Fragen und Antworten zum Trainer-Beben beim DHB
10.02.2020 | 14:03 Uhr
Elf Tage nach dem Ende der EM hat der Deutsche Handballbund (DHB) am Donnerstag die Trennung von Bundestrainer Christian Prokop verkündet und den früheren Kieler Meistertrainer Alfred Gislason als Nachfolger vorgestellt.
Trotz aller Treuebekenntnisse während der EM, bei der die deutsche Mannschaft das Ziel Halbfinale verfehlte und mit Platz fünf abschloss, muss Prokop knapp drei Jahre nach seinem Amtsantritt im März 2017 seinen Platz für Gislason räumen.
Das DHB-Präsidium. Es besteht aus Präsident Andreas Michelmann, den Vizepräsidenten Bob Hanning, Andreas Thiel, Georg Clarke, Carsten Korte, Hans Artschwager, Stefan Hüdepohl, Gunter Eckart, Vizepräsidentin Monika Wöhler sowie Vizepräsident und Ligaverbandspräsident Uwe Schwenker.
"Die Entscheidung trifft bei uns das Präsidium. Es ist völlig selbstverständlich, dass der Vorstand zurate gezogen wurde", erklärte Michelmann. Den Vorstand bilden der Vorsitzende Mark Schober, Axel Kromer (Vorstand Sport), Martina Haas (Mitglieder), Paul Specht (Finanzen und Recht) sowie Thomas Zimmermann (Marketing und Kommunikation).
"Bob und ich haben es ihm mitgeteilt", sagte Michelmann. "Ich kann seine Enttäuschung auch verstehen, er hat sich in den knapp drei Jahren voll eingebracht. Dass man dann glaubt, noch der Richtige zu sein, kann ich verstehen."
"Wir haben die Entscheidung am Montagabend getroffen", verriet Hanning. Axel (Kromer, Anm. d. R.) habe dann am Dienstag mit Alfred Gislason gesprochen. Nachdem die Verantwortlichen Gislasons Entscheidung hatten, teilten sie Prokop ihre Entscheidung am Donnerstag mit. "Auch wenn sie eine der beschissensten der letzten Jahren war, stehe ich dazu", meinte Hanning.
"Bob hat auch nur eine Stimme im Präsidium", sagte Schwenker: "Er hat nichts forciert, sondern sich sehr zurückgehalten. Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen unter Abwägung aller Dinge diese Entscheidung getroffen."
Die Verantwortlichen haben sich im Nachgang der EM sehr dezidiert mit der Arbeit des Bundestrainers befasst. Dabei spielten auch die Zukunftsperspektiven eine Rolle. Die Entscheidung gegen Prokop und für Gislason "war für mich eine situationsbedingte Strategieänderung, die so vorher nicht abzusehen war", erklärte Schwenker und ergänzte: "Es ging auch um einen Philosophie-Wechsel. Alfred ist eine erfahrene, souveräne und charismatische Persönlichkeit."
"Den ersten Kontakt gab es am Montagabend, vorher gab es keine Verhandlung mit Alfred", betonte Schwenker.
"Ich wusste, dass Alfred zu Verhandlungen im Ausland war, um dort zu unterschreiben. Er hätte am Ende der Woche nicht mehr zur Verfügung gestanden", erklärte Schwenker: "Das hat uns dazu bewogen, uns für den Wechsel zu entscheiden."
"Ich habe mehrere Anfragen von Klubs und Nationalmannschaften abgesagt, denn ich wollte erst 2020 wieder anfangen. Vor ein paar Tagen war ich mit einer Nationalmannschaft einig, Deutschland war eigentlich gar kein Thema mehr. Dann kam der Anruf von Uwe." Welche konkreten Angebote er hatte, verriet er nicht. Es gab Gerüchte, es habe sich um eine Offerte aus Russland gehandelt.
Gislason erhält einen Vertrag bis zur EM 2022 in Ungarn und der Slowakei, sein erster Arbeitstag wird der 9. März. Dann beginnt der Lehrgang in Aschersleben. Das erste Länderspiel steht am 13. März in Magdeburg gegen die Niederlande auf dem Programm. Seine erste große Aufgabe wird das Olympia-Qualifikationsturnier gegen Schweden, Slowenien und Algerien vom 17. bis zum 19. April in Berlin, das große Ziel ist Olympia in Tokio.
"Natürlich kann ich nicht kurzfristig alles auf den Kopf stellen und werde das auch sicherlich nicht tun", kündigte der Isländer mit Wohnsitz in der Nähe von Magdeburg an. „Ich habe den Lehrgang in Aschersleben und das Spiel gegen die Niederlande, um einiges zu testen."
Der 60-Jährige gilt als einer der renommiertesten Trainer weltweit. Insgesamt gewann er als Chefcoach eine Meisterschaft in Island, sieben in Deutschland, dreimal die Champions League, zweimal den EHF-Pokal und sechsmal den DHB-Pokal. Im Sommer 2019 hatte er nach elf erfolgreichen Jahren beim THW Kiel seinen Platz für seinen früheren Meisterschüler Filip Jicha geräumt. Mit Kiel gewann Gislason zweimal die Champions League, sechsmal die deutsche Meisterschaft und sechsmal den DHB-Pokal. Zuvor trainierte er unter anderem den VfL Gummersbach (2006 bis 2008) und den SC Magdeburg (1999 bis 2006). Mit Magdeburg gewann er u.a. 2001 die deutsche Meisterschaft und 2002 die Champions League. Er war Trainer des Jahres 2001, 2009, 2011, 2012 und 2013.
"Ich habe 22 Jahre als Trainer in Deutschland gearbeitet und bin sehr froh, dass ich die Pause gemacht habe", meinte der 60-Jährige am Freitag: „Ich hätte aber auch nicht erwartet, dass ich schon nach drei, vier Monaten die Schnauze voll habe von dieser Pause."