg, fühlt sich in der Außenseiter-Rolle aber auch ganz wohl. Ich freue mich jetzt schon wahnsinnig auf dieses Final Four!