Klar, es ist vermutlich nicht die leichteste Aufgabe: Man hat gerade bei einem WM-Spiel das überlebenswichtige Tor für seine Mannschaft geschossen und dann soll man Adrenalin geflutet kluge und reflektierte Sätze in ein Mikro sprechen.
Deswegen sollte man Toni Kroos' Kritik an seinen Kritikern möglicherweise nicht überbewerten. "Man hatte das Gefühl, dass es gerade viele Leute in Deutschland gefreut hätte, wenn wir heute rausgegangen wären", sagte der Torschütze des erlösenden 2:1 gegen Schweden nach dem Abpfiff. Und er ergänzte später: "Bei mir kommt da das Gefühl an, dass es viel mehr Spaß macht, schlecht über uns zu schreiben."
Andererseits schien der Mittelfeldspieler von Real Madrid nicht der einzige im Team zu sein, der sich von seinen Landsleuten ungerecht behandelt fühlte: "Ich gebe Toni schon recht, dass viele in Deutschland wollten, dass wir in der Vorrunde schon ausscheiden", sagte auch der zum Man of the Match gewählte Marco Reus.
Sorgte die Kritik für den Schub gegen Schweden?
Wir gegen Deutschland. DFB-Team gegen BRD. Vielleicht führte dieser Glaube dazu, dass sich die deutsche Mannschaft mit einer Art Trotzreaktion die Chance auf das WM-Achtelfinale bewahrte. Man wandelte die negative Energie aus Deutschland einfach in einen erfolgreichen Schlussspurt um. Ein schöner Nebeneffekt. Nach dem Motto: Wenn das Leben dir Zitronen in den Weg legt, mach' einen Last-Minute-Sieg gegen Schweden daraus.
Allerdings muss man auch fragen: Haben Kroos, Reus und Co. Recht? Wollten wirklich "viele in Deutschland" das Team scheitern sehen?
Mag schon sein, dass es den ein oder anderen Fußballfan gibt, der sich über ein Scheitern der Löw-Mannschaft gefreut hätte. So wie es Menschen gibt, die sich freuen, wenn Bayern verliert oder der HSV absteigt. Das ist Fußball.
Die Mehrheit dürfte aber in Kneipen, auf Fanmeilen oder zu Hause vor dem Fernseher traditionell durchgedreht sein, als die Tore von Reus und Kroos fielen. Das ist die sportliche Wahrheit.
Bröckelt die Identifikation mit dem DFB-Team?
Die andere ist, dass sich viele Fans möglicherweise nicht mehr zu hundert Prozent mit Marketing-Konstruktionen wie "die Mannschaft" und #ZSMMN identifizieren können. Von einem "Fanclub Nationalmannschaft powered by Coca Cola" (der heißt wirklich so) fühlt sich nicht jeder emotional gleich angesprochen.
Der Umgang des DFB mit der Erdogan-Affäre im Vorfeld der Weltmeisterschaft hat das Verhältnis zwischen der Nationalelf und ihren Anhängern zusätzlich belastet.
Und natürlich fällt Fans und Journalisten auf, dass die Leistung der Mannschaft gegen Mexiko (und teilweise auch gegen Schweden) nicht gut war. Es wird analysiert, nach Lösungen gesucht und diskutiert. Dass ein Slogan wie "Best Never Rest" auch deshalb keine clevere Wahl war, da hätte man auch vorher drauf kommen können...
Jedenfalls: Vieles, was in der vergangenen Woche in Deutschland zu hören und zu lesen war, wurde in Watutinki und Sotschi offenbar ganz ähnlich gesehen, wie Mario Gomez verriet: "Selten hat die mediale Kritik so mit der internen Kritik übereingestimmt."
Eventuell ist das eine Erklärung für Kroos' Schelte. Besonders schmerzhaft ist Kritik ja, wenn man genau weiß, dass die Kritiker Recht haben.