Vettels Kritik an Ferrari ist mehr als verständlich
10.09.2020 | 14:40 Uhr
Das Rennen in Monza war für Ferrari und Sebastian Vettel ein weiterer Tiefpunkt. Ex-Formel-1-Fahrer und Sky Experte Nick Heidfeld spricht in seiner Kolumne über Vettels Kritik an seinem Team, Überraschungssieger Pierre Gasly, Mick Schumachers Triumph in der Formel 2 und seine mögliche Zukunft in der Formel 1.
Leider kommt mir folgender Spruch in den Sinn, wenn ich an Sebastian Vettels Situation bei Ferrari denke. Speziell gerade dann, wenn man das Bild von einem ratlos lächelnden Vettel und Leclerc nach dem Qualifying-Debakel des vorletzten Rennen in Spa vor Augen hat:
"Und eine Stimme kam und sagte: "Lächle, es könnte schlimmer kommen" - und ich lächelte... und es kam schlimmer."
Es war zwar vorher schon zu erwarten, dass die Rennen in Spa und speziell Monza für Ferrari schwierig werden würden. Beides sind Highspeed-Kurse und es ist kein Geheimnis, dass Ferrari von der Motorenleistung her Probleme hat. Was aber in Monza erschütternd hinzu kam war, dass beide Autos mehr oder weniger selbstverschuldet nicht ins Ziel gekommen sind. Nicht nur Sebastians gefährliches Bremsversagen, sondern auch Leclercs nicht minder gefährlichem Ausritt und harten Einschlag Ausgangs der ultraschnellen Parabolica(-Kurve) kreiden dabei nicht wenige Fachleute dem schlecht ausbalanciertem Ferrari-Boliden und somit dem Team an. Sebastian hatte ein gefährliches technisches Problem an der Bremse und Charles Leclerc hatte bei seinem Abflug Glück, sich nicht verletzt zu haben.
Beim nächsten Rennen in Mugello sollte es unter normalen Bedingungen ein bisschen besser laufen. Die Strecke kann man eher mit den Kursen vergleichen, die vor Spa und Monza gefahren wurden. Aber auch in im italienischen Mugello, dass in der Corona-Krise zusätzlich und erstmalig in den Kalender aufgenommen wurde, ist nichts Berauschendes zu erwarten. Das ist umso tragischer, weil es das 1000. Rennen in der Formel 1 für Ferrari ist. Gerade jetzt, wo es so unglaublich schlecht läuft, ist das natürlich bitter.
Ich finde, Sebastian geht mit der momentan wirklich schwierigen Situation gut um. Man spürt zwar, wie ab und zu der Frust in ihm hochsteigt, wie Galgenhumor und Kritik aufkommen, aber er probiert sich immer wieder zu berappeln.
Verständlicherweise steht bei Vettel der Eine oder Anderen aus der Ferrari-Führungsetage nicht ganz oben auf der Lieblingsliste, aber man muss immer bedenken, dass hunderte von Leuten bei Ferrari arbeiten, von denen viele Vettel sehr mögen und sehr eng mit ihm zusammenarbeiten. Ich glaube, dass Sebastian all diesen Leuten nicht in den Rücken fallen möchte. Auch wenn er den WM-Titel nicht mit ihnen erreichen konnte, so hat er doch viele schöne Erfolge mit Ferrari gefeiert.
Ich finde es erstaunlich, wie gut er sich zusammenreißen kann. Wir wissen alle, wie früh er bei Ferrari vor die Tür gesetzt wurde und wie schlecht die Atmosphäre mittlerweile ist und vor allem, wie viele Probleme Ferrari und speziell Seb dieses Jahr schon hatten. Wenn es von ihm sogenannte kleine Spitzen in Richtung Team gibt, dann ist das aus meiner Sicht mehr als verständlich.
Die Frage bei Ferrari ist: Wie viel Zeit gibt man Teamchef Mattia Binotto jetzt noch? Es ist gut möglich, dass er es schafft, in den nächsten ein, zwei oder drei Jahren das Ganze umzudrehen und einen super Job zu machen. Doch hat man diese Zeit in der Formel 1? Jetzt alles Negative auf ihn abzuladen ist fragwürdig, aber er ist nun mal jetzt am Ruder.
Ich habe ja zuletzt schon gesagt, dass es bei Ferrari in der Vergangenheit häufiger zu schnell zu Personalwechseln kam, besonders im Vergleich zu Mercedes, wo seit Jahren eine extreme Konstanz herrscht. Auf der anderen Seite muss man aber auch die richtigen Leute haben. Es wird mit Sicherheit nicht besser, wenn man sagt: "Wir halten an den Leuten fest", wenn man glaubt, dass die Leute nicht die richtigen sind. Es scheint bei Ferrari momentan offensichtlich so zu sein, dass dort nicht überall die richtigen Leute sitzen.
Ohne konkrete Namen im Kopf zu haben: Meiner Meinung nach müsste dort jemand Externes reinkommen. Jemand, der nichts mit Ferrari zu tun hat. Der keine internen Vorbelastungen im Sinne einer Vorgeschichte oder politischen Verstrickungen hat. Natürlich würde es eine Zeit dauern, alles wieder auf Vordermann zu bringen. Im Idealfall wäre es ein Top-Mann aus einem anderen Formel-1-Team, der weiß, worauf es ankommt. Dieser bräuchte jedoch volle Rückendeckung von ganz oben und eine freie Hand zu entscheiden. Derjenige müsste klar und objektiv auf den Tisch bringen, was geändert werden muss.
In Monza hat Pierre Gasly sensationell gewonnen. Es ist vor allem interessant wenn man bedenkt, dass er letztes Jahr gegen Verstappen bei Red Bull kein Land gesehen hat und wieder zu Alpha Tauri zurückversetzt wurde. In Brasilien war er letztes Jahr Zweiter, in Monza hat er jetzt gewonnen. Das zeigt, dass er fahren kann. Aber es zeigt auch, wie schwierig es bei Red Bull neben einem Top-Fahrer wie Max Verstappen für ihn war. Aus Sicht der Zuschauer und für mich aus Fansicht ist es großartig, wenn jemand so unerwartet einen ersten Sieg feiert, auch wenn der Erfolg den Umständen geschuldet war. Es ist fantastisch zu sehen, wenn ein Traum in Erfüllung geht. Gasly hat einen super Job gemacht und ist an der Spitze fehlerfrei geblieben. Das war eine tolle Leistung.
Sein unerwarteter Sieg wirft die Frage auf, die man bezüglich der F1 immer wieder gefragt wird: Kommt es mehr auf das Auto, oder den Fahrer an?
Die Antwort ist einfach, wenn man sich anschaut, wo ein viermaliger Weltmeister Vettel und sein letztes Jahr so stark auftrumpfender Teamkollege Leclerc rumfahren. Mit Mühe und Not ins 2. Quali-Segment und somit letztlich noch nicht einmal in die Top 10.
Nämlich in der Fahrer-Weltmeisterschaftswertung hinter Fahrern wie Albon, oder Stroll, die gewiss stärker sind, als viele es meinen, mit denen man Vettel und Leclerc letztes Jahr aber eher nicht in einem Atemzug genannt hätte.
Lichtblick am Wochenende war aus deutscher Sicht der erste Sieg von Mick Schumacher in dieser Saison. Er ist das zweite Jahr in der Formel 2 dabei, war ganz gut in die Saison gestartet und hat jetzt mit seinem Sieg am Samstag und einem weiteren Podium am Sonntag seine positive Entwicklung unter Beweis gestellt. Er liegt nun in der Gesamtwertung auf Platz 2, nur noch ein paar Punkte hinter dem Führenden Callum Ilott.
Was seinen Schritt in die Formel 1 angeht, ist das Wichtigste, dass er zeigt, dass er noch nicht am Maximum angelangt ist, sondern sich weiterentwickelt. Das stimmt mich sehr zuversichtlich, was seine Zukunft und die der deutschen Fahrer in der Formel 1 betrifft. Mick hat schon letztes Jahr bei Alfa Romeo getestet und einen positiven Eindruck hinterlassen und könnte dort schon dieses Jahr, zumindest zum Freitag Training mal im Auto sitzen.
Wenn man davon ausgeht, dass Ferrari zumindest einen Platz bei Alfa besetzen darf, hat er dort für die nächste Saison sehr gute Karten. Mick hat zwar im Ferrari Junior Program starke Konkurrenz, jedoch hat er es mit seiner starken Entwicklung wahrscheinlich geschafft, seinen Namen für den nächsten Schritt zu seinem Vorteil zu nutzen.