Formel 1: Sky Kommentator Sascha Roos zweifelt an Hamilton-Status

Roos zweifelt an Hamilton-Status bei Mercedes & zieht Rosberg-Vergleich

Lewis Hamilton hat 2022 erstmals seit 2016 wieder teamintern bei Mercedes den Kürzeren gezogen. George Russell holte mehr Punkte als der Rekordweltmeister, vor sechs Jahren sammelte Nico Rosberg mehr Zähler als Hamilton.
Image: Lewis Hamilton hat 2022 erstmals seit 2016 wieder teamintern bei Mercedes den Kürzeren gezogen. George Russell holte mehr Punkte als der Rekordweltmeister, vor sechs Jahren sammelte Nico Rosberg mehr Zähler als Hamilton.  © DPA pa

Zehn Thesen hatte Sky Sport vor dem F1-Saisonstart im März mit Sascha Roos besprochen. Nach dem Saisonende analysiert der Sky Kommentar nun seine damals gegebenen Prognosen rund um Max Verstappen, Lewis Hamilton, Sebastian Vettel sowie Mick Schumacher und blickt dabei auch bereits auf 2023 voraus.

These 1: Ferrari und McLaren werden die Lücke zu Red Bull und Mercedes schließen. Damit werden mehr Fahrer und Teams um Siege und WM-Titel fahren als in den vergangenen Jahren

Sascha Roos: "Ich habe vor dem Saisonstart nicht geglaubt, das Red Bull so viel stärker und Mercedes so viel schlechter ist. Ferrari war mit Red Bull auf Augenhöhe, hätte es mit Mercedes ein stärkeres drittes Team von Anfang gegeben, hätte man sich da auch mehr gegenseitig die Punkte weggenommen. Das hätte dann für Red Bull weniger Punkte auf das ganze Jahr gegeben. Mercedes war einfach viel zu schlecht bis drei, vier Rennen vor Schluss und Red Bull war überraschend viel schneller als die Konkurrenz. Allerdings hatte Red Bull ab Mitte des Jahres dann auch keinen wirklichen Gegner mehr, weil Ferrari nicht mehr so gut entwickelt hat und so gut war wie am Anfang.

McLaren hatte mit dem Mercedesmotor Schwierigkeiten nachzuziehen. Außerdem hatten sie mit Lando Norris das gesamte Jahr nur einen Fahrer, der regelmäßig Punkte geholt hat. Hätte Daniel Ricciardo so performt, wie man das eigentlich von ihm hätte erwarten können, dann wäre da für McLaren mehr drin gewesen und sie wären klar vor Alpine Vierter geworden in der Konstrukteurs-WM. Und wenn es ganz vorne enger gewesen wäre und sich die Punkte besser verteilt hätten, wäre auch McLaren wahrscheinlich näher dran gewesen. Am Ende des Tages war es eine mutige und steile These, die sich dann leider nicht so bewahrheitet hat. Da Mercedes lange unterperformt hat, gab es auch nur fünf verschiedene Rennsieger in dieser Saison, 2021 waren es noch sechs. Normalerweise gehst du auch davon aus, dass Lewis Hamilton wie bislang in jedem Jahr ein Rennen gewinnt. Hätte er das auch 2022 geschafft, wären wir auch bei sechs Rennsiegern."

These 2: Max Verstappen setzt sich trotz der Regelanpassungen aufgrund seiner fahrerischen Klasse durch und wird nach Sebastian Vettel und Fernando Alonso der drittjüngste Doppel-Weltmeister der F1-Historie

Roos: "Ich habe es ihm auf jeden Fall zugetraut. Er hatte aber auch ein bisschen Glück, dass Ferrari und Mercedes so schlecht waren (lacht). Am Ende brauchst du neben dem fahrerischen Können immer auch ein bisschen Glück, um zu gewinnen, die Frage ist nur, wie das dann letztendlich prozentual verteilt ist. Ich glaube, dass bei Verstappen die größte Portion natürlich sein Können ist.

Dazu kommt das Weiterentwickeln seiner eigenen Persönlichkeit, das hat er ja auch geschafft. Viele grobe Fehler hat er in dieser Saison selbst nicht gemacht. Die Konkurrenz konnte da nicht mithalten, wie ich es mir auch erhofft hatte. Verstappen hat einfach sein Ding durchgezogen. Charles Leclerc hat Fehler gemacht als Herausforderer, Teamkollege Sergio Perez auch. Deshalb war der prozentuale Anteil von Glück bei Verstappens WM-Titel deutlich geringer als der seines Könnens."

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Max Verstappen will in Japan Weltmeister werden.
Image: Max Verstappen hat seinen WM-Titel 2022 in beeindruckender Art und Weise verteidigt.  © Imago

These 3: Fernando Alonso trumpft im zarten Alter von 40 Jahren noch einmal auf und gehört zu den erweiterten WM-Kandidaten

Roos: "Zu den erweiterten WM-Kandidaten habe ich ihn vor der Saison nicht gezählt. Alonso hatte während der Saison allerdings oftmals auch viel Pech. Dennoch hat er mit Alpine eine starke Saison abgeliefert, das war schon sehr beeindruckend. In den letzten Rennen hat man dann gemerkt, dass die Chemie zwischen ihm und seinem Teamkollegen Esteban Ocon einfach nicht gestimmt hat und auch die mit seinem Team nach der Verkündung des Abschieds zu Aston Martin schien nicht mehr die Beste zu sein. Von der Leistung her ist Alonso noch nicht am Ende. Wenn das Auto in den kommenden zwei Jahren funktioniert, können wir uns noch auf viele starke Rennen von Alonso freuen."

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These 4: Mit George Russell, Carlos Sainz und Lando Norris werden gleich drei Piloten ihren ersten Sieg in der Formel 1 einfahren

Roos: "Ich war vor der Saison überzeugt, dass alle drei ihren ersten Sieg einfahren. Bei Russell und Sainz hat es ja auch geklappt, bei Norris nicht. Das lag allerdings nicht an ihm, sondern am Auto. Wenn das besser funktioniert hätte, hätte das mit dem ersten Sieg auch durchaus klappen können. Vom Können her braucht Norris sich nicht vor Russell oder Sainz zu verstecken. Auch ein Max Verstappen hätte in diesem McLaren kein Rennen gewonnen."

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Kein Rennsieg, keine WM-Chance, langsamer als der Teamkollege: Lewis Hamiltons Saison zum Vergessen

These 5: George Russell läuft Lewis Hamilton teamintern den Rang ab. Nach der Saison verabschiedet sich der Rekordweltmeister in den Ruhestand

Roos: "Ich hätte nicht gedacht, dass Russell mehr Punkte holen würde als Hamilton. Ich glaube, dass Hamilton in der nächsten Saison zurückschlägt, aber ob er die unangefochtene Nummer eins ist, das mag ich mal in Klammern setzen. Ich glaube, dass es bei Mercedes zu einer ähnlichen Situation kommt wie zu den Hochzeiten von Nico Rosberg und Hamilton. Ich bin mir relativ sicher, dass sie ungefähr pari in die neue Saison gehen und dass man dann teamintern nach ein paar Rennen entscheiden wird, auf wen man dann baut. Das hängt dann natürlich auch von der Performance des Autos ab in den ersten Rennen. Am Ende war es dann doch eine klare Geschichte pro Russell in der abgelaufenen Saison und Hamilton hat ein paar Mal Richtung Mercedes gemotzt, was die Strategie angeht. Ich denke, Mercedes hat es aber sehr fair gemacht, auch Russell gegenüber.

Hamilton weiß, dass vieles 2023 vom Saisonstart abhängen wird, deshalb wird er auch topmotiviert in die neue Saison gehen. Einen ähnlichen Knalleffekt wie damals mit Rosberg wird es aber zwischen Hamilton und Russell nicht geben. Damals hatte man, was den Status und auch die Sympathien angeht, nach außen hin immer betont, dass Rosberg und Hamilton auf Augenhöhe waren, intern hatte man meiner Meinung nach aber schon eher Hamilton bevorzugt. Als Valtteri Bottas kam, war Hamilton dann auch nach außen hin die klare Nummer eins. Der Russell ist aber nicht der Bottas. Russell wird eher den Status von Rosberg genießen können."

George Russell (vorne) feiert in Brasilien seinen ersten Grand-Prix-Sieg seiner Karriere, für Mercedes ist es der erste Saisonsieg.
Image: George Russell (vorne) hat in seiner ersten Saison für Mercedes Teamkollege Lewis Hamilton geschlagen.  © DPA pa

These 6: Aston Martin macht einen großen Sprung nach vorne und Sebastian Vettel holt sich seinen ersten F1-Sieg seit Singapur 2019

Roos: "Einen Sieg habe ich ihm nicht zugetraut, aber ein Podium. Am Ende ist es natürlich auch immer Material abhängig, daher konnte Vettel nicht vorne mitfahren. Dennoch bin ich überzeugt, dass er in seinem letzten F1-Jahr besser gefahren ist als noch 2021. Und dass, obwohl er ja in der Vorsaison einmal 'echt' auf dem Podium stand in Baku und dazu in Ungarn eigentlich auch - bevor er nachträglich disqualifiziert wurde. Er hat immer wieder seine Klasse aufblitzen lassen und hätte er in einem stärkeren Auto gesessen, hätte er sich auch durchaus einen Sieg holen können.

Er hat insgesamt aus dem Aston Martin oftmals deutlich mehr herausgeholt als im Auto drinsteckte. Dazu hatte er - wie in seinen letzten Rennen - nicht immer die beste Strategie vom Team bekommen, war teilweise auch ein bisschen unglücklich. Bei Rennen, wo er weiter vorne hätte landen können, kam auch viel Pech mit dem Safety-Car dazu. Von der Leistung her kann er sehr glücklich zurück auf die Saison schauen."

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Saudi-Arabien hat Änderungen am Jeddah Corniche Circuit für 2023 vorgenommen. Nach dem Feedback von Fahrern, der F1 und der FAI arbeiteten Architekten an Verbesserungen, u.a. um die Sicht für die Fahrer zu verbessern.

These 7: Mick Schumacher setzt die Erfahrungen aus seinem Lehrjahr 2021 erfolgreich um und fährt regelmäßig um die Punkteränge mit. Im teaminternen Duell beißt sich Haas-Rückkehrer Kevin Magnussen am Deutschen die Zähne aus

Roos: "Diese These, dass er Magnussen schlagen muss, um weiterzukommen, hat sich bewahrheitet. Er hat es nicht geschafft und hat nun für 2023 kein Stammcockpit. Mick hat den Preis dafür gezahlt, dass er die ersten fünf, sechs Rennen nicht online war. Das ist mal fakt. Er war vom Speed oftmals Minimum auf Augenhöhe mit Magnussen, hat es aber nicht in Punkte ummünzen können. Was ihm auf die Füße gefallen ist, sind seine Unfälle zu Saisonbeginn und dann auch die eine oder andere Schwäche in der Qualifikation. Du musst mit dem Haas weiter vorne starten, weil er auf den meisten Strecken im Laufe der Saison dann einfach nicht die Rennpace hatte und durchgereicht wird. Und wenn du dann schon hinten startest, ist das Ende schnell erreicht. Das ist dann auch sein Problem gewesen am Ende des Tages. Die Fehler am Anfang der Saison, wo das Auto noch deutlich besser war, wurden im zu Verhängnis. Magnussen hat dort seine Punkte geholt und dann mit der Pole in Brasilien den Super-Coup geschafft. Solche Aha-Momente hatte Schumacher nicht. Aus Teamsicht kann man so eine Entscheidung dann auch nachvollziehen."

Mick Schumacher steht 2023 wohl ohne F1-Cockpit da.
Image: Mick Schumacher fährt 2023 nicht mehr als Stammpilot in der Formel 1.  © Imago

These 8: Guanyu Zhou überrascht in seiner Rookie-Saison und holt mehr Punkte als Valtteri Bottas

Roos: "Bottas habe ich ganz klar vor Zhou vor der Saison gesehen. Ich finde aber, Zhou hat sehr gut begonnen und gleich beim ersten Rennen in Bahrain einen Punkt geholt. Danach hat er allerdings nicht mehr so viel gerissen. Ähnlich wie bei Magnussen, hat auch Zhou von seinem guten Eindruck zu Saisonbeginn lange gelebt. Für ihn wird es 2023 auch sehr spannend und entscheidend sein, wie seine Entwicklung weitergeht. Denn ich fand ihn dann auch nicht mehr ganz überzeugend im Verlaufe der Saison. Was man ihm zugutehalten muss, er hat nichts Großes kaputtgemacht. Er hatte auch ein paar Mal Pech, es gab viele technische Probleme am Alfa Romeo.

Auch Bottas hatte damit zu kämpfen. Wenn man sich den Abstand zu Bottas anschaut (6 zu 49 Punkten), dann ist klar, dass Zhou im kommenden Jahr eine Steigerung braucht. Sonst hat er ein Problem. Und Bottas ist überragend gefahren, das hätte ich ihm so nicht zugetraut. Ich hätte nicht gedacht, dass er noch einmal so eine Motivation aufbaut und so stark mit dem Auto fährt. Da waren richtig gute Rennen dabei, das war ein tolles Jahr von Bottas. Analog zu Vettel war Bottas in diesem Jahr deutlich stärker als in der Saison davor. Vielleicht sogar als seine letzten zwei Jahre bei Mercedes."

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These 9: Alle Fahrer holen im Saisonverlauf mindestens einen WM-Zähler

Roos: "Damit hätte ich nicht gerechnet. Nicholas Latifi hatte mit seinen zwei Punkte im verregneten Suzuka sicher auch ein bisschen Glück. Die Regeländerungen haben da natürlich auch geholfen, die F1-Teams sind vor allem auch im hinteren Mittelfeld enger zusammengerückt. Das war ja auch die Idee hinter den neuen Regeln und das ist aufgegangen."

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Ein paar Höhen und Tiefen: Das turbulente Jahr der Scuderia Ferrari.

These 10: Mit der neuen Besetzung der F1-Rennleitung kommen keine öffentlichen Diskussionen zwischen den Top-Teams bei der Regelauslegung wie noch unter Michael Masi auf

Roos: "Mir war schon klar, dass auch 2022 viel diskutiert wird, das gehört ja auch zum Sport dazu. Man wird sich immer über Schiedsrichterentscheidungen aufregen, mal mehr und mal weniger. Wichtig wäre nur, mehr Konstanz bei den Entscheidungen zu bekommen. Am meisten nervt mich, dass die Rennkommissare, die die Strafen gegen die Fahrer verhängen, zu sehr rotieren. Wenn das immer die Gleichen wären, dann wäre das einheitlich und man könnte deutlich besser und klarer erkennen, wie die Strafen ausgesprochen werden und warum. Das mit den Track-Limits finde ich gut und nachvollziehbar. Wenn man die weiße Linie überfährt, wird man bestraft. Da darf man nicht drüber, Ende."

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