Timo Schultz ist ein unterhaltsamer Gesprächspartner - norddeutscher Schnack, versierter Plattitüden-Umdribbler, hört zu, antwortet erfrischend. Die Schublade mit den abgestimmten Sprachregelungen bemüht St. Paulis Trainer bemerkenswert selten - und ganz sicher nicht gern.
Aber es gibt sie halt, diese Themen, die sehr schnell mal zur Stolperfalle werden können. Kurz vorm Stadt-Derby ist das Terrain der öffentlichen Schlagabtausche extradicht bewachsen mit atmosphärischen Brennnesseln. Und weil die ewige Frage nach der Nummer eins in Hamburg - objektiv betrachtet - mittlerweile nicht mehr so leicht zu beantworten ist, wählt Schultz den unverfänglichen Ausweg. Die immense Tradition des HSV, deren Etat - alles ne Nummer größer, befindet der Ostfriese.
St. Pauli aktuell die Nummer eins in Hamburg
Rein sportlich begegnen sich die einst so ungleichen Rivalen allerdings längst nicht mehr in der David-Goliath-Konstellation. Ein Fußball-Duell auf Augenhöhe - mindestens. Denn in den jüngsten vier Partien hatten die braun-weißen Herausforderer die Raute überwiegend erbarmungslos zurechtgestutzt - die Nummer eins in Hamburg ist derzeit (!) der FC St. Pauli.
Der HSV geht nach den zuletzt schmerzhaften Begegnungen (drei Niederlagen, ein Remis) ensuite jedenfalls keineswegs als Favorit in das Prestige-Duell am Millerntor. In der Jahrestabelle rangiert St. Pauli nach der rasanten Rückrunde auf Platz zwei, hat die Abgänge der beiden Unterschied(leih-)spieler Zalazar und Marmoush sehr anständig kompensiert und stellt ein Gefüge, das sich in der abgelaufenen Rückrunde eine verlässliche Stabilität erarbeitet hat. Mit Kyereh und Burgstaller stehen zudem nach wie vor zwei Spieler im Kader, die die Qualität haben, Spiele durch einen außergewöhnlichen Moment zu entscheiden.
HSV will aufsteigen, St. Pauli zurückhaltend
Der geschätzte Kader-Marktwert der Kontrahenten unterscheidet sich zwar noch immer signifikant (HSV: 35,78 Mio; St. Pauli: 21,28 Mio) - der Blick auf die potenziellen Startformationen bietet derweil keinerlei Anlass, dem Ex-Dino eine Extraportion Extraklasse zu attestieren. Eine gute Zweitliga-Mannschaft trifft auf eine gute Zweitliga-Mannschaft. "Wird ein heißes Ding", glaubt Schultz, "mit zwei Mannschaften, die nach vorne spielen wollen." Und möglicherweise einer Mannschaft, die nach der Partie sowohl im stadtinternen Vergleich als auch in der Tabelle ins Hintertreffen gerät.
Im Unterschied zum HSV ("Wir treten nicht an, um Vierter zu werden.") lehnen sie auf St. Pauli einen Platz im Feld der erweiterten Aufstiegskandidaten bislang konsequent ab. Sky Experte Torsten Mattuschka sieht in den Überfliegern der abgelaufenen Rückrunde ein bisschen mehr als nur einen Geheim-Favoriten. Sein alter Kumpel Timo Schultz streubt sich: "Das kann Tusche ja so sehen." Er sieht es anders - zumindest offiziell.
Überraschungsteam im Aufstiegsrennen?
Die praktische Erfahrung aus den vergangenen Zweitliga-Spielzeiten liefert jedenfalls zumindest Indizien dafür, dass Etat, Tradition und Strahlkraft der Klubs keine verlässliche Prognose für die Abschluss-Tabelle zulassen. Bochum, Fürth, Bielefeld, Paderborn - es waren in den letzten Jahren einige Aufsteiger dabei, die sicher nicht mit den günstigsten Startvoraussetzungen in die Saison gestartet sind, aber über ein stimmiges Kollektiv eine gemeinsame Schubkraft entwickelt haben.
Während sich die großkalibrigen Absteiger aus Bremen und Gelsenkirchen noch in der Findungsphase wälzen und den HSV beim vierten Anlauf (inklusive abermaligem Umbruch) notwendigerweise eine gewisse Grundskepsis begleitet, bringen sich die organisch gewachsenen Aufstiegsanwärter in Stellung. Heidenheim zum Beispiel. Oder Karlsruhe. Und eben der FC St. Pauli.
Hartel gute Verstärkung für St. Pauli
Auf pragmatische Kader-Korrekturen in der vergangenen Winter-Transferphase hat Sportchef Andreas Bornemann eine temporeiche und klug geplante Sommerperiode folgen lassen. Der Stamm stand frühzeitig, einzelne Äste folgten, jetzt kommen die Früchte. Bornemann war hellwach und schneller als die Mitbewerber, als Bielefelds Marcel Hartel auf den Markt kam.
Ein Spieler, der bei der Arminia in der 1. Liga zuletzt an Boden verloren, sowohl die Ostwestfalen als auch Union Berlin zuvor aber maßgeblich bei ihren erfolgreichen Aufstiegsbemühungen beeinflusst hatte. Ein Kreativer, der auch kämpfen kann. Nicht überragend torgefährlich, aber mit feinen Füßen und einem naturgegebenen Raumgefühl ausgestattet. In der Lage durch kluge Bewegungen, die Statik des Spiels zu verändern und stets bereit, abschlussreife Torsituationen zu inszenieren - beispielsweise für Guido Burgstaller. Mit Hartel bieten sich Schultz mehr fußballerische Möglichkeiten. Vielleicht sogar schon heute Abend - im Derby.
Derby-Sieg reicht noch nicht zur Wachablösung, aber...
Wie auch immer es ausgeht - für eine echte Wachablösung in Hamburg bräuchte es ganz sicher mehr als die ausschließlich ideelle Trophäe des Stadtmeisters. Einen St. Pauli-Aufstieg zum Beispiel, während der HSV und seine Fans den fünften Anlauf ertragen müssten. Prognosen in diese Richtung sind am dritten Spieltag keinen müden Heller wert. Für das kurzfristige Wohlbefinden der braun-weißen Anhänger wäre ein weiterer Derby-Sieg aber vorerst mehr als ausreichend. Das müsste und würde dann wohl auch Timo Schultz einräumen - ohne Umschweife!
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