Die jüngsten Trainer-Entlassungen im Handball sorgen für ein Grummeln in der Szene. So auch die Freistellung von Berlins Trainer Velimir Petkovic. Sky Experte und Füchse-Sportvorstand Stefan Kretzschmar hat sich exklusiv im Interview bei Sky dazu geäußert.
Nach der überraschenden Pleite der Füchse Berlin gegen Schlusslicht Nordhorn-Lingen am vergangenen Donnerstag haben die Verantwortlichen des Vereins die Reißleine gezogen und Trainer Velimir Petkovic freigestellt. Michael Roth übernimmt ab sofort das Team bis zum Ende der Saison. "Das war eine Aktion, die als Impuls zu werten ist. Es war keine Entscheidung gegen Velimir Petkovic, sondern für Michael Roth. Das hat nichts mit der Qualität des Trainers zu tun", so Sportvorstand Stefan Kretzschmar.
Schließlich gibt es derzeit viele Verletzte bei den Füchsen: Der erste Rückraum mit Fabian Wiede, Paul Drux und Simon Ernst fällt derzeit aus. "Daher kann man da jetzt nicht sagen, dass Petkovic einen schlechten Job gemacht hat."
"Man hat genau eine Kugel im Laufwerk"
Nach der EM-Pause hatte "Kretzsche" den Trainer und die Mannschaft noch gelobt, denn die Ausbeute war mehr als positiv - vier Siege aus vier Spielen. Innerhalb von zwei Wochen dann die Wende: Erst die Niederlage gegen Minden, dann auswärts im EHF-Cup und zuletzt im Fuchsbau gegen das Ligaschlusslicht.
Für den Sky Experten Grund genug zum Handeln: "Man hat genau eine Kugel im Laufwerk während der Saison, um die Trainerposition zu verändern. Man muss sich genau überlegen, wann man sie nimmt - wenn man sie überhaupt nimmt. In Anbetracht der Tatsache, dass am Sonntag eins der wichtigsten Spiele für uns ansteht, war dieser Moment jetzt." Für den Hauptstadtklub geht es gegen den spanischen Verein BM Logroño La Rioja um den Einzug in die nächste Runde des Europapokals. "Es geht um viel, das wäre der Super-GAU, wenn wir an unserem eigenen Final4 nicht teilnehmen, auch wirtschaftlich."
Die Berliner wollten damit ein Zeichen setzen, um der Mannschaft einen neuen Impuls zu geben. "Damit sie den Kopf freikriegen nach dieser Minikrise und wir dieses Spiel auf keinen Fall verlieren."
Undankbare Aufgabe für Kretzsche
Nach einigen Telefonaten mit dem Gremium fiel dann einvernehmlich die Wahl gegen Petkovic und für Roth. Es war die erste schwere Entscheidung für Kretzschmar in seiner noch jungen Amtszeit beim Hauptstadtklub. "Die undankbare Aufgabe", es dem 63-Jährigen mitzuteilen, blieb an ihm hängen: "Es war schwierig, so ein Gespräch mag keiner, wir hatten ja ein Vertrauensverhältnis und zwei Wochen vorher habe ich ihn ja noch gelobt für seine Arbeit. Das ist ein bisschen komisch und anrüchig und fühlt sich einfach nicht gut an. Das kann man menschlich, glaube ich, nachvollziehen."
Kurz darauf habe er Roth, den ehemaligen Trainer der MT Melsungen, angerufen. "Der war noch auf dem Berg in Kitzbühel. Er hat dann aber sehr schnell zugesagt und war wenige Stunden später in Berlin", berichtet der gebürtige Leipziger. Kretzschmar glaubt, dass Roth mit seiner Erfahrung der Mannschaft sofort helfen kann. "Michael erzeugt gute Stimmung, verbessert die Laune der Spieler. Er hat Ausstrahlung und Persönlichkeit. Das ist jetzt das, was am gefragtesten ist in Berlin."
Siewert früher holen? - Nein!
Die Überlegung, den für die kommende Saison verpflichteten Trainer Jaron Siewert früher zu holen, gab es laut Kretzschmar nicht. "Das wäre ihm gegenüber unfair gewesen. Er ist ein sehr junger Trainer und soll schon mit der Mannschaft anfangen, die für ihn zugeschnitten ist und die wir für ihn und mit ihm geplant haben." Siewert in solch einer schweren Phase ins kalte Wasser zu werfen, sei kontraproduktiv.
Die aktuelle Mannschaft unterscheide sich auf vielen Positionen im Vergleich zu der Mannschaft in der kommenden Saison. "Da kannst du einen jungen Trainer auch sehr schnell verbrennen. Außerdem hat er mit TUSEM Essen auch noch einiges vor, da geht es um den Aufstieg in die erste Liga. Da leistet er einen ganz guten Job. Das wäre irgendwie auch dem Verein gegenüber falsch", so der Sky Experte.
Alles hat mit Prokop angefangen...
Das aktuelle Trainer-Beben in der HBL überrascht Kretzschmar nicht. "Viele Mannschaften haben vor der Saison Ziele ausgegeben und diese Ziele gleiten ja nicht am Anfang der Runde aus den Händen, sondern jetzt kommt der Punkt, wo man sieht: Das können wir nicht erreichen oder gerät jetzt in Gefahr. Und deswegen ist der Zeitpunkt nicht ungewöhnlich, jetzt zu handeln und etwas zu verändern. Es fing mit Christian Prokop an und setzt sich nun in der Bundesliga fort."
Ursache dafür sei vor allem der hohe Druck aufgrund der ausgeglichenen HBL. In "Kretzsches" Augen könne ein solcher Trainerwechsel ein Ventil öffnen. "Die Karten sind dann neu gemischt. Roth nimmt der Mannschaft jetzt erstmal den Druck, wie bei Martin Schwalb und den Rhein-Neckar Löwen." Es müsse wieder Spaß machen, das Lächeln muss zurückkommen. "Klar sind das viele Floskeln, aber oft wirkt es."
Eine psychologische Geschichte, die nichts mit der Qualität eines Trainers zu tun hat - sondern eher mit dem Selbstvertrauen der Spieler.