Tennis News: Stich serviert – die Sky Tennis-Kolumne von Michael Stich
Stich: "Der jungen Generation fehlt Spielwitz und Kreativität"
20.04.2022 | 10:38 Uhr
Sky Experte Michael Stich beleuchtet in seiner Kolumne die wichtigsten Themen aus der Tennis-Welt. Der Wimbledon-Champion freut sich auf eine packende Zeit auf der roten Asche und sieht die Favoritensituation so offen wie lange nicht. Das Spiel der jungen Generation empfindet er aber häufig als zu eindimensional und wünscht sich mehr Spielwitz und Kreativität.
Die Sandplatzsaison hat mit dem ersten großen Turnier in Monte Carlo begonnen - einem Wegweiser für die kommenden Wochen und natürlich auch für die French Open. Die ersten vier Monate des Jahres waren geprägt von vielen Überraschungen: Mit Rafael Nadal hat ein Spieler der alten Garde den Anfang des Jahres beherrscht und geprägt. Vom überraschenden Sieg bei den Australian Open, seinem 21. Grand Slam-Titel, über die darauffolgenden Turniersiege bis hin zum Finale in Indian Wells. Eine weitere Überraschung war sicherlich der 18 Jahre junge Spanier Carlos Alcaraz mit seinem Sieg in Miami als einer der jüngsten Spieler der Historie.
Deutet dies nun auf eine Zeitenwende im Herren-Tennis hin?
Roger Federers Rückkehr auf die Tour ist sehr ungewiss. Und auch wenn er es schaffen sollte, dann traue ich ihm offen gestanden keine weiteren großen Erfolge zu. Dominic Thiem, der seit einem Jahr keine Turniere gespielt hat und bei seinen ersten Auftritten bei einem Challenger in Marbella und beim 250er in Belgrad jeweils in der ersten Runde gescheitert ist, wird es schwer haben, wieder den Anschluss zu finden - genauso wie Stan Wawrinka. Andy Murray scheint zwar fit zu sein, betreibt aber ein viel zu aufwendiges Spiel, um mit der jungen Generation mithalten zu können.
Und dann ist da natürlich noch Novak Djokovic, der sich aufgrund seiner Impfskepsis selbst geschwächt hat und seit Jahresbeginn kaum Matches auf hohem Niveau gespielt hat. Dass dies auch an der Nummer eins der Welt nicht spurlos vorbeigeht, konnte man in Monte Carlo beobachten, wo er in seiner Auftaktpartie gegen Alejandro Davidovich Fokina verlor, einem weiteren jungen Spanier, der durch starke Leistungen überzeugen konnte.
Kreativität und Spielwitz wird den jungen Spielern nicht beigebracht
Aber besonders ist mir beim Turnier in Monte Carlo aufgefallen, dass alle Spieler eines gemeinsam haben: Sie betreiben einen unglaublich hohen Aufwand, um ihre Matches zu gewinnen. Normale Zwei-Satz-Matches dauern inzwischen meistens rund zwei Stunden und die engen Drei-Satz-Matches gehen heute oft an und über die Drei-Stunden-Marke hinaus. Der Grund dafür ist aus meiner Sicht sehr einfach zu beschreiben: Alle Spieler spielen ähnliches Tennis. Athletisch, mit unglaublich viel Power und Energie. Alle sind sehr fit und austrainiert. Aber ganz ehrlich, das reicht aus meiner Sicht nicht aus, um die ganz großen Titel zu gewinnen.
Kreativität und Spielfreude sind für mich genauso wichtige Bestandteile des Spiels. Aber leider stehen sie bei den meisten Spielern nicht auf der Prioritätenliste. Eine Aussage von Alexander Zverev beschreibt dies gut. Er sagt über sich selbst, dass er ja nicht dafür bekannt sei, sich taktisch auf ein Match und einen Gegner vorzubereiten. Diese Aussage trifft, denke ich, auf sehr viele Spieler der jungen Generation zu. Kreativität, Spielwitz und die Fähigkeit, das Spiel des Gegners zu lesen, wird den Spielern heute kaum noch beigebracht. Zum einen, weil die Spieler selbst keinen Anspruch haben, sich damit auseinanderzusetzen. Zum anderen ist es ein Problem der Coaches, die auf diese Bestandteile des Spiels nicht mehr eingehen und sie auch nicht mehr vermitteln können oder wollen.
Mein Leitsatz: "Tennis muss nicht erarbeitet, sondern gespielt werden"
Tennis braucht aber Spielertypen, die diese Elemente wieder in ihr Spiel integrieren. Ich selbst hatte immer einen Leitsatz, der meine Karriere und mein Spiel geprägt hat: "Tennis ist ein Spiel, das nicht gearbeitet, sondern gespielt werden muss." Die heutige Generation arbeitet Tennis mehr, als dass sie das Spiel zelebriert und Spaß daran hat, etwas Besonderes auf dem Platz zu machen.
Stefanos Tsitsipas hat in Monte Carlo bewiesen, dass man mit etwas Kreativität sehr erfolgreich sein kann. Er hat das spielerische Potenzial, eine sehr erfolgreiche Sandplatzsaison zu spielen. Vorausgesetzt, er schafft es, die notwendige Konstanz auf den Platz zu bringen. Das ist sicherlich bei der großen Konkurrenz nicht einfach. Dazu kommt, dass man seinen Turnierplan sehr gut abstimmen muss, um bei den Grand Slams seine beste Leistung abrufen zu können. Es bleibt also abzuwarten, was in den nächsten Wochen passiert.
Besonders freue ich mich natürlich auf das erste Turnier in Deutschland, die BMW Open in München, die immer ein Wegweiser für viele Spieler für den Rest der Sandplatzsaison sind.
Seriöse Tipps sind aktuell nicht möglich
Ich würde an dieser Stelle gerne einen Tipp für die French Open abgeben. Aber das ist mir leider nicht möglich, denn ich denke, dass die Leistungsdichte noch nie so eng war, wie in diesem Jahr und dass es noch nie so viele Spieler gab, die in Paris sehr weit kommen können und auch in der Lage sind, die French Open zu gewinnen. Hierzu zählt natürlich ein Rafael Nadal, wenn er wieder ganz fit ist, ein Stefanos Tsitsipas und auch ein Alexander Zverev .
Was ich mir aber am meisten wünsche, sind wieder mehr Matches, die mein Herz als Tennisfan berühren, und nicht stundenlanges hartes Schlagen von der Grundlinie ohne Abwechslung. Denn wenn die Matches alle drei Stunden und länger dauern und es nur noch einen einheitlichen Spielstil und wenig Abwechslung gibt, dann befürchte ich, dass Tennis irgendwann Gefahr läuft, seine Fans und Zuschauer zu verlieren.
Nichtsdestotrotz freue ich mich auf das, was uns in den nächsten Wochen erwartet und wünsche Ihnen allen ein tolles Tennisjahr. Ob beim Zuschauen oder beim selber Spielen - Tennis ist und bleibt eine der tollsten Sportarten, die es gibt.
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