Hunger nicht zu stillen: Neue Red-Bull-Ära in vollem Gange
24.10.2022 | 15:55 Uhr
Red Bull feiert neben der Fahrer-WM in Austin auch den verdienten Konstrukteurstitel. Der österreichische Rennstall lieferte eine "bullenstarke" Saison und könnte die nächste Ära prägen.
Es sind diese Geschichten, die wohl nur der Sport schreibt. Nur 24 Stunden nach Bekanntwerden des Ablebens von Red-Bull-Macher Dietrich Mateschitz fährt Max Verstappen nicht nur den fünften Konstrukteurstitel für den österreichischen Rennstall ein, sondern auch den ersten nach einer achtjährigen Durststrecke in dieser Wertung.
Der Titel überraschte seit Wochen, fast schon Monaten, niemanden mehr. Zwar musste sich der zweifache Weltmeister für den Sieg ganz schön strecken, doch ausgestattet mit einer Extra-Portion Motivation durch den Tod der Red-Bull-Ikone bewies der Niederländer einmal mehr die Übermacht, die er und sein Team in der bald endenden Saison darstellten. Nicht mal ein Elf-Sekunden-Boxenstopp (Dr. Helmut Marko nicht ganz ernst zu Sky: "Das haben wir fürs Publikum gemacht, damit es spannend bleibt.") und ein glänzend aufgelegter Lewis Hamilton vor der Nase halten das derzeitige Nonplusultra der Rennsport-Königsklasse von seinem Rekord-Siegeszug ab.
"Wir hatten die große Chance die Konstrukteurs-WM heute schon zu holen, das wollten wir in Style tun und das haben getan", freute sich Verstappen nach dem Rennen. Es dürfte ein Sieg ganz nach dem Geschmack des verstorbenen Großunternehmers gewesen sein, der, so war es im Fahrerlager zu vernehmen, nichts anderes gewollt hätte als eine überzeugende Perfomance seines Teams statt großem Tamtam um seine Person. "So traurig der Tag gestern war, so fröhlich und stolz sind wir heute, was Red Bull Racing, dank Dietrich alles erreicht hat", so Dr. Marko bei Sky.
Man mag es kaum noch glauben, doch zu Beginn der Saison sah es alles andere als rosig für Red Bull aus. Zuverlässigkeitsprobleme, ein bärenstarker Charles Leclerc und überraschend schnelle Ferraris bereiteten Marko, Horner und Co. schon nach drei Rennen Kopfschmerzen. Damals erklärte Marko nach Australien noch: "Ferrari ist eine Klasse für sich." Ein halbes Jahr später lässt sich sagen: Während Ferrari zwischendurch sitzen geblieben ist, hat Red Bull noch eine Klasse übersprungen.
Die neue Saison war ein Sprung ins Ungewisse. Die neuen Regeln und die neuen Autos ließen die Fans mit vielen Erwartungen und großer Spannung ins neue Jahr starten.
Dass Verstappen in zwei der ersten drei Rennen der Saison aufgrund technischer Probleme noch aufgeben musste und Mercedes kein allzu ernsthafter Konkurrent zu sein schien, heizte die Erwartungen an eine unvorhersehbare und spektakuläre Saison noch weiter an.
Spektakulär war und ist diese Saison auch, sie kennt aber trotzdem schon drei Rennen vor Schluss ihre Fahrer- und Konstrukteursweltmeister. Das liegt daran, dass Red Bull die zuvor beschriebenen Probleme schnell in den Griff bekam und sich danach fast keine folgenschweren Fehler mehr erlaubte.
Verstappen brachte sein Auto nach dem Stotterstart in allen 16 Rennen ins Ziel, beendete 14 davon auf dem Podium und zwölf auf Platz 1. Damit sind die vier wichtigsten Stärken der Bullen in dieser Saison schon zusammengefasst: Das Brause-Team bewies bei der Entwicklung des RB18 den richtigen Riecher, es entwickelte das Auto stetig weiter, es lieferte Konstanz und hatte mit Verstappen nach dem Titelgewinn 2021 einen noch reiferen und schnelleren Rennfahrer im Cockpit sitzen. "Wenn man überlegt, wie es am Anfang war in der Saison, dass das Team dann so zusammensteht, sich weiterentwickelt, die Fehler ausmerzt und dann so stark die Saison vorzeitig beendet, das ist unglaublich", resümierte Sky Experte Ralf Schumacher.
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Eine weitere, nicht zu unterschätzende Stärke ist das Zusammenspiel von Verstappen und Sergio Perez. Gab es auch mal Knatsch (Monaco) und den einen oder anderen Fehler des Mexikaners, war er doch immer da, um Verstappen in kritischen Situationen den Rücken freizuhalten. Dieses Gesamtpaket konnten Ferrari und Mercedes in dieser Saison nicht liefern.
Mercedes-Teamchef Toto Wolff formulierte es nach Red Bulls Gewinn der Konstrukteurs-WM am Sonntag gegenüber Sky treffend: "Sie waren überall vorne in diesem Jahr. Fahrerisch war Max in einer eigenen Liga, sie haben keine Fehler gemacht, sind aus den Blöcken sehr gut rausgekommen und haben ein gutes Auto stetig weiterentwickelt. Sie haben beide Titel absolut verdient gewonnen."
Trotz der zu erwartenden Verbesserungen bei Ferrari und Mercedes für die kommende Saison ist es aktuell kaum vorstellbar, dass Red Bull nicht auch in der kommenden Saison der absolute Top-Favorit auf die Titel sein wird. Mit der aktuellen Technik, der Fähigkeit, diese weiterzuentwickeln und einem immerhungrigen Max Verstappen im Fahrersitz scheint eine Ära im Zeichen der Bullen unausweichlich.
Zu allererst gilt es für Verstappen und Perez aber noch zwei Ziele zu erreichen, wie Dr. Marko im Sky Interview verriet. Man wolle mit mindestens 14 Verstappen-Siegen innerhalb einer Saison schaffen, "dass der Max alleiniger Rekordhalter wird" und dass Sergio Perez den zweiten Platz in der Fahrerwertung von Leclerc übernimmt. Dazu fehlen ihm derzeit zwei Punkte. Zudem können sie kommendes Wochenende in Mexiko City mit dem neunten Sieg in Folge noch einen teameigenen Rekord einstellen.
Es ist der Hunger, der jedes Teammitglied bei Red Bull nach Jahren im Schatten der Mercedes antreibt. Und aktuell ist nichts zu sehen, was dieses Verlangen stillen könnte. Es könnte nach 2010-13 die zweite große Ära Red Bulls in der Formel 1 werden.