Im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League bei Paris Saint-Germain saß Thomas Müller zunächst auf der Bank. Für Trainer Julian Nagelsmann bedeutet der Umgang mit dem verdienten Fan-Liebling eine besondere Herausforderung. Ein Kommentar.
Julian Nagelsmann hat Mut bewiesen! Denn Thomas Müller ausgerechnet im Hinspiel bei Paris Saint-Germain auf die Bank zu setzen, bedeutet in allererster Linie zu erklären, warum er das getan hat.
Müller (weder angeschlagen noch im Formtief) zog am Dienstagabend gegenüber Eric Maxim Choupo-Moting den Kürzeren. Die Gründe? Rein sportlicher Natur! Nagelsmann erklärte es ihm vor Anpfiff, Müller nahm die Entscheidung zähneknirschend hin. Bayern gewann 1:0. Nagelsmann hatte somit alle Argumente auf seiner Seite.
Und doch wird es beim FC Bayern diese Fragen nach einem auf der Bank sitzenden Müller so lange geben, wie Müller bei den Bayern unter Vertrag steht. Also mindestens bis zum 30. Juni 2024. Denn Müller ist Müller. Eigengewächs, Rekordspieler, Publikumsliebling, Ur-Bayer, Weltmeister. Müller ist der, der immer gespielt hat. Der aber zukünftig nicht mehr immer spielen wird. Zumindest von Beginn an.
Musiala ist der neue Müller
Das liegt nicht an seinen Leistungen, sondern am Lauf der Zeit. Der "neue" Müller heißt Jamal Musiala. Ein Jahrhunderttalent.
Müller ist mit 34 Jahren im Spätherbst seiner erfolgreichen Karriere angelangt. Wir sehen einen Müller, der noch immer der heimliche Trainer auf dem Platz ist, der Torgarant sein kann, Assistgeber. Der unermüdlich antreibt. Der mit seinem Stil noch immer jeder Mannschaft der Welt helfen kann. Auch den Bayern.
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Doch es gibt auch einen Müller, der mal schwächere Phasen hat. Der ausgewechselt wird. Der nicht mehr gesetzt ist. Der in Topspielen, wenn alle fit sind, zukünftig öfter nur Joker sein wird?
Umgang mit Müller ist ein sensibles Thema
Mit Nagelsmann hat Müller einen Trainer, der einen in den vergangenen Jahren selten da gewesenen Rückhalt aus der Chefetage hat. Der den Umbruch vollenden und eine Ära prägen soll. Nagelsmann darf sogar über Etablierte den Daumen senken. Robert Lewandowski, Toni Tapalovic. Bald auch über Manuel Neuer?
Der Umgang mit Müller bedarf indes eine andere Vorgehensweise. Das sogenannte Fingerspitzengefühl. Müller ist eben Müller. In der Kabine ein Lautsprecher. In Interviews Entertainer oder Chefmahner. In Teambesprechungen auch mal Querdenker. Einer, über den Trainer stürzen können. Heilig gesprochen von jedem, der es mit den Bayern hält. Selbst beliebt bei denen, die den Bayern nichts Gutes wünschen.
Wie gut oder weniger gut geht es für Müller weiter?
Als ihn Niko Kovac Ende 2019 als "Notnagel" bezeichnete, war Müller noch nicht so weit, dies zu akzeptieren. Zu recht. Müller drohte mit einem Wechsel. Er beschwerte sich öffentlich. Kovac lag falsch. Wenig später wurde er entlassen. Hansi Flick erweckte ihn kurze Zeit später zum Leben. Müller wurde als unangefochtener Zehner zum Anführer der Sextuple-Helden.
Ein Held ist Müller noch immer. Er ist Vorzeige-Profi, kein Schauspieler. Er ist Realist und immer noch einer, der den Unterschied machen kann. Nicht nur auf dem Platz.
Nähe zu den Fans und vorbildlicher Teamplayer
Als viele Bayern-Stars in der Nacht zum Mittwoch bereits in ihren Zimmern weilten, war es Müller, der auf dem kleinen, aber feinen Get-together im Mannschaftshotel noch mit Fans sprach. Fotos machte. Smalltalk hielt. Er schmollte nicht. Er lachte. Er war mittendrin im Bayern-Bankett. Fast schon symbolisch. Man wusste trotzdem: Die Bank in Paris, das wurmte ihn. Und doch stellte er sein Ego hinten an. Das Viertelfinale ist schließlich greifbar.
Er machte das Beste aus einem Abend, der für ihn persönlich besser hätte laufen können. Interviews gab er keine. Er schwieg. Auch zukünftig? Akzeptiert Müller, dessen Ego ausgeprägt ist, auch zukünftig einen Platz auf der Bank? In Topspielen? Auch dann, sollte es sportlich nicht laufen?
Müllers Verhalten, spät in der Nacht in Paris, war jedenfalls beeindruckend. Auch zuvor an der Seitenlinie beim Aufwärmen. Es zeigte seine Größe. Seine Stärke. Eine, die vielen Topklubs fehlt.
Wer weiß: Ein Müller im Spätherbst, der seine neue, veränderte Rolle mit Würde annimmt, könnte am Ende den Unterschied ausmachen. Aufgeben kommt für ihn jedenfalls nicht in Frage. Noch nicht. Nagelsmann wird das wissen.
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